Zurück zum Fluss
Ein Mann kehrt in sein altes Heimatdorf in der Eifel zurück. Beim Fischen im Dorfbach kehren seine Gedanken an die Kindheit zurück. In ruhigem Ton erzählt Norbert Scheuer von Kommunikationsbarrieren und frühen Verlusten.
Ein Sohn kehrt zurück. Leo, der 45-jährige Ich-Erzähler, macht sich im Frühherbst 1996 in sein altes Heimatdorf in der Eifel auf. Abgeschlossen hatte er, so schien es, mit seiner Herkunft und mit der beklemmenden Enge in der elterlichen Gastwirtschaft. Doch nun rufen ihn die Schwestern und die Kellnerin Alma zu Hilfe: Sein zwei Jahre älterer Bruder Hermann scheint von allen guten Geistern verlassen und hat sich in seinem Zimmer verbarrikadiert.
Norbert Scheuer fixiert auch in diesem Buch die ihm vertraute Eifel-Landschaft und findet dafür einen ruhigen, ganz eigenen Ton. Zwei Tage umspannt die von vielen Rückblenden geprägte Handlung: den Tag der Heimkehr, das Hoffen auf das "Vernünftigwerden" des Bruders, seine Einlieferung in die Psychiatrie - und der Tag danach, als Leo im Mühlbach zum Fischen geht, eine Beschäftigung, der sein Vater und sein Bruder einst hingebungsvoll nachgingen.
Während Leo vergeblich versucht, die Fliegenfischerei ebenso gekonnt wie Hermann auszuüben, wandern seine Gedanken in die Kindheit zurück - zum Bruder, der ein paar Jahre zur See fuhr und der Familie als Lebenszeichen von ihm besprochene Kassetten schickte, zum Vater, für den "Fischen das Leben" war, und zur Mutter, die den Verlust ihres ersten Mannes nie verkraftete, sich danach den unterschiedlichsten Wirthausgästen an den Hals warf und die wahren Erzeuger ihrer Söhne nie preisgab. "Wenn sie uns etwas beigebracht hat, dann, keinen zu lieben", so lautet Leos schmerzhafte Einsicht.
Scheuers Roman erzählt von frühen Verlusten, von Kommunikationssperren und vom Streben, das "wahre" Leben - symbolisiert durch den mythischen Urfisch Ichthys - in den Ablagerungen des Flusses zu finden. Unterbrochen wird die Erzählung - sicher nicht der überzeugendste Part des Romans - durch Fischzeichnungen, die der Sohn des Autors gefertigt hat, und etwas betuliche Charakterisierungen jener Tiere (der Hecht als "harmloser Geselle"), die den Mühlbach bevölkern.
Mit großer Detailliebe forschen Scheuer und sein Erzähler dabei nach einem "Sammelsurium aus Worten und Stimmen", nach einem Zusammenhang, der sich nirgendwo mehr einstellt. Wer aufs Wasser blickt, verliert den Glauben an alles Eindimensionale, weil es, wie es im Roman heißt, keinen Unterschied zwischen unseren Vorstellungen und der Wirklichkeit gibt:
"Alles sinkt irgendwann auf den Grund des Flusses, in stille Erinnerung, ins Alleinsein."
"Überm Rauschen" (der Titel bezieht sich auf "den Rauschen", die ortsübliche Bezeichnung für das Wehr, von dem aus das Wasser in die Tiefe stürzt) ist ein psychologisch genau gearbeiteter Roman, der davon handelt, wie präsent die Vergangenheit in der Gegenwart ist. Die gesellschaftliche Realität eines Dorfes und einer Wirtschaft, in die sich kaum noch Touristen verirren, und der scheinbar entrückte Gegenpol der Flusslandschaft greifen ineinander und geben diesem Roman einen stillen, magischen Klang, den man im Ohr behält, noch lange nach der Lektüre.
Besprochen von Rainer Moritz
Norbert Scheuer: Überm Rauschen
Verlag C. H. Beck, München 2009
167 Seiten, 17,90 Euro
Norbert Scheuer fixiert auch in diesem Buch die ihm vertraute Eifel-Landschaft und findet dafür einen ruhigen, ganz eigenen Ton. Zwei Tage umspannt die von vielen Rückblenden geprägte Handlung: den Tag der Heimkehr, das Hoffen auf das "Vernünftigwerden" des Bruders, seine Einlieferung in die Psychiatrie - und der Tag danach, als Leo im Mühlbach zum Fischen geht, eine Beschäftigung, der sein Vater und sein Bruder einst hingebungsvoll nachgingen.
Während Leo vergeblich versucht, die Fliegenfischerei ebenso gekonnt wie Hermann auszuüben, wandern seine Gedanken in die Kindheit zurück - zum Bruder, der ein paar Jahre zur See fuhr und der Familie als Lebenszeichen von ihm besprochene Kassetten schickte, zum Vater, für den "Fischen das Leben" war, und zur Mutter, die den Verlust ihres ersten Mannes nie verkraftete, sich danach den unterschiedlichsten Wirthausgästen an den Hals warf und die wahren Erzeuger ihrer Söhne nie preisgab. "Wenn sie uns etwas beigebracht hat, dann, keinen zu lieben", so lautet Leos schmerzhafte Einsicht.
Scheuers Roman erzählt von frühen Verlusten, von Kommunikationssperren und vom Streben, das "wahre" Leben - symbolisiert durch den mythischen Urfisch Ichthys - in den Ablagerungen des Flusses zu finden. Unterbrochen wird die Erzählung - sicher nicht der überzeugendste Part des Romans - durch Fischzeichnungen, die der Sohn des Autors gefertigt hat, und etwas betuliche Charakterisierungen jener Tiere (der Hecht als "harmloser Geselle"), die den Mühlbach bevölkern.
Mit großer Detailliebe forschen Scheuer und sein Erzähler dabei nach einem "Sammelsurium aus Worten und Stimmen", nach einem Zusammenhang, der sich nirgendwo mehr einstellt. Wer aufs Wasser blickt, verliert den Glauben an alles Eindimensionale, weil es, wie es im Roman heißt, keinen Unterschied zwischen unseren Vorstellungen und der Wirklichkeit gibt:
"Alles sinkt irgendwann auf den Grund des Flusses, in stille Erinnerung, ins Alleinsein."
"Überm Rauschen" (der Titel bezieht sich auf "den Rauschen", die ortsübliche Bezeichnung für das Wehr, von dem aus das Wasser in die Tiefe stürzt) ist ein psychologisch genau gearbeiteter Roman, der davon handelt, wie präsent die Vergangenheit in der Gegenwart ist. Die gesellschaftliche Realität eines Dorfes und einer Wirtschaft, in die sich kaum noch Touristen verirren, und der scheinbar entrückte Gegenpol der Flusslandschaft greifen ineinander und geben diesem Roman einen stillen, magischen Klang, den man im Ohr behält, noch lange nach der Lektüre.
Besprochen von Rainer Moritz
Norbert Scheuer: Überm Rauschen
Verlag C. H. Beck, München 2009
167 Seiten, 17,90 Euro