Paukenschlag im modernen Tanz
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Der Choreograph Johann Kresnik gilt als Pionier des choreographischen Theaters. Seine Stücke waren auf die Sprengung üblicher Ästhetik angelegt. Heide-Marie Härtel, Chefin des Deutschen Tanzfilminstituts, erinnert sich an die Zusammenarbeit mit ihm.
Der österreichische Choreograph und Regisseur Johann Kresnik ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Die ehemalige Tänzerin und heutige Leiterin des Deutschen Tanzfilminstituts, Heide-Marie Härtel, hat sieben Spielzeiten bei Kresnik gearbeitet.
Sie habe sich als junge Tänzerin um ein Vortanzen bemüht, nachdem sie eine Inszenierung von ihm über die Ermordung von Rudi Dutschke gesehen habe, sagt Härtel:
"Das war für uns junge klassisch ausgebildete Tänzer eine unglaubliche Erfahrung. Wir sahen da auf der Bühne etwas, das uns verbinden konnte mit dem was Ende der 60er-Jahre in unserer Gesellschaft los war, bei dem wir aber die Brücke nicht finden konnten zu einem Gefühl des Wir-wollen-auch-mitkämpfen."
Seine Stücke waren immer politisch
Die Stücke, die sie bei Kresnik gemacht habe, hätten immer einen aktuellen politischen Inhalt und Bezug gehabt, sagt Härtel. Die Zusammenarbeit sei unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht immer einfach gewesen, denn Kresnik komme nicht aus der klassischen Balletttradition, in der sie selbst ausgebildet worden war.
"Der klassische Tanz hat in der deutschen Nachkriegszeit eindeutig die größte Rolle gespielt. Das Moderne kam erst sehr langsam auf, und dann kam es mit einem Paukenschlag - mit Johann Kresnik."
Kresnik hinterlässt eine große Lücke
Bei seiner Arbeit sei er sehr selten mit der konkreten Idee eines Bewegungsablaufs in die ersten Proben gekommen. Vieles sei aufgrund einer Diskussion entwickelt worden. "Er war immer sehr mutig darin, auch seinen 'eigenen Körper in den Kampf zu werfen'. So hat er das genannt. Das hat uns angespornt, uns Dinge zu trauen, die wir nicht gelernt hatten oder von denen wir nicht wussten, dass die etwas theatralisches hatten. Es gab also keinen klassischen Drill bei ihm, aber sehr harte, körperbetonte Arbeit."
Politisch habe sie ihn zu der Zeit der 68er-Demos als Mitstreiter gesehen, der auch seinen Kopf hinhalte. "Er hat uns als Tänzern eine Haltung zu den Dingen abverlangt und nicht nur einfach eine ästhetische Perfektion. Es gibt derzeit nur die Choreographin Yoshiko Waki, die ein Stück weit die Themen Kresniks aufgreift. Ansonsten bleibt jetzt eine große Lücke. Er lässt einen Platz frei, den das heutige Tanztheater nicht schließen kann. Der Tanz heute bewegt sich zwischen Performance-Kunst und perfekter Tanzästhetik. Es fehlt die Auseinandersetzung damit, dass Körpergeschichte und Gesellschaftsgeschichte etwas miteinander zu tun haben."