Zum Tod von Inge Jens

Eine große Dokumentarin

10:25 Minuten
Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Inge Jens, aufgenommen am 25.01.2017 in ihrer Wohnung in Tübingen.
Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Inge Jens. © picture alliance / Silas Stein / dpa
Von Tobias Ignée · 23.12.2021
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Über Briefe von Thomas Mann kam Inge Jens zur Schriftstellerei. Sie bezeichnete sich selbst immer als Editorin. Doch gegen Ende ihres Lebens wurden diese Kategorien immer durchlässiger. Nun ist sie im Alter von 94 Jahren gestorben.
Eigentlich wollte Inge Jens, geborene Puttfarcken, Ärztin werden. Doch da sie in Hamburg keine Zulassung zum Medizinstudium bekam, studierte sie dort Germanistik, Anglistik und Pädagogik. Nach Tübingen wechselte sie 1949 auch auf Anraten ihres Vaters. Schnell verliebte sie sich in die kleine, beschauliche Universitätsstadt am Neckar.
Inge Puttfarcken nahm das Studium der Literaturwissenschaften auf und lernte den ebenfalls in Hamburg geborenen Walter Jens kennen, den sie 1951 heiratete. Ein Jahr später schloss sie ihr Studium erfolgreich mit einer Promotion ab, entschied sich dann aber aus familiären Gründen – der Geburt ihrer Söhne Tillmann und Christoph – gegen eine eigene akademische Karriere.

Alles begann mit Thomas Mann

Die Auseinandersetzung mit der Literatur aber blieb ihre Leidenschaft. Beim legendären Schriftstellertreffen der „Gruppe 47“ lernte Inge Jens unter anderem Ilse Aichinger, Hans Werner Richter, Heinrich Böll, Ernst Bloch oder Hans Meyer kennen und begann, sich bald darauf einen eigenen Namen im Literaturbetrieb zu machen als Editorin der Briefwechsel von Hans und Sophie Scholl oder von Thomas Mann mit dem Germanisten Ernst Bertram.

Es waren Thomas-Mann-Briefe, die mir als Erstes gegeben wurden mit der Bitte, sie edieren zu wollen. Aber es war nicht vorgängig das Interesse an Thomas Mann, der mich niemals in dem Maße interessiert hatte bis dahin, wie er zum Beispiel meinen Mann interessiert hat. Aber da mir die Tätigkeit des Edierens Spaß machte und ich da natürlich über einen einflussreichen bekannten Schriftsteller plötzlich ein ganzes Panorama sich eröffnen sah, sind Editionsarbeit und Thomas Mann für mich Synonyme gewesen.

Inge Jens, Editorin

Inge Jens war auch politisch aktiv

Neben ihrer Tätigkeit als Editorin verfasste Inge Jens zusammen mit ihrem Mann unter anderem mehrere Bücher über die Universitätsstadt Tübingen. Daneben engagierte sie sich, geprägt durch die eigene Kriegserfahrung als Heranwachsende in der Friedensbewegung und beteiligte sich an Sitzblockaden gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen. Und während des Golfkrieges 1991 nahm sie US-amerikanische Deserteure in ihrer Wohnung auf.
Ebenfalls ein Gemeinschaftsprojekt war der Bestseller „Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim“ – erschienen im Jahr 2003. Frau Walter Jens war da längst aus dem Schatten ihres Mannes herausgetreten. Einen großen Einschnitt in ihrem Leben bedeutete es, als bei ihm wenig später eine schwere Altersdemenz diagnostiziert wurde.

Ich hatte keine Ahnung: Demenz war ein Begriff, der mir völlig fremd war. Ich weiß, als ich das erste Mal den Begriff hörte, nämlich vom Hausarzt, den ich dann irgendwann mal verzweifelt fragte: ‚Was soll denn nun werden?’ Und er zuckt die Achseln und sagt: ‚Wieso? Ihr Mann wird eben dement.’ Ich bin zum Lexikon gegangen und habe geguckt: Was heißt das?

Inge Jens, Schriftstellerin

Alleingelassen nach über 60 Jahren Ehe und zurückgeworfen auf sich selbst begann Inge Jens, sich intensiv auseinanderzusetzen mit der Erkrankung ihres Mannes, den sie aufopferungsvoll bis zu seinem Tod im Jahr 2013 pflegte. Drei Jahre danach veröffentlichte sie ihr vielbeachtetes Buch „Langsames Entschwinden. Vom Leben mit einem Demenzkranken“ im Jahr 2020. Dann der nächste schwere Schicksalsschlag: Inge Jens musste ihren Sohn Tilman zu Grabe tragen. Dennoch dachte sie rückblickend in Dankbarkeit an ihr ereignisreiches und erfülltes Leben. Ihre letzte Ruhe wird sie auf dem Tübinger Stadtfriedhof finden, ganz in der Nähe von Hans Küng, dem langjährigen Freund der Familie Jens. 

Auch Uwe Naumann, Lektor beim Rowohlt-Verlag und langjähriger Wegbegleiter, erinnert an Inge Jens – und besonders an ihren Umgang mit der fortschreitenden Demenz ihres Mannes:

„Es war im Grunde eine großartige Form der sanften Mitnahme seiner Person. Sie ging mit ihm auf die Bühne, und viele kamen zu der Zeit noch, weil sie Walter Jens erleben wollten, den berühmten Intellektuellen. Sie war seine Frau, und wenn sie auf der Bühne zusammensaßen, hatten sie beide ein Manuskript, und manchmal fielen ihm, wenn er nicht so ganz wach mehr war, Blätter runter. Und sie hat das überspielt und einfach die Passagen, die er lesen sollte, mitgelesen. Das ging über einige Jahre so. Irgendwann ging es nicht mehr, aber sie hat es mit großer Liebe zugedeckt und ein bisschen kaschiert. Das funktionierte gut. Und über diesen Weg wurde Inge Jens immer prominenter und immer begehrter, bis sie schließlich selber eine Frau war, an der sich viele orientierten. Ich habe sie erlebt als eine sehr aktive, eigenständige Frau, die für viele auch für jüngere ein Vorbild wurde, weil sie sich so politisch hellwach äußerte: unerschrocken, geradlinig, gleichzeitig unprätentiös. Sie hat nie viel Gewese gemacht über das, was sie selber geleistet hat. Aber sie hat doch Eindruck gemacht, weil sie einfach die Wahrheit sagte, und das ohne Schnörkel.“

Dabei habe sie sich selbst nicht als Autorin gesehen, so Naumann: „Sie sagte zu mir: ‚Ich bin doch eigentlich gar keinen Erzählerin. Ich kann das gar nicht. Ich bin eine Editorin.’ Die Grenzen wurden aber immer durchlässiger zwischen diesen beiden Kategorien. Und das entfaltete immer mehr einen eigenen Reiz für sie, bis sie dann eines Tages sich dazu bewegen ließ, ein Buch über ihr eigenes Leben zu schreiben. Dazu gehörte natürlich die lange Beziehung mit Walter Jens, aber auch Begegnungen mit vielen prominenten Zeitgenossen, die Zeit der 89er-Wende, wo sie zeitweilig in Berlin lebte und nicht mehr in Tübingen mit ihrem Mann. Dann hat sie auch Freude dran bekommen. Ich glaube, jetzt, am Ende ihres Weges, hat sie sich durchaus als Schriftstellerin verstanden – und der Erfolg der Bücher, die sie dann geschrieben hat, gibt diesem Urteil ja auch recht.“

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