Markus Ziener, Jahrgang 1960, ist Autor, Journalist und Hochschulprofessor in Berlin. Er war Korrespondent in Moskau und Washington und berichtete mehrere Jahre aus dem Mittleren Osten. Heute schreibt er u.a. für die "Neue Zürcher Zeitung". Im Herbst erscheint sein erster Roman "DDR, mon amour", der die Geschichte einer deutsch-deutschen Freundschaft erzählt.
Russen und Deutsche - von Gefühlen und Irrtümern
Kaum ein Land bewegt die Deutschen zu so widersprüchlichen Reaktionen wie Russland. Das Misstrauen wächst, ebenso die Sehnsucht nach einer guten Nachbarschaft. Die Gründe dafür liegen in der Geschichte und der Fülle der Emotionen, die dabei im Spiel sind.
Liebe oder Hass, Nachsicht oder Härte, Vertrauen oder Skepsis: Es gibt kaum ein Land, zu dem die Deutschen ein so widersprüchliches Verhältnis haben wie zu Russland. Einerseits wächst das Misstrauen zwischen beiden Völkern, weil Wertvorstellungen immer weiter auseinanderdriften. Andererseits wünschen sich Deutsche und Russen gute Nachbarschaft - weil sie davon überzeugt sind, dass diese wichtig ist für Europa.
Was die Sache so kompliziert macht, ist die Fülle der Emotionen, die bei Russland im Spiel sind. Weil Kriege geführt wurden, die Millionen mit ihrem Leben bezahlten. Weil Menschen vertrieben wurden und ihre Heimat zurücklassen mussten. Aber auch, weil Russland das Leben in Deutschland prägt. Alleine in Berlin leben über 200.000 Menschen, deren Muttersprache Russisch ist. Charlottenburg ist beinahe schon wieder Charlottengrad.
Russland ein tapsiges Elefantenbaby?
Klischees - wahre und falsche - wurden und werden über Jahrzehnte gepflegt. Generationen lernten das Riesenreich im Osten durch die Brille zahlloser Fernsehdokumentationen und Bücher kennen. Die tragen Herzschmerz-Titel wie "Weites Land", "Sibirisches Tagebuch", "…an Russland muss man einfach glauben" oder "Die Ballade vom Baikalsee". Russland erscheint in ihnen meist wie ein tapsiges Elefantenbaby, das gar nicht weiß, wohin mit seiner Kraft - und dem man deshalb auch nicht böse sein darf.
Sind dann die Deutschen, wie seit 2014 durch die Ukraine-Krise, mit Moskau über Kreuz, verursacht das heftigen Verdruss. Weil Wunsch und Wirklichkeit auf einmal nicht mehr zusammenpassen. Weil die Realität so anders ist als das idealisierte Zerrbild. Dann glauben wir, wir müssten Russland mit größter Nachsicht behandeln. Und die Schuld für russisches Rowdytum zuerst bei uns selbst suchen.
Zu wenig Rücksicht auf die empfindsame russische Seele
Mal haben wir dann aus Unachtsamkeit den Stolz des Nachbarn verletzt, mal haben wir zu wenig auf die empfindsame russische Seele Rücksicht genommen. Wir räumen bereitwillig ein, dass wir Nato und EU zu schnell nach Osten erweitert, dass wir unfreundlicherweise an Russlands Grenzen einen Raketenabwehrschirm aufgebaut haben, dass wir die Ukraine nach Europa locken wollten.
Nur: Der Westen hat Moskau nie Einflusssphären zugesagt. Am Raketenabwehrschirm hätte sich Russland beteiligen können - was es aber nicht tat. Und die Ukraine wurde vom Westen nicht erpresst und gegen Russland in Stellung gebracht.
Moskau denkt in Hauptstädten und Territorien
Wahr ist vielmehr: Moskau denkt auch über ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion noch immer in den Kategorien einer Großmacht, es denkt in Hauptstädten und Territorien. Russische Politiker reisen nach Washington, Berlin, Paris. Man telefoniert mit Kanzlerinnen und Präsidenten. Man findet große pluralistische Organisationen, in denen Malta so viel zu sagen hat wie Frankreich oder Deutschland, einfach nur lächerlich. Man ordnet die Welt in stark und schwach.
So funktioniert Russland auch als Staat: Man ist stark, wenn man sein Territorium erweitern, den Donbass besetzen, die Krim seins nennen kann. Wenn auf der Landkarte ein russisches Fähnchen bei Simferopol auf der Krim steckt. Wenn man Grenzen neu ziehen kann.
So funktioniert Russland auch als Staat: Man ist stark, wenn man sein Territorium erweitern, den Donbass besetzen, die Krim seins nennen kann. Wenn auf der Landkarte ein russisches Fähnchen bei Simferopol auf der Krim steckt. Wenn man Grenzen neu ziehen kann.
Politik aus einem anderen Jahrtausend
Das jedoch ist keine Strategie, auf die sich Zukunft bauen lässt. In Europa und den USA rechte Kräfte zu unterstützen, Despoten zu hofieren, Gerüchte in die Welt zu setzen und Internet-Trolle zu beschäftigen, um Stimmungen und Wahlen zu manipulieren - das ist eine Politik aus einem anderen Jahrtausend. Als man noch Falschmeldungen verbreitete, um Regierungen zu stürzen. Und Geheimdossiers mit falscher Tinte schrieb.
Das ist nicht modern, das ist von gestern. Selbst wenn diese Methoden manchmal funktionieren: Es macht nicht attraktiv. Es schreckt ab. Das zu ändern wäre doch eine schöne Aufgabe für eine vierte Amtszeit. Sechs Jahre sollten dafür eigentlich reichen. Meinen Sie nicht, Herr Präsident?