Zur Warnung des Antisemitismusbeauftragten

"Eine absolut zutreffende Diagnose"

07:59 Minuten
Infoveranstaltung in der Jüdischen Gemeinde in Rostock.
Ist die Warnung des Antisemitismusbeauftragten, nicht überall in Deutschland Kippa zu tragen, ein "Offenbarungseid" oder ein "Quantensprung"? © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Michael Wolffsohn im Gespräch mit Timo Grampes |
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Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat Juden in Deutschland davor gewarnt, überall die Kippa zu tragen. Der Historiker Michael Wolfssohn sieht darin einen "Quantensprung". Denn vor der Therapie stehe die Diagnose.
"Das ist ein Offenbarungseid des Staates", sagte der Publizist Michel Friedman zu den Äußerungen von Felix Klein. Dabei verwies er auf Artikel 4 des Grundgesetzes, der unter anderem die Religionsfreiheit garantiert. "Anscheinend versagt der Staat, dies allen jüdischen Bürgern im Alltag zu ermöglichen".
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte den Zeitungen der Funke Mediengruppe zuvor gesagt: "Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Das muss ich leider so sagen." Er habe seine Meinung "im Vergleich zu früher leider geändert". Er begründete das mit der "zunehmenden gesellschaftlichen Enthemmung und Verrohung", die einen fatalen Nährboden für Antisemitismus darstelle.

"Klein hat die Wirklichkeit beschrieben"

Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn begrüßt im Deutschlandfunk Kultur Kleins klare Worte. Dieser habe die Wirklichkeit beschrieben, die Situation beobachtet und analysiert und letztlich die mehrfach festgestellten Fakten öffentlich gemacht. Zunächst einmal sei es in der Politik wie in der Medizin, erklärt Wolffsohn:
"Wenn sie eine Therapie einleiten wollen, müssen sie eine Diagnose haben." Diese habe Klein nun vorgelegt. Im Grunde genommen habe er dabei bereits Bekanntes wiederholt. Es gebe sowohl Erfahrungsberichte von Betroffenen als auch Statistiken und Untersuchungen zu den verschiedenen Tätergruppen, die seine Sicht stützen.

Paradigmenwechsel in der BRD

Der Historiker ruft in der Frage, ob es sich um einen "Offenbarungseid des Staates", wie Michel Friedman sagte, handle, einen von ihm vor drei Jahren verfassten Essay mit dem Titel "Zivilcourage" in Erinnerung und erklärt:
"Inzwischen hat sich in der Bundesrepublik ein Paradigmenwechsel ergeben. Bis vor einigen Jahren haben regierungsamtliche Stellen, auch die diversen demokratischen Parteien, die Bürger immer dazu aufgerufen, Zivilcourage zu zeigen. Das war meines Erachtens ein Offenbarungseid, denn das hieß im Klartext: Wir als Staat mit Hilfe der Polizei und den Sicherheitsbehörden sind nicht in der Lage, die Sicherheit der Bürger herzustellen - und da ging es nicht nur um jüdische Bürger. Liebe Bürger, macht das bitte selber."

"Das halte ich für einen Quantensprung"

Jetzt sage ein Politiker aber ganz ehrlich und klipp und klar: Wir können's nicht! Das ist die Diagnose und jetzt überlegen wir die Therapie. "Und das halte ich für einen Quantensprung."
Auch im Punkt Holocaust-Gedenken ist Wolffsohn auf einer Linie mit dem Antisemitismusbeauftragten. Dessen Äußerungen übersetzt er folgendermaßen in eine nicht-diplomatische Sprache: "Die Erinnerungskultur in der BRD ist total 'versteint', ritualisiert, langweilig - noch einmal: 'versteint'! Kein Wunder, dass die meisten dann abschalten." Den Inhalt der Gedenkreden könne man inzwischen ja vorhersagen. "Dass da die Menschen abschalten - emotional und auch rein akustisch - ist leider verständlich", sagt Wolffsohn.
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