Karin Graf hat zehn seiner Bücher ins Deutsche übertragen - allesamt erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.
"Er war immer auf der Suche nach Wahrheit"
Karin Graf hat die Bücher des verstorbenen Literaturnobelpreisträgers V. S. Naipaul ins Deutsche übertragen und kannte ihn persönlich. Sie erklärt, dass der Autor zwar einen schwierigen Charakter gehabt habe, seiner Zeit aber weit voraus gewesen sei.
Die Literaturagentin und Übersetzerin Karin Graf erklärt aus Anlass des Todes des britischen Schriftstellers V. S. Naipaul, dass sie sich ihn damals nicht selbst ausgesucht habe. Sie sagt, es sei vielmehr eine große Chance, ein Geschenk gewesen, dass Kiepenheuer & Witsch ihr die Übersetzung des Romans "An der Biegung des großen Flusses" angeboten habe. Denn sie sei damals eine "blutjunge Anfängerin" gewesen.
Ungeheur modern
Man müsse zudem die damalige Zeit bedenken, sagt Karin Graf. Postkoloniale Literatur kannte man damals in Deutschland nicht. "Ich habe unendlich viel gelesen, um mir diese Welt zu erarbeiten." Sie habe aber sofort Naipauls ungeheure Modernität erkannt. Er habe schon damals über Migrationsthemen geschrieben und darüber, dass es kein Zuhause mehr gebe und die Welt nicht nur am, sondern im Fluss sei, so Graf weiter.
Alle von ihr übersetzten Naipaul-Bücher hätten sie persönlich zum Nachdenken und damit weiter gebracht. Immer wieder musste sie dabei neues Terrain betreten. In einem Buch ging es um Gastarbeiter aus Indien, die in der Karibik ihr Geld verdienen mussten, im nächsten dann um nicht-arabische Länder, in denen der Islam eine immer größere Rolle spielte.
Für Karin Graf ist Naipaul ein typisch britischer Autor, "er schreibt klassisches Britisch außer in seinen früheren Büchern, die in der Karibik spielen, seine späteren waren klar und schnörkellos." Die Herausforderung in der Übersetzung bestehe darin, diese Kürze und Knappheit zu bewahren - auch im Deutschen, das immer etwas länger sei, erklärt Graf ihre Arbeit.
"Ich versuche, mich nicht korrumpieren zu lassen"
Befragt zu seinem offenbar schwierigen Charakter antwortet Karin Graf: "Ich habe ihn sehr gut gekannt, auch seine Ehefrau, die in der Tat schlecht behandelt wurde, sie hat dies aber klaglos ertragen. Sie liebte ihn. Er war ein schwieriger Mensch, selbstsüchtig, immer auf der Suche nach Wahrheit und danach, was die Welt zusammen hält, wie er dem Geheimnis auf die Spur kommt. Das muss man wahrscheinlich akzeptieren, wenn man mit so einem Menschen lebt oder zu tun hat. Er hat selbst gesagt, er hatte keine Freunde."
Karin Graf habe von ihm vor allem gelernt, neugierig zu sein, mit allen zu reden und allen zuzuhören. "Ich versuche, mich nicht korrumpieren zu lassen."
V. S. Naipaul ist im Alter von 85 Jahren nach Angaben seiner Familie am Samstag verstorben.