Zum Tod von Jürgen Holtz

Ein widerspenstiger Geist auf der Suche nach Wahrheit

09:29 Minuten
Der Schauspieler Jürgen Holtz bei den Proben zu Samuel Becketts "Endspiel".
Der Schauspieler Jürgen Holtz ist im Alter von 87 Jahren gestorben. © imago images / DRAMA-Berlin.de
Von Michael Laages |
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In beiden Teilen Deutschlands war Jürgen Holtz zu Hause: bis 1983 in der DDR, dann in der BRD. Zuletzt stand er als „Galileo Galilei“ in Frank Castorfs Brecht-Bearbeitung auf der Bühne. Am Sonntag ist der Schauspieler im Alter von 87 Jahren gestorben.
Poltern und Grollen konnte er wie kaum einer sonst. Vor drei Jahren sah der Schauspieler Jürgen Holtz plötzlich die geliebte Heimat- und Theaterstadt Berlin am Rande der Verzwergung, weil am Berliner Ensemble – wo er engagiert war – ein zugereister Frankfurter Intendant werden durfte, ein Provinzler also. Im etwas zu eiligen Zorn übersah Holtz, dass das nie anders gewesen war. Und wie ernst das Donnergrollen des alten Querkopfs Holtz wohl wirklich gemeint war?
Der Einladung des neuen BE-Intendanten Oliver Reese jedenfalls aus Frankfurt zur Arbeit mit Frank Castorf folgte Jürgen Holtz dann ja doch recht gern – und "Galileo Galilei" bleibt als letzte große Arbeit des Jürgen Holtz in Erinnerung.
Auch dessen paradiesische Nacktheit in Frank Castorfs Version – stets berief sich Holtz ganz auf sich selbst. Und als er die selbst erarbeitete Biographie vorstellte, eigene literarische Texte und Zeichnungen von eigener Hand inbegriffen, erinnerte er sich auch an allerjüngste Kindertage:
"Als ich vier Jahre alt war, sah ich das 'Rumpelstilzchen'. Ununterbrochen habe ich das gespielt, und meine Mutter meinte irgendwann – hat sie mir später erzählt – sie hätte Angst bekommen und gemeint: ‚Um Gottes willen, der Junge wird Schauspieler!‘"

"Anmut sparet nicht, noch Mühe"

Dieses Rumpelstilzchen, nach ersten Arbeiten in der DDR-Provinz, in Erfurt etwa oder Greifswald, heimgekehrt nach Berlin, blieb ein widerspenstiger Geist, immer auf der Suche nach der Wahrheit jenseits vom Staatssozialismus: "Wir wollten den Sozialismus und die Gerechtigkeit und die Schönheit des Menschen, so wie es bei Brecht steht: ‚Anmut sparet nicht, noch Mühe.‘ Aber Anmut bitte, ja, ich will doch keine Sau sein."

Der Theaterregisseur und Dramaturg Hermann Beil hat in unserer Sendung "Studio 9" Leben und Werk von Jürgen Holtz gewürdigt:
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Als aber die Bürokratie ihm das Arbeitsvisum für eine Heiner-Müller-Arbeit im Westen verweigerte, kehrte Holtz der DDR den Rücken: "Die Rollen, die ich spiele, das Theater, an dem ich teilnehme, fand fast von Anfang an und fast durchweg in einer ideologischen Bruchzone statt. Wo ich hintrat, brach schon immer der Boden weg. Das war in der DDR so, das war in Frankfurt mit Schleef so."
So hat Holtz selbst sich erinnert an den Wechsel der Welten – und schonungslos Bilanz gezogen: "Dass nämlich sich ganz grundsätzlich gesehen die beiden Deutschlands, die es damals gab, so wesentlich gar nicht voneinander unterschieden. Die einen hatten die Fahne und die anderen hatten die Butter."

Liebeserklärung ans Theater

Auch auf den Bühnen war dieser Jürgen Holtz ein mutiger Mensch – in den Geschichtswerkstätten von Einar Schleef in Frankfurt, mit neuen Texten von Rainald Goetz bis hin zu den zersplitternden Castorf-Arbeiten zum Schluss.
Das Verhältnis allerdings zum Theater selbst blieb nachhaltig gestört – die latente Ödnis im subventionierten Routinebetrieb störte ihn, in diesem System sah er auch Kolleginnen und Kollegen verkümmern: Jeder und jede sei sich nur mehr selbst am nächsten.
Und trotzdem – am Ende stand auch für diesen unanpassbaren Geist stets die Liebeserklärung ans Theater:
"Das Theater ist eine notwendige Angelegenheit, schon alleine deshalb, weil es unwiederholbar ist. Was gibt es in der Kunst, das unwiederholbar ist? Jeder Abend ist ein Moment und der kann groß sein."
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