Es waren Thomas-Mann-Briefe, die mir als Erstes gegeben wurden mit der Bitte, sie edieren zu wollen. Aber es war nicht vorgängig das Interesse an Thomas Mann, der mich niemals in dem Maße interessiert hatte bis dahin, wie er zum Beispiel meinen Mann interessiert hat. Aber da mir die Tätigkeit des Edierens Spaß machte und ich da natürlich über einen einflussreichen bekannten Schriftsteller plötzlich ein ganzes Panorama sich eröffnen sah, sind Editionsarbeit und Thomas Mann für mich Synonyme gewesen.
Zum Tod von Inge Jens
Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Inge Jens. © picture alliance / Silas Stein / dpa
Eine große Dokumentarin
10:25 Minuten
Über Briefe von Thomas Mann kam Inge Jens zur Schriftstellerei. Sie bezeichnete sich selbst immer als Editorin. Doch gegen Ende ihres Lebens wurden diese Kategorien immer durchlässiger. Nun ist sie im Alter von 94 Jahren gestorben.
Eigentlich wollte Inge Jens, geborene Puttfarcken, Ärztin werden. Doch da sie in Hamburg keine Zulassung zum Medizinstudium bekam, studierte sie dort Germanistik, Anglistik und Pädagogik. Nach Tübingen wechselte sie 1949 auch auf Anraten ihres Vaters. Schnell verliebte sie sich in die kleine, beschauliche Universitätsstadt am Neckar.
Inge Puttfarcken nahm das Studium der Literaturwissenschaften auf und lernte den ebenfalls in Hamburg geborenen Walter Jens kennen, den sie 1951 heiratete. Ein Jahr später schloss sie ihr Studium erfolgreich mit einer Promotion ab, entschied sich dann aber aus familiären Gründen – der Geburt ihrer Söhne Tillmann und Christoph – gegen eine eigene akademische Karriere.
Alles begann mit Thomas Mann
Die Auseinandersetzung mit der Literatur aber blieb ihre Leidenschaft. Beim legendären Schriftstellertreffen der „Gruppe 47“ lernte Inge Jens unter anderem Ilse Aichinger, Hans Werner Richter, Heinrich Böll, Ernst Bloch oder Hans Meyer kennen und begann, sich bald darauf einen eigenen Namen im Literaturbetrieb zu machen als Editorin der Briefwechsel von Hans und Sophie Scholl oder von Thomas Mann mit dem Germanisten Ernst Bertram.
Inge Jens war auch politisch aktiv
Neben ihrer Tätigkeit als Editorin verfasste Inge Jens zusammen mit ihrem Mann unter anderem mehrere Bücher über die Universitätsstadt Tübingen. Daneben engagierte sie sich, geprägt durch die eigene Kriegserfahrung als Heranwachsende in der Friedensbewegung und beteiligte sich an Sitzblockaden gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen. Und während des Golfkrieges 1991 nahm sie US-amerikanische Deserteure in ihrer Wohnung auf.
Ebenfalls ein Gemeinschaftsprojekt war der Bestseller „Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim“ – erschienen im Jahr 2003. Frau Walter Jens war da längst aus dem Schatten ihres Mannes herausgetreten. Einen großen Einschnitt in ihrem Leben bedeutete es, als bei ihm wenig später eine schwere Altersdemenz diagnostiziert wurde.
Ich hatte keine Ahnung: Demenz war ein Begriff, der mir völlig fremd war. Ich weiß, als ich das erste Mal den Begriff hörte, nämlich vom Hausarzt, den ich dann irgendwann mal verzweifelt fragte: ‚Was soll denn nun werden?’ Und er zuckt die Achseln und sagt: ‚Wieso? Ihr Mann wird eben dement.’ Ich bin zum Lexikon gegangen und habe geguckt: Was heißt das?
Alleingelassen nach über 60 Jahren Ehe und zurückgeworfen auf sich selbst begann Inge Jens, sich intensiv auseinanderzusetzen mit der Erkrankung ihres Mannes, den sie aufopferungsvoll bis zu seinem Tod im Jahr 2013 pflegte. Drei Jahre danach veröffentlichte sie ihr vielbeachtetes Buch „Langsames Entschwinden. Vom Leben mit einem Demenzkranken“ im Jahr 2020. Dann der nächste schwere Schicksalsschlag: Inge Jens musste ihren Sohn Tilman zu Grabe tragen. Dennoch dachte sie rückblickend in Dankbarkeit an ihr ereignisreiches und erfülltes Leben. Ihre letzte Ruhe wird sie auf dem Tübinger Stadtfriedhof finden, ganz in der Nähe von Hans Küng, dem langjährigen Freund der Familie Jens.