Gewalt ohne Konzept
08:49 Minuten
Hinter dem Sturm von Trump-Anhängern auf das US-Kapitol steht kein Konzept, meint der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht. Seiner Ansicht nach hat es keinen Versuch einer Regierungsübernahme gegeben, dafür einen eigenartigen "Fantourismus".
Bis in die Sitzungssäle des US-Kongresses sind Demonstranten am Mittwoch aus Protest gegen die Abwahl des noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump vorgedrungen. Es habe zwar Gewalt gegeben, aber offenbar kein Konzept dahinter, sagt Hans Ulrich Gumbrecht, Professor für deutsch-amerikanische Komparatistik. Denn es habe keine Aktionen gegeben, tatsächlich die Politik zu übernehmen, ins Kapitol einzudringen und sich zu einer neuen Regierung zu erklären. "Es war nicht die Reaktion eines Bürgerkrieges", so Gumbrecht weiter.
Zwar seien Ausschreitungen nicht auszuschließen gewesen, aber eigentlich habe niemand damit gerechnet.
Die Protestierenden sollen bei der Erstürmung Selfies von sich gemacht und unterschriebenes Briefpapier aus dem Büro von Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi gestohlen haben, berichtet Gumbrecht. "Diese Bilder haben mich beeindruckt."
Der ehemalige Professor an der Stanford University wolle zwar nicht verharmlosen, was passiert sei, spricht aber eher von "einer eigenartigen Komponente von Fantourismus".
Trump kann nur noch "wenig anstellen"
Nachdem er am Donnerstag vom Kongress bestätigt wurde, tritt der Demokrat Joe Biden am 20. Januar sein Amt als US-Präsident an und übernimmt die Geschäfte des republikanischen Amtsinhabers Trump. In seinen letzten Tagen als US-Präsident kann Trump laut Gumbrecht allerdings nur noch "wenig anstellen".
Dennoch habe er nie erwartet, dass Trump in seiner Präsidentschaft so weit gehen werden. "Der Grad an Pathologie und der Grad an Verhalten, das unvorhersehbar ist, was kann morgen passieren, hat sich enorm gesteigert in den letzten Tagen", sagt Gumbrecht.
Die Ausschreitungen habe sich Trump Gumbrecht zufolge aus dem West Wing des Weißen Hauses in Washington angeschaut, statt wie geplant zum Golfen zu fahren. Zuletzt war der Twitter-Account des noch amtierenden Präsidenten gesperrt worden, so dass dieser nicht direkt medial auf das Geschehen reagieren konnte. Er sei dadurch auch für niemanden zu erreichen, so der Komparatistikprofessor weiter.
Noch immer behauptet der Republikaner Trump, durch einen massiven Wahlbetrug im November in mehreren Bundesstaaten um den Sieg gebracht worden zu sein. Weder er noch seine Anwälte legten aber stichhaltige Beweise dafür vor. Derzeit steht ein Amtsenthebungsverfahren für eine vorzeitige Absetzung Trumps zur Debatte. Dafür kommt der 25. Zusatz zur Verfassung zum Einsatz.
"Das ist für so einen Fall, wenn sich zeigt: Der Präsident ist wahnsinnig geworden", sagt Gumbrecht.
(lsc mit dpa)