Der Großmeister der Angst
Das "Texas Chain Saw Massacre" machte ihn weltberühmt und revolutionierte das Horrorgenre: Jetzt ist Tobe Hooper im Alter von 74 Jahren in Kalifornien gestorben. Auch im deutschen Kulturbetrieb hinterließen seine Arbeiten blutige Spuren.
"What happened is true." - es ist tatsächlich geschehen – verspricht das Filmplakat zu "Texas Chain Saw Massacre", mit dem der Regisseur Tobe Hooper im Jahr 1974 das Horrorgenre gründlich aufmöbelte. Zuvor hatte der bis dahin hauptsächlich als Lehrer tätige Regisseur mit seiner Kamera die lokale Hippieszene seiner Geburtsstadt Austin dokumentiert. Mit seinem Horroreißer über einen Wochenendausflug junger Leute, die im texanischen Hinterland auf eine verwahrloste Familie kannibalischer Psychopathen treffen, hat er schließlich Filmgeschichte geschrieben: Ein neuer, zynischer Realismus hielt Einzug ins Genre – vergessen war der altmodische Mottenkisten-Grusel von Dracula und Co.
Der Albdruck der Hippie-Generation
Wie zuvor bereits Alfred Hitchock (in "Psycho") und George A. Romero (in "Die Nacht der lebenden Toten") verlagerte Hooper den Horror ins eigene Land, in die eigene Gesellschaft. Nach Texas, dem amerikanischsten aller US-Bundesstaaten. Dem Albdruck der jungen Generation der 70er-Jahre in den USA – Stichworte: Kennedy-Morde, Vietnam, Watergate-Affäre, Niederschlagung der Bürgerrechtsbewegung, die Manson-Family – verlieh Hooper mit Dringlichkeit allegorischen Ausdruck.
Tatsächlich geschehen sind aber auch die Morde, die Ed Gein in den 50er-Jahren in Plainfield, Wisconsin, an durchreisenden Frauen verübte. Deren Häute zog er sich ab und trug sie als Kleidungs- und Schmuckstücke. Der Fall inspirierte den Schriftsteller Robert Bloch zu seinem Roman "Psycho", den wiederum Kinomeister Alfred Hitchcock verfilmte.
Von Hitchcock zu Hooper zu Schlingensief
Auch Tobe Hooper diente diese Mordserie in Wisconsin als Inspiration: Seine Figur Leatherface, der die Gesichter seiner Opfer als bizarre Maske trägt, ist eine überzeichnete Version von Ed Gein - und heute eine Ikone des Genres. Wo Hitchock den Horrorfilm modernisierte, spitzte Hooper ihn radikal zu: Auf den Affekt, auf die direkte Wirkung, nicht zuletzt über das ständige, nervenzerreibende Rattern der Kettensäge, der eigentlichen Hauptfigur seiner Films. Damit lieferte Hooper eine Blaupause für den heutigen Splatterfilm – was sich nicht zuletzt an den zahlreichen Fortsetzungen, Remakes und Epigonen zeigt, die das Kino bis heute heimsuchen. So rührt Hollywood bereits die Werbetrommel für "Leatherface", eine Großproduktion, die die Vorgeschichte von "Texas Chain Saw Massacre" erzählen will.
Doch auch im deutschen Kulturbetrieb hat der Film blutige Spuren hinterlassen: Christoph Schlingensief war es, der 1990 sein Unbehagen gegenüber dem nationalen Wiedervereinigungstaumel in Anlehnung an Tobe Hooper in ein "Deutsches Kettensägenmassaker" übersetzte. "Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst", lautete die Werbezeile des Films: Westdeutschland zersplattert Ostdeutschland.
Langjähriges Verbot in Deutschland
Wobei "Texas Chain Saw Massacre" tatsächlich weit weniger explizit ist als sein legendärer Ruf, der ihm bereits im deutschen Verleihtitel - "Blutgericht in Texas" - vorauseilt. Auf formal hohem Niveau schafft Hooper eine bedrückende, eher über Montage und Tonspur an den Nervensträngen sägende Atmosphäre. Anders als die deutschen Staatsanwälte zu sehen meinten, die den Film im Jahr 1982 per Beschlagnahmung aus dem Verkehr zogen, zeigt der Film keine Abtrennungen von Gliedmaßen. Auch mit spritzendem Blut hält er sich zurück. Aufgehoben wurde das Verbot erst im Jahr 2010, nach einem langwierigen, verzwickten Rechtsverfahren – ein Schmankerl deutscher Rechtsgeschichte. Was in Deutschland einmal im Giftschrank gelandet ist, bleibt dort auch erstmal für eine Weile liegen. Mittlerweile lief der Film auch im Fernsehen, auf Kabel1. Der Untergang des Abendlandes ist ausgeblieben.
Wobei den Staatsanwälten der Stoff durchaus bekannt vorkommen hätte können: Im Grunde genommen verfilmt Hooper "Hänsel und Gretel" - Leatherface wäre demnach die böse Hexe, die in einem geheimnisvollen, weit abgelegenen Haus lebt, wo sie junge Leute in den Ofen schieben will. Wer die Grimm-Märchen im Original gelesen hat, der weiß, dass deren düstere Gewaltschilderungen den Splatterfantasien heutiger Filmemacher kaum nachstehen. In den USA gilt der berüchtigte Film unterdessen schon längst als Kulturgut und Bestandteil der Popkultur.
Hooper in Hollywood
Mit dem von Steven Spielberg produzierten "Poltergeist" flirtete Hooper 1982 schließlich auch kurz mit dem Hollywood-Mainstream. Der Film war ein Kassenerfolg – auch wenn Hooper daran mutmaßlich wenig Anteil hatte: Bis heute streiten Filmfans, ob "Poltergeist" nicht eigentlich doch über weite Strecken heimlich von Spielberg selbst inszeniert wurde. Ein Sinnbild für Hoopers Verhältnis zur großen Industrie: Im Grunde blieb er immer Außenseiter – ein Schicksal, das er mit vielen Pionieren und Meistern des modernen Horrorfilms teilt, ob sie nun David Cronenberg, John Landis, George A. Romero oder John Carpenter heißen.
Doch auch wenn er in späten Jahren eher im wenig prestigereichen DVD- und Fernsehfilmmarkt versandete, weist seine Filmografie doch einige Sahnestücke des Genres auf: "Eaten Alive" etwa, eine Art Remake von "Texas Chain Saw Massacre", dessen schmutzigen Realismus er hier durch eine künstliche Studioset-Atmosphäre ersetzte. Oder den hinreißenden Kinderfilm "Invasion vom Mars" aus den 80ern, nicht zuletzt der Clown-Horrorfilm "Funhouse" und die ziemlich durchgeknallte Fortsetzung zu "Texas Chain Saw Massacre", in dem New-Hollywood-Star Dennis Hopper die Hauptrolle spielte.
Fürs Hollywoodkino war dieser Großmeister der Angst vielleicht wirklich eine Spur zu subversiv. Am Samstag, den 26. August 2017, ist er in Kalifornien gestorben. Über Leatherface' Maske kullerte eine kleine Träne.