Er liebte auch seinen Feind
Andere Schriftsteller hätten das chinesische Regime viel heftiger attackiert als der verstorbene Liu Xiaobo, meint der Journalist Shi Ming - doch gerade dessen versöhnlicher Essaystil habe ihn für das Regime zur Gefahr gemacht.
Das Gegenteil eines Agitators sei der verstorbene Liu Xiaobo gewesen, sagt der in Berlin lebende chinesische Journalist Shi Ming. Doch gerade durch seine "fast zarten Appelle" für Versöhnung sei er dem Regime gefährlich geworden.
"Er wendet sich sehr offen literarisch an seine Leserinnen und Leser, nicht an Hass zu denken, sondern an Liebe", so Shi Ming im Deutschlandfunk Kultur. Darin habe Liu Xiaobo einen fast christlichen Idealismus gezeigt: "Ich liebe auch meinen Feind." Auch an Dietrich Bonhoeffer habe er sich angelehnt, etwa an dessen Gedicht "Von guten Mächten wunderbar geborgen".
Lius Texte wurden aus dem Internet entfernt
In einer Zeit, in der die chinesische Literatur sich immer weiter von der Politik entferne, verliere die Welt "einen großen Vertreter" einer politisch verantwortlichen Literatur, bedauert Shi Ming. Einen, der "auch die Leserinnen und Leser einlade, diese großen Zusammenhänge literarisch zu denken. "Ich glaube, so schnell kommt auch wahrscheinlich in absehbarer Zukunft niemand mehr, der ihn ersetzen kann."
Offiziell können die Chinesen Liu Xiaobos Texte allerdings kaum noch lesen, so Shi Ming. "Seine Texte sind säuberlich aus dem chinesischen Internet entfernt worden." Lediglich ein Buch, das Liu Xiaobo unter einem anderen Namen veröffentlicht habe, sei noch erhältlich. "Aber darin hat er nicht versucht, diesen neueren Stil zu prägen. Ansonsten werden seine Texte aber unter der Hand weiter verbreitet."