Sprachwut und aufrechter Gang
Als lebende Legende, Rebell und Symbolfigur sei der Schriftsteller Yaşar Kemal in der Türkei gesehen worden, sagt der Filmemacher Osman Okkan. Die kurdische Landbevölkerung habe ihn wegen seines Romans "Memed der Falke" sogar wie einen Heiligen verehrt.
Kemal starb am Samstag im Alter von 91 Jahren. Mit dem Roman "Memed mein Falke" wurde er 1955 auf der ganzen Welt berühmt − darin lehnt sich der Held, ein Bauernjunge, gegen die Herrschaft der Großgrundbesitzer auf und zieht als Bandit in die Berge. 35 Romane schrieb Kemal, in viele Sprachen wurden sie übersetzt − er war der Grandseigneur der türkischen Literatur.
"Symbol der Unterdrückungspolitik"
"Er ist fast zu seiner Lebzeit zu einer Legende geworden", sagt der Istanbuler Filmemacher und Journalist Osman Okkan im Gespräch mit Deutschlandkultur:
"Die Bevölkerung auf dem Lande vor allem hat immer Yaşar Kemal mit İnce Memed, mit Memed dem Falken gleichgesetzt. Ich war oft mit ihm unterwegs, auch in Anatolien, und wo wir auch auftauchten, wurde er empfangen wie ein Heiliger praktisch. Man fragte ihn nach İnce Memed, und bei vielen Begegnungen wurde ihm erzählt, dass İnce Memed eigentlich auch in der Gegend gewesen sein muss. Ich glaube, man wollte in ihm diesen Rebellen sehen, der sich immer gegen die Herrschaft aufgelehnt hat. Er wurde zu einem Symbol gegen die Unterdrückungspolitik der Regierungen in der Türkei und für den friedlichen Widerstand, für den nachhaltigen Widerstand gegen die Repressalien, die vor allem die kurdische Bevölkerung in der Türkei hat erleiden musste."
Kemal habe wie kaum ein anderer die Symbiose von Kurden und Türken verkörpert:
"Seine Mutter war kurdischer Abstammung und sein Vater war Turkmene, also ein waschechter Türke Deshalb ist er auch zweisprachig aufgewachsen, und er hat genau das immer wieder betonen wollen, dass beide Völker eigentlich zusammen gehören. Genau das hat ihn, glaube ich, für beide Seiten zu dieser Symbolfigur gemacht."
Er war befreundet mit Günter Grass
Okkan sieht viele Ähnlichkeiten zwischen Yaşar Kemal und Günter Grass, die miteinander befreundet waren: "Trotz aller Angriffe, trotz aller Verfeindungen, war der aufrechte Gang ihnen beiden zu eigen."
Aber auch das literarische Wirken sei vergleichbar: Ebenso wie Grass, der die Laudatio auf Kemal hielt, als dieser 1997 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, habe Yaşar Kemal "Sprachwut und Sprachgewalt" besessen. Sie hätten bei gemeinsamen Veranstaltungen in der Türkei und in Deutschland für die gleichen Ziele, für eine demokratische Öffnung der türkischen Gesellschaft geworben:
"Das war sehr bewegend, und es war eine große Freude von Kemal, dass Günter Grass ihn würdigte und dass die beiden eine lange Freundschaft aufgebaut haben."