Zur Sprache kommen

Von Eberhard Straub |
Die Vergabe des Georg-Büchner-Preises überraschte manche Kulturbetriebsräte, regte aber keinen unter ihnen auf. Grund genug für Sigrid Löffler, sich in "Literaturen", ihrem Journal für Bücher und Themen, verzweifelt zu fragen, warum, um Gottes Willen, warum nur?
Wie es vielen Empörten geht, wenn sie zum Opfer ihrer Leidenschaft werden, verliert sie sich in einem Durcheinander von Fragwürdigkeiten, das zu keiner Frage führt, sondern zu einem herzhaften Wutmarsch frei nach dem Wiener Schlagerrefrain: "Denn ich kann den Nowottny nicht leiden." Sigrid Löffler kann den Frankfurter Arztsohn einfach nicht leiden. Das bewahrt sie davor, sich von Martin Mosebachs guten Manieren, seinem grandseigneuralen Auftreten oder von den dreiteiligen Anzügen, die er, mit farblich dezent abgestimmten Einstecktüchlein, trägt nebst seiner Bildung und überhaupt seinem ostentativ altmodischen bürgerlichen Habitus verführen zu lassen, vor dem so viele schwache Kollegen kapitulieren.

Sigrid Löffler hadert mit der neuen Bürgerlichkeit und den Kollegen, die das Denkerstübchen verließen, in den bürgerlichen Salon umgezogen sind, wo sie es sich biedermeierlich bequem machen und genüsslich in Mosebachs Werken schmökern, die sie in ihren gymnasialen Bildungsrückständen angenehm bestätigen. Diese Pseudo-Saloniers in den Feuilletons kokettieren mit der Reaktion, der Antimoderne, dem Kulturpessimismus oder der vorkonziliaren Kirche wie ihr smarter Wegweiser Martin, der so gewandt in seinen Gewändern das Gewagte mit dem Artigen zu verbinden weiß. Sie versäumen darüber, all diese unartigen Tendenzen "ins ursprünglich Diffamierende zurückzudrehen", wie Sigrid Löffler fordert. Auch die Jury in der Akademie hat versagt, weil sie eine modische Gesinnung und nicht ein originelles Werk für preiswürdig hielt. Ein Kritiker, der Diffamierung als Grundlage seines Geschäftes betrachtet, gleicht dem Bild eines Dunkelmanns, das er sich von dem macht, der nicht seinem Bilde gleicht. Unter solchen Voraussetzungen ist keine freie Diskussion mehr möglich, die Gleichberechtigte voraussetzt auch mit gleicher oder ähnlicher Irrtumsanfälllgkeit. Sigrid Löffler geht es nicht um die Freiheit, sondern um Gesinnungstüchtigkeit, die sie weit und breit vermisst, nur weil einige Deutsche Martin Mosebach lesen und nicht daran gehindert werden von Feuilletons, die sich wie Wohlfahrtsausschüsse um die Volksgesundheit sorgen sollen, was heißt, seine Bücher nicht wahrzunehmen und zu beschweigen, wie in den seligen Zeiten noch vor zehn Jahren.

Sigrid Löffler weiß zum Schriftsteller Martin Mosebach nichts zu sagen. Sie stört es, dass er nicht einer Meinung mit ihr ist, Literatur müsse die Gegenwart so spiegeln, wie die Medien sie vergegenwärtigen. Ein großer sozialistischer und deutscher Schriftsteller und Geistesaristokrat, auf den Martin Mosebach sich zuweilen beruft, Peter Hacks, nahm seine Zeit nicht auf die Art ernst, wie deren Meinungsmacher sie damals in West und Ost ernst nahmen. "Ein Schriftsteller begeht eine Verräterei an seinem Zeitalter, wenn er nach dem Geschmack desselben sich bequemt. Das Zeitalter soll nicht ihm, sondern er diesem die Stimmung geben." Das hielt Peter Hacks für notwendig. Er verachtete die sogenannte Moderne, weil ihm Goethe als der modernste unter allen europäischen Dichtern galt. Wer sich auf Goethe beruft, verweigert sich nicht vor der Moderne, sondern verteidigt deren verpflichtendes Erbe vor den wechselnden Launen der Mode, der Zeit und der Zeitungen. Peter Hacks, der Atheist, war sich mit dem Katholischen Christen Mosebach darin einig, dass die deutschen Katholiken das Christentum verkleinerten auf soziale Gerechtigkeit und Tugend, "lauter Sachen, auf die sich, Gott ist des Verfassers Zeuge, die Marxisten besser verstehen". Das hinderte diesen klugen, ausdrucksfreudigen Mann nicht, ganz entschieden zu bedauern, dass die Christen dabei sind, "das Christentum aus dem Christentum auszusondern".

Verweigert sich Martin Mosebach zuweilen der rasch wechselnden Zeit und vor allem den Ideen, die Sigrid Löffler mit ihr verbindet, um sie auf immer festzuhalten, erweist er sich gerade deshalb als sehr modern und zeitgemäß, weil er sich historisch versteht im Sinne eines Dichters, der ihm nicht unangenehm ist: Franz Grillparzer. Der bekannte, aus anderen Zeiten zu kommen, hoffend in andere zu gehen. Diese Gelassenheit fürchtet Sigrid Löffler. Warum? Sie hält Kunst und Kritik für eine Waffe. Ein Holzhammer ist eine Waffe. Nach Aristoteles folgt daraus nicht, dass die Kunst und die Kritik ein Holzhammer sein müssen. Beides hat es mit Bildung zu tun. Bildung hält sie allerdings für affektiert. Der Sozialist Peter Hacks wie der Reaktionär Martin Mosebach stimmen als Dichter darin überein, "den Schatz an Gütern und Fähigkeiten, den die veralteten Klassen akkumuliert haben, nicht fortzuwerfen, sondern sich anzueignen und auf eine höhere Stufe zu heben". Das heißt tüchtige oder vorzügliche Werke zu schaffen, die ihr Schicksal haben, weil es lange dauert, bis die Einsichtigen verstehen, wovon eigentlich die Rede ist. Etwas später verstehen es alle, "dann versteht es die Kritik und endlich sogar die Philologie". Das meinte Peter Hacks und Martin Mosebach ist viel zu gebildet und zu höflich, um ihm zu widersprechen.

Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin.
Buchveröffentlichungen u. a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Albert Ballin" und "Eine kleine Geschichte Preußens" sowie zuletzt "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit".