Zum Wohle der Kinder

Von Andrea Westhoff |
Ende des 19. Jahrhunderts war die Säuglings- und Kindersterblichkeit in Deutschland noch sehr hoch. Das änderte sich, als einige engagierte Ärzte, allen voran Adalbert Czerny, sich aufmachten, die Kinderheilkunde zu modernisieren.
"Adalbert Czerny war ein bedeutsamer Kinderarzt, um den sich eigentlich die Universitäten gerissen haben zur damaligen Zeit, und die Charité hatte das Glück, dass sie ihn letztlich dann bekommen hat, in Berlin."

Karl-Josef Eßer ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und hörbar stolz, dass ein Kinderarzt zu den berühmten Persönlichkeiten der Charité-Geschichte gehört. Denn die Pädiatrie war wenig angesehen in der aufstrebenden wissenschaftlichen Medizin des 19. Jahrhunderts, und auch für Adalbert Czerny war sie nicht das Wunschfach.

Der Sohn eines Eisenbahningenieurs wurde am 25. März 1863 in einem kleinen Ort im damals österreichischen Galizien geboren, wuchs in Wien und Pilsen auf und studierte Medizin in Prag. Nach dem Abschluss fand er "nur" eine freie Assistentenstelle in der Kinderheilkunde, deren schlechter Zustand Czerny entsetzte:

"Wie sich die Untersuchung abspielte, wenn ein Arzt in einer Stunde 50 oder 100 Kinder zu behandeln hatte, brauche ich kaum auszuführen."

Die kleinen Patienten wurden meist den jungen, unerfahrenen Ärzten überlassen, die Kinderkrankenstationen waren miserabel ausgestattet, es gab weder Forschung noch eine vernünftige Ausbildung auf diesem Gebiet, Säuglinge wurden oft gar nicht in Krankenhäuser aufgenommen. Gerade deren Gesundheit beschäftigte Adalbert Czerny am meisten:

"Es hat damals eine sehr große Säuglingssterblichkeit bestanden, und das waren fast immer Durchfallerkrankungen als Ursache, und er hat daraus Konsequenzen gezogen und hat die Säuglingsernährung umgestellt und hat gesagt: Säuglingsernährung und Erziehung, das sind die Themen. Und das ist eigentlich wie heute moderne Prävention."

Der Forscher Czerny entdeckte ein paar Kinderkrankheiten, die bis heute seinen Namen tragen, zum Beispiel die "Czerny-Anämie", eine ernährungsbedingte Blutarmut bei Säuglingen. Vor allem aber vertrat er die Überzeugung, dass nicht nur die angeborene Konstitution oder Krankheitserreger den Gesundheitszustand eines Kindes beeinflussen, sondern auch der Umgang mit dem kleinen Patienten: 1908 veröffentlichte er dazu sein Buch "Der Arzt als Erzieher des Kindes"; das schon zu seinen Lebzeiten in acht Auflagen erschienen ist und in viele Sprachen übersetzt wurde.

"Wer soll die Eltern auf die große Bedeutung dieser ersten Erziehungseinflüsse auf ein Kind aufmerksam machen – dies kann nur Aufgabe eines Arztes sein, denn nur er vermag die Konsequenzen einer fehlerhaften Erziehung in den ersten Anfängen objektiv zu beurteilen und ihm fällt die Aufgabe zu, später aus Erziehungsfehlern resultierende Mängel der Kinder zu behandeln."

Zur "Erziehung" gehörten für Czerny Fragen wie: Soll man ein Kind schreien lassen oder nicht, Methoden zur Säuglingsberuhigung oder Art und Häufigkeit des Stillens und Fütterns. Und schon damals befasste er sich mit einem Phänomen, das heute unter dem Stichwort "Zappelphilipp-Syndrom" oder "ADHS" bekannt ist, in seinen Worten: "das überreizte Kind".

"Großer Bewegungsdrang, mangelnde Ausdauer im Spiel und bei jeder Beschäftigung, Unfolgsamkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit der Aufmerksamkeit im Unterricht."

Aber nicht nur, weil er soziale und psychologische Faktoren in die Kinderheilkunde mit einbezog, gilt Adalbert Czerny als Mitbegründer der modernen Pädiatrie. Vor allem hat er sich um die fundierte Ausbildung von Kinderärzten verdient gemacht, auf all seinen beruflichen Stationen in Prag, Breslau, Straßburg und schließlich ganz besonders in Berlin:

"Die Kinderheilkunde war zuvor unkoordiniert, es hat praktisch keine Lehrstühle gegeben, und er hat begonnen, eine Pädiatrieschule aufzumachen."

Diese bald international bekannte Ausbildungsstätte speziell für Kinderärzte an der Charité leitete Czerny von 1913 bis zu seiner Emeritierung 1932. Auch danach ging er nicht in den Ruhestand, sondern übernahm mit fast 70 Jahren einen Lehrstuhl an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf. Er starb 1941.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin verleiht jährlich den Adalbert-Czerny-Preis. Karl-Josef Eßer:

"Das ist ein Preis für junge Forscher, und da können sich deutschsprachige Forscher bewerben, mit aktuellen Themen. Was natürlich heute auch Säuglingsernährung ist, aber sehr viel auch Molekularbiologie, die Kinder- und Jugendmedizin ist eine sehr moderne Wissenschaft, aber geprägt wurde sie ursprünglich wirklich durch die Ideen von Herrn Czerny."