Zurück zu den schottischen Schafhirten
Es ist eine zurückhaltende Familien-Autobiografie, die Alice Munro mit "Wozu wollen Sie das wissen?" geschrieben hat. Die kanadische Autorin nähert sich ihren Wurzeln im Schottland des frühen 17. Jahrhunderts mit Ausdauer und wissenschaftlicher Nüchternheit. Und verrät dabei mehr über sich, als sie wohl wollte.
Auf dieses Buch haben Alice-Munro-Leser in der ganzen Welt gewartet. Endlich, nach all den Geschichten über Mädchen, Frauen, Jungen und Männer, nach den vielen Erzählungsbänden, die Alice Munro den Sensationen des scheinbar Nebensächlichen gewidmet hat, seit 1968 ihr erstes Buch "Dance of Happy Shades" erschien, schreibt die große kanadische Autorin jetzt ihre eigene Familiengeschichte.
Aber schon der Titel des Bandes "Wozu wollen Sie das wissen?" deutet darauf hin, dass sie diese Geschichte eigentlich nicht erzählen wollte. Nun hat sie es getan, die Geschichte ihrer Vorfahren in eine Chronologie gebracht und in elf Erzählungen unterteilt. Das Wort Roman hat sie umgangen. Obwohl diese fortlaufenden Erzählungen definitiv ein Roman sind.
Die 1931 geborene Autorin, deren Name regelmäßig unter Nobelpreiskandidaten auftaucht, nähert sich ihren Wurzeln mit Ausdauer und wissenschaftlicher Nüchternheit. Die Spuren reichen zurück in das frühe 17. Jahrhundert, als Schottland noch ein eigenes Königreich war, auch wenn es sich den Monarchen mit England teilen musste.
Alice Munro reist ins Ettrick Valley, fünfzig Meilen südlich von Edinburgh, wo ihre Vorfahren Schäfer waren und wo noch heute die Steinpfade zu erkennen sind, die Tier und Mensch benutzten. Bei ihrer Recherche geht sie die Wege, die jeder geht, der nach seinen Ahnen forscht. Sie befragt Briefträger, studiert Kirchenbücher, fährt mit Schulbussen in verlassene Gegenden, trifft Frauen, die Heimatbücher verfasst haben, findet verfallene Grabsteine, stößt auf den Namen Laidlaw, der ihr Mädchenname war.
Sie hört Geschichten von den Laidlaws, die kleine Berühmtheiten erlangten, weil sie schneller als andere über die Berge laufen konnten, weil sie Cognac schmuggelten und in der Furcht vor den Seelen der Verstorbenen lebten, die als Gespenster ihr Unwesen trieben. Früh in dieser Untersuchung über Aberglaube und Glaube, über Kriege, Armut und Sitten, fällt der Satz:
"Jede Form von Selbstinszenierung war in meiner Familie verpönt".
Alice Munro denkt darüber nach, was es bedeutet, das eigene Leben in eine Anekdote zu verwandeln, Aufmerksamkeit zu erregen oder die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken. Man kann die Autorin in diesem Buch dabei beobachten, an der Art, wie sie über sich und ihre Familie erzählt, wie sie mit und gegen sich kämpft.
1808 begibt sich eine kleine Gruppe der Laidlaws an Bord eines Schiffes, um nach Amerika auszuwandern und dort als Farmer eine Existenz zu beginnen. Die abenteuerliche Überfahrt auf einem mit Mensch, Tier und Gepäck überladenen Boot ist für Alice Munro Gelegenheit, ihre Meisterschaft zu zeigen, das zu inszenieren, worauf sie sich so gut versteht: das kleine Drama.
Wunder erwarten die Auswanderer nicht, nur ein Arbeitsleben. Bob Laidlaw, der Vater Alice Munros, verpasst die Chancen, die er eigentlich hatte, züchtet Silberfüchse, scheitert, arbeitet in einer Gießerei. Die Tochter sieht sein Leben, seine Müdigkeit, seine unerträglich muntere zweite Frau und versucht, sich selbst in dieser Abfolge von Personen und Eigenschaften, von Schwächen und verpassten Chancen einzuordnen.
In der letzten, der Titelgeschichte des Bandes, behauptet sie ihren Platz in der Folge von Generationen. "Wozu wollen Sie das wissen?" ist eine zurückhaltende Familien-Autobiografie. Nebensätze, kleine unspektakuläre Bemerkungen sind der Schlüssel zur Person Alice Munros.
