Solidarität in der aktuellen Krise

Rette sich, wer kann?

Mehrfarbige ausgestreckte Hände die sich berühren.
Zumindest im ersten Jahr der Pandemie gab es ein Gefühl „Wir gegen das Virus“, meint Laura-Kristine Krause. Dieser gemeinsame Gegner fehle in der Preiskrise. © imago / Ikon Images / Donna Grethen
Überlegungen von Laura-Kristine Krause |
Corona hat den sozialen Zusammenhalt gestärkt, zumindest in der Wahrnehmung vieler Menschen in Deutschland. In der aktuellen Krise ist das anders, beobachtet die Politologin Laura-Kristine Krause. Aber sie sieht auch Zeichen der Hoffnung.
In der Haushaltsdebatte im Bundestag vor einigen Wochen sprach Bundeskanzler Olaf Scholz diese Worte: „Unterschätzen Sie unser Land nicht! Unterschätzen Sie nicht die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.“ Und: „Wir haben eine gute Tradition, uns unterzuhaken, wenn es schwierig wird.“
Damit reagierte er auf Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU, zwischen dem und Scholz es im Bundestagsplenum immer regelmäßiger zum verbalen Schlagabtausch kommt. Den Applaus hatte diesmal Scholz auf seiner Seite, aber sprach er auch den Menschen aus der Seele? Wohl eher nicht.

Menschen kümmern sich um sich selbst

In der jüngsten Studie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt meiner Organisation More in Common, für die 2000 Menschen in Deutschland bevölkerungsrepräsentativ befragt wurden, sagen nur 13 Prozent, die Preiskrise und der Umgang damit zeigten, dass die Menschen in Deutschland sich umeinander kümmern.
Für 60 Prozent dagegen zeigt sie, dass die Menschen sich hauptsächlich um sich selbst kümmern. Und nur 32 Prozent rechnen damit, dass die Preiskrise perspektivisch dazu führt, dass die Menschen in Deutschland wieder stärker zusammenhalten. Nach Unterhaken klingt das nicht unbedingt.
In der Coronakrise war das anders: Auch die hatte nicht alle Menschen in gleichem Umfang getroffen, und doch gab es zumindest in den ersten Monaten in Deutschland eine auch im internationalen Vergleich große Welle der Solidarität und des Vertrauens.

Kontrast zur Coronakrise

Was war es, was in der Coronakrise zu mehr Zusammenhalt führte, und warum wirkt die aktuelle Krise nicht so?
Auch wenn Corona eine große gesellschaftliche Belastung war und ist – an manchen Stellen gab es Verbesserungen, auch durch entschiedenes politisches Handeln zum Beispiel im Rahmen der breiten Corona-Hilfen. So haben sich im Corona-Winter 2021 mit 60 Prozent sogar mehr Menschen persönlich gut abgesichert gefühlt als in der Zeit vor Corona. Jetzt in der Preiskrise sagen das nur noch 42 Prozent von sich.

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Auch hat die Pandemie die Gesellschaft in den Augen vieler gerechter gemacht: Vor der Pandemie sagten 63 Prozent, dass es in Deutschland eher ungerecht zugehe, 2020 und 2021 waren es nur noch knapp 50 Prozent. Derzeit, in der Preiskrise sind fast drei Viertel davon überzeugt, in einer ungerechten Gesellschaft zu leben.
Neu dabei ist, dass nicht nur Milieus die Gesellschaft als ungerecht erleben, die auch schon bisher unzufrieden waren. Sondern inzwischen hat diese Wahrnehmung von Ungerechtigkeit auch Milieus erfasst, die bisher durchaus zufrieden mit der Situation waren.

Ein gemeinsamer Gegner fehlt

Und noch etwas ist anders: Zumindest im ersten Jahr der Pandemie gab es ein Gefühl „Wir gegen das Virus“. Dieser gemeinsame Gegner fehlt in der Preiskrise, auch wenn das viele überraschen mag.
Denn schon an der Frage, wer an den steigenden Preisen schