Zurück zu den mongolischen Wurzeln
Einen Autor wie Galsan Tschinag gibt es kein zweites Mal in der deutschsprachigen Literatur. Der Dichter und Erzähler kommt aus der Mongolei, er ist das Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa, einem kleinen Nomadenvolk, das im Westen des Landes lebt.
Seit seinem vierten Lebensjahr wurde Galsan Tschinag dort zum Schamanen ausgebildet, als junger Mann hat er die Mongolei allerdings verlassen und in Leipzig Germanistik studiert. In Leipzig wurde Galsan Tschinag auch zum Schriftsteller, bis heute schreibt er seine Romane und Erzählungen auf Deutsch, seine Gedichte hingegen auf Mongolisch. Er hat 23 Bücher veröffentlicht und dafür unter anderem den Adelbert-von-Chamisso-Preis bekommen, den Heimito-von-Doderer-Preis und im Jahr 2002 das Bundesverdienstkreuz.
In seinem neuen Buch berichtet Galsan Tschinag von einer Entscheidung, mit der er als Endsechziger seinem Leben noch einmal eine neue Wende gegeben hat. In den Jahren davor hatte er vor allem in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator gelebt, er war viel auf Lesereisen im Westen unterwegs, einige Monate hat er jedes Jahr bei seinem Volk im Altai-Gebirge verbracht. Nun hat er sich entschlossen, als Stammeshäuptling ganz zu den Tuwa und in das Nomadenleben zurückzukehren. Mit dem Beginn dieser Rückkehr setzt die Erzählung ein.
Galsan Tschinag lagert mit seiner Frau, seinem jüngsten Enkel und seiner Jurte am Ufer eines Flusses, in einer Zwischenzeit. Die Stadt ist schon verlassen, bei seinem Volk ist er nicht angekommen. In einem Zwiegespräch mit seinem "inneren Menschen" bedenkt er noch einmal die Voraussetzungen seiner Entscheidung. Da trifft endlich die Abordnung der Tuwa mit Pferden und Kamelen ein, um den Häuptling abzuholen. Galsan Tschinag und seine Frau werden mit größter Ehrerbietung empfangen – "Jetzt begreife ich, wir sind das, was den Menschen fehlt: König und Königin."
Die Titel sind etwas hochgestochen bei den wenigen Menschen, die noch zu dem Nomadenstamm gehören. Die Verehrung für den heimgekehrten Häuptling und seine Bewährung in der unvertrauten Rolle stehen allerdings im Mittelpunkt des Buches. Die Tuwa-Nomaden waren in der sozialistischen Mongolei weit über das Land verstreut worden, Galsan Tschinag hatte einen größeren Teil von ihnen erst Mitte der 90er Jahre in ihr früheres Siedlungsgebiet zurückgeholt. Zu dem Stamm gehören jetzt noch einige hundert Menschen, die untereinander zerstritten sind und sich im Konflikt mit der mongolischen und kasachischen Bevölkerungsmehrheit aufreiben. Wenn die Tuwa ihr traditionelles Leben aufrechterhalten wollen, dann wird das nur in Einigkeit und mit einem ausgeprägten Selbstbehauptungswillen gelingen.
Dafür will Galsan Tschinag in seiner Rolle als Stammeshäuptling stehen. Er muss zwei zerstrittene Schamaninnen versöhnen, die den Stamm in verschiedene Richtungen dirigieren. Er leitet ein spirituelles Fest zur Wiederbelebung einer heiligen Stätte der Tuwa und muss dabei die Störungen von Neidern abhalten. Außerdem bekommt er es mit Angriffen auf seine eigene Person zu tun, der eigenwillige, sendungsbewusste und auch kommerziell höchst erfolgreiche Tschinag ist in der mongolischen Elite durchaus umstritten.
Die Aktionen gegen ihn und seine Leute dienen dem Autor Tschinag in diesem Buch als spannungssteigernde Momente, die das Gelingen der "Rückkehr" immer wieder in Frage stellen. Die Erzählung von der Wiedereinsetzung des Häuptlings wird unterbrochen von Erinnerungen an die Vergangenheit, an Galsan Tschinags Weg hinaus in die Welt, der in vor mehr als fünfzig Jahren von seinem Stamm weggeführt hat. Seine Ausbildung in der DDR gehört dazu, seine Arbeit als Hochschullehrer, als Journalist, als Unternehmer und als Schamane. Wie in seinen anderen Büchern auch verwendet Tschinag eine ganz eigene deutsche Sprache, die von der Naturnähe und den religiösen Vorstellungen seines Volkes mitgeprägt ist. Den Erzählungen aus der tuwinischen Geschichte hat diese von Anachronismen durchsetzte Sprache in Tschinags früheren Büchern eine große Kraft verliehen, in diesem neuen autobiographischen Roman wirkt sie allerdings häufig unfreiwillig komisch. Überhaupt befremdet einen die offen ausgestellte Eitelkeit der Häuptlings-Figur Galsan Tschinag. Nichtsdestotrotz aber bleibt die – zwischenzeitliche - Rettung des tuwinischen Nomadenstammes eine äußerst spannende Geschichte.
Rezensiert von Frank Meyer
Galsan Tschinag: Die Rückkehr. Roman meines Lebens
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008
255 Seiten, 19,80 Euro
In seinem neuen Buch berichtet Galsan Tschinag von einer Entscheidung, mit der er als Endsechziger seinem Leben noch einmal eine neue Wende gegeben hat. In den Jahren davor hatte er vor allem in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator gelebt, er war viel auf Lesereisen im Westen unterwegs, einige Monate hat er jedes Jahr bei seinem Volk im Altai-Gebirge verbracht. Nun hat er sich entschlossen, als Stammeshäuptling ganz zu den Tuwa und in das Nomadenleben zurückzukehren. Mit dem Beginn dieser Rückkehr setzt die Erzählung ein.
Galsan Tschinag lagert mit seiner Frau, seinem jüngsten Enkel und seiner Jurte am Ufer eines Flusses, in einer Zwischenzeit. Die Stadt ist schon verlassen, bei seinem Volk ist er nicht angekommen. In einem Zwiegespräch mit seinem "inneren Menschen" bedenkt er noch einmal die Voraussetzungen seiner Entscheidung. Da trifft endlich die Abordnung der Tuwa mit Pferden und Kamelen ein, um den Häuptling abzuholen. Galsan Tschinag und seine Frau werden mit größter Ehrerbietung empfangen – "Jetzt begreife ich, wir sind das, was den Menschen fehlt: König und Königin."
Die Titel sind etwas hochgestochen bei den wenigen Menschen, die noch zu dem Nomadenstamm gehören. Die Verehrung für den heimgekehrten Häuptling und seine Bewährung in der unvertrauten Rolle stehen allerdings im Mittelpunkt des Buches. Die Tuwa-Nomaden waren in der sozialistischen Mongolei weit über das Land verstreut worden, Galsan Tschinag hatte einen größeren Teil von ihnen erst Mitte der 90er Jahre in ihr früheres Siedlungsgebiet zurückgeholt. Zu dem Stamm gehören jetzt noch einige hundert Menschen, die untereinander zerstritten sind und sich im Konflikt mit der mongolischen und kasachischen Bevölkerungsmehrheit aufreiben. Wenn die Tuwa ihr traditionelles Leben aufrechterhalten wollen, dann wird das nur in Einigkeit und mit einem ausgeprägten Selbstbehauptungswillen gelingen.
Dafür will Galsan Tschinag in seiner Rolle als Stammeshäuptling stehen. Er muss zwei zerstrittene Schamaninnen versöhnen, die den Stamm in verschiedene Richtungen dirigieren. Er leitet ein spirituelles Fest zur Wiederbelebung einer heiligen Stätte der Tuwa und muss dabei die Störungen von Neidern abhalten. Außerdem bekommt er es mit Angriffen auf seine eigene Person zu tun, der eigenwillige, sendungsbewusste und auch kommerziell höchst erfolgreiche Tschinag ist in der mongolischen Elite durchaus umstritten.
Die Aktionen gegen ihn und seine Leute dienen dem Autor Tschinag in diesem Buch als spannungssteigernde Momente, die das Gelingen der "Rückkehr" immer wieder in Frage stellen. Die Erzählung von der Wiedereinsetzung des Häuptlings wird unterbrochen von Erinnerungen an die Vergangenheit, an Galsan Tschinags Weg hinaus in die Welt, der in vor mehr als fünfzig Jahren von seinem Stamm weggeführt hat. Seine Ausbildung in der DDR gehört dazu, seine Arbeit als Hochschullehrer, als Journalist, als Unternehmer und als Schamane. Wie in seinen anderen Büchern auch verwendet Tschinag eine ganz eigene deutsche Sprache, die von der Naturnähe und den religiösen Vorstellungen seines Volkes mitgeprägt ist. Den Erzählungen aus der tuwinischen Geschichte hat diese von Anachronismen durchsetzte Sprache in Tschinags früheren Büchern eine große Kraft verliehen, in diesem neuen autobiographischen Roman wirkt sie allerdings häufig unfreiwillig komisch. Überhaupt befremdet einen die offen ausgestellte Eitelkeit der Häuptlings-Figur Galsan Tschinag. Nichtsdestotrotz aber bleibt die – zwischenzeitliche - Rettung des tuwinischen Nomadenstammes eine äußerst spannende Geschichte.
Rezensiert von Frank Meyer
Galsan Tschinag: Die Rückkehr. Roman meines Lebens
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008
255 Seiten, 19,80 Euro