Die Erforschung der "Wurzeln", großes Thema der amerikanischen und kanadischen Einwanderergesellschaften, hat mit der Geschichte der Laidlaws ein weiteres Kapitel bekommen. Alice Munro, die Meisterin des Verborgenen, hat die Geschichte ihrer Vorfahren und ihre eigene Rolle darin, ins Sachliche gerettet. Dennoch erfährt man viel über sie, vielleicht mehr als sie beabsichtigte.
Rezensiert von Verena Auffermann
Alice Munro: Wozu wollen Sie das wissen? Erzählungen
Aus dem Englischen von Heidi Zerning
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 2008
380 Seiten, 22,90 Euro
Aber schon der Titel des Bandes "Wozu wollen Sie das wissen?" deutet darauf hin, dass sie diese Geschichte eigentlich nicht erzählen wollte. Nun hat sie es getan, die Geschichte ihrer Vorfahren in eine Chronologie gebracht und in elf Erzählungen unterteilt. Das Wort Roman hat sie umgangen. Obwohl diese fortlaufenden Erzählungen definitiv ein Roman sind.
Die 1931 geborene Autorin, deren Name regelmäßig unter Nobelpreiskandidaten auftaucht, nähert sich ihren Wurzeln mit Ausdauer und wissenschaftlicher Nüchternheit. Die Spuren reichen zurück in das frühe 17. Jahrhundert, als Schottland noch ein eigenes Königreich war, auch wenn es sich den Monarchen mit England teilen musste.
Alice Munro reist ins Ettrick Valley, fünfzig Meilen südlich von Edinburgh, wo ihre Vorfahren Schäfer waren und wo noch heute die Steinpfade zu erkennen sind, die Tier und Mensch benutzten. Bei ihrer Recherche geht sie die Wege, die jeder geht, der nach seinen Ahnen forscht. Sie befragt Briefträger, studiert Kirchenbücher, fährt mit Schulbussen in verlassene Gegenden, trifft Frauen, die Heimatbücher verfasst haben, findet verfallene Grabsteine, stößt auf den Namen Laidlaw, der ihr Mädchenname war.
Sie hört Geschichten von den Laidlaws, die kleine Berühmtheiten erlangten, weil sie schneller als andere über die Berge laufen konnten, weil sie Cognac schmuggelten und in der Furcht vor den Seelen der Verstorbenen lebten, die als Gespenster ihr Unwesen trieben. Früh in dieser Untersuchung über Aberglaube und Glaube, über Kriege, Armut und Sitten, fällt der Satz:
"Jede Form von Selbstinszenierung war in meiner Familie verpönt".
Alice Munro denkt darüber nach, was es bedeutet, das eigene Leben in eine Anekdote zu verwandeln, Aufmerksamkeit zu erregen oder die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken. Man kann die Autorin in diesem Buch dabei beobachten, an der Art, wie sie über sich und ihre Familie erzählt, wie sie mit und gegen sich kämpft.
1808 begibt sich eine kleine Gruppe der Laidlaws an Bord eines Schiffes, um nach Amerika auszuwandern und dort als Farmer eine Existenz zu beginnen. Die abenteuerliche Überfahrt auf einem mit Mensch, Tier und Gepäck überladenen Boot ist für Alice Munro Gelegenheit, ihre Meisterschaft zu zeigen, das zu inszenieren, worauf sie sich so gut versteht: das kleine Drama.
Wunder erwarten die Auswanderer nicht, nur ein Arbeitsleben. Bob Laidlaw, der Vater Alice Munros, verpasst die Chancen, die er eigentlich hatte, züchtet Silberfüchse, scheitert, arbeitet in einer Gießerei. Die Tochter sieht sein Leben, seine Müdigkeit, seine unerträglich muntere zweite Frau und versucht, sich selbst in dieser Abfolge von Personen und Eigenschaften, von Schwächen und verpassten Chancen einzuordnen.
In der letzten, der Titelgeschichte des Bandes, behauptet sie ihren Platz in der Folge von Generationen. "Wozu wollen Sie das wissen?" ist eine zurückhaltende Familien-Autobiografie. Nebensätze, kleine unspektakuläre Bemerkungen sind der Schlüssel zur Person Alice Munros.
Die Erforschung der "Wurzeln", großes Thema der amerikanischen und kanadischen Einwanderergesellschaften, hat mit der Geschichte der Laidlaws ein weiteres Kapitel bekommen. Alice Munro, die Meisterin des Verborgenen, hat die Geschichte ihrer Vorfahren und ihre eigene Rolle darin, ins Sachliche gerettet. Dennoch erfährt man viel über sie, vielleicht mehr als sie beabsichtigte.
Rezensiert von Verena Auffermann
Alice Munro: Wozu wollen Sie das wissen? Erzählungen
Aus dem Englischen von Heidi Zerning
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 2008
380 Seiten, 22,90 Euro