Der Indianer der Herzen
Die Rolle des Indianerhäuptlings Winnetou in den Karl-May-Verfilmungen machte den französischen Schauspieler Pierre Brice zum Superstar - und ließ ihn nicht mehr los. Nun ist Brice im Alter von 86 Jahren in Paris gestorben.
Wir schreiben das Jahr 1965.
"Ich kann die Kugel nicht entfernen. Sie ist zu nahe am Herzen."
In den Armen seines Blutsbruders haucht der größte Häuptling der Apachen in "Winnetou III" sein Leben aus.
Old Shatterhand: "Mein Bruder kann ohne Sorge sein. Das Volk das Apachen ist gerettet und in Sicherheit."
Winnetou: "So ist dann noch Winnetous Aufgabe erfüllt."
Aufgabe erfüllt? Da irrte Winnetou alias Pierre Brice gewaltig. Schon während der Dreharbeiten zu "Winnetou III" kam der Anruf, der schicksals- und karriereträchtig war:
"Ich bekomme einen Anruf von Horst Wendlandt. Er sagt, ich komme zu dir; ich muss mit dir reden. Pierre, ich habe ein großes Problem. Das Publikum wird den Film boykottieren, weil du stirbst. Nein, Pierre, ohne Grund, du kommst zurück. Und das Publikum wird glücklich sein. Und es war der Fall ..."
... erinnerte sich Pierre Brice Jahrzehnte nach seiner vom Produzenten verordneten Wiederauferstehung. Denn mit Winnetous Tod in "Winnetou III" brandete eine Protestwelle durchs Land. Und wer schlachtet schon das Huhn, das goldene Eier legt. Also legte Pierre Brice im gleichen Jahr, als Winnetou in Old Shatterhands Armen gestorben war - 1965 wie gesagt -, erneut das Stirnband an und blickte mit grünen Augen erneut melancholisch in die Weite. Hier allerdings nicht wie gewohnt an der Seite seines Blutsbruders Lex Barker, sondern mit dem Kumpel Old Surehand - gespielt vom Briten Stewart Granger:
"Ich grüße Euch, roter Bruder, ihr seid unter Freunden."
Damit waren die Würfel endgültig gefallen. Die Rolle seines Lebens - elf Mal gab Pierre Brice von 1962 bis 1968 auf der Leinwand den Indianerhäuptling - ließ den französischen Schauspieler nicht mehr los. Auch nicht als Sänger:
"Keinen, der so war, wie Du - Winnetou."
Schon die erste Karl-May-Verfilmung war ein voller Erfolg
1929 im französischen Brest geboren, meldete Pierre Brice sich in den 40er-Jahren zum Indochinakrieg. Später war er Fallschirmjäger in Algerien, bis er - zurückgekehrt nach Paris - Fotomodell und Tänzer wurde. Seine Karriere als Schauspieler lief schleppend an, vor allem, weil der gut aussehende junge Mann einen Nachteil hatte: Er sah Alain Delon zu ähnlich. Und der hatte sich schon als Star etabliert. Außerdem galt Pierre Brice als schüchtern - keine gute Voraussetzung dafür, im Jetset und in der Filmszene ganz vorne zu stehen.
In Italien und Spanien aber boten sich Rollen in Sandalen-, Mantel- und Degenfilmen und mit einem dieser Filme, tief versunken in den vergessenen Kellern der Filmgeschichte, kam Pierre Brice 1962 zur Berlinale und wurde von Produzent Horst Wendtlandt entdeckt, um den "Schatz im Silbersee" zu suchen - und zwar im ehemaligen Jugoslawien, das mit seinen malerischen Gebirgslandschaften auf der Leinwand der träumerische Ort wurde, von dem die Karl-May-Gestalten die Deutschen in den 1960er-Jahren hinwegführen konnten von der mörderischen Vergangenheit. Die Dreharbeiten waren für den damals des Deutschen nicht mächtigen Franzosen in jedem Fall ein Abenteuer:
"Meine erste Szene, ich war auf meinem Pferd. Und ich höre den Regisseur 'Bitte Ton! Bitte Ton!' schreien. Wahrscheinlich will er, dass ich komme. Und ich bin sofort in vollem Galopp auf die Bühne gekommen. Und er Regisseur schreit 'Pierre, Pierre, no, no!'."
Die Premiere von Horst Wendlandts erster Karl-May-Verfilmung "Der Schatz im Silbersee" am 12. Dezember 1962 im Stuttgarter Universum-Kino war ein Erfolg, der alle Beteiligten verblüffte.
"Ich konnte nicht vom Kino weggehen. Und ein Polizist hat mir seine Uniform gegeben."
Ein Star war geboren! Das Problem war allerdings für den Schauspieler Pierre Brice, dass die Westdeutschen ihn zwar zur Leinwandikone machten, außerhalb der Bundesrepublik aber interessierte das niemanden. In Frankreich blieb der Franzose Pierre Brice beispielsweise ein Unbekannter.
"Geht wieder zurück, woher ihr gekommen seid. Eure Pferde lasse ich euch. Eure Waffen wird Winnetou behalten. Zum Beweis seiner Anklage."
Nachdem die Karl-May-Welle 1968 mit "Winnetou und Shatterhand" gebrochen war, wollt sich ein Erfolg jenseits der Indianerrolle für Pierre Brice nicht einstellen. Verständlich, dass der französische Winnetou allzeit bereit war, erneut auf seinen Rappen Iltschi zu springen:
"Sean Connery macht einen neuen James Bond, Romy Schneider wird eine neue Sissy machen. Warum soll ich nicht einen neuen Winnetou spielen?"
Brice kam aus der Rolle nicht mehr raus
So war es denn nur konsequent, dass Brice Mitte der 1970er-Jahre die Rolle des roten Helden im sauerländischen Elspe annahm. Wenn schon nicht Große Leinwand, dann immerhin Freilichtbühne. Bis 1986 spielte er dort immer wieder den Winnetou, gab ihn dann auch in der Fernseh-Serie "Mein Freund Winnetou" - gedreht an Originalschauplätzen in Mexiko - und trat auch auf dem Kalkfelsen im norddeutschen Bad Segeberg als edles Langhaar auf. Zwischendurch besuchte er im deutschen Fernsehen mal das "Schloss am Wörthersee" oder die "Klinik unter Palmen" und feierte 1998 im Zweiteiler "Winnetous Rückkehr", was allerdings zur unbeabsichtigten Satire geriet: deutscher Indianer mit französischem Akzent. Da war nun denn ein Grat der Peinlichkeit überschritten.
Pierre Brice kam aus der Rolle nicht raus, und auch, wenn er immer wieder mal im Radio oder Fernsehen Interviews gab, es war nie der französische Schauspieler, der dort geladen war, sondern immer die Filmikone der 1960er-Jahre. Was für eine mythische Kraft hatte diese Leinwandfigur!
Old Shatterhand: "Woran denkt Ihr, mein Bruder?"
Winnetou: "Ein Gesang tönt über das Wasser. Erinnert sich mein Bruder über die Glocken von Santa Fé?"
Old Shatterhand: "Ja."
Winnetou: "Winnetou hört wieder ihren Klang. Sie singen für ihn. Nun ist sein Herz leicht und voll Frieden. Wie dieser See. Es ist erfüllt von Liebe zu Manitou. Und Winnetou weiß, dass sein Tod nicht mehr fern ist."
Winnetou: "Ein Gesang tönt über das Wasser. Erinnert sich mein Bruder über die Glocken von Santa Fé?"
Old Shatterhand: "Ja."
Winnetou: "Winnetou hört wieder ihren Klang. Sie singen für ihn. Nun ist sein Herz leicht und voll Frieden. Wie dieser See. Es ist erfüllt von Liebe zu Manitou. Und Winnetou weiß, dass sein Tod nicht mehr fern ist."
Jetzt ist Pierre Brice in die Ewigen Jagdgründe eingegangen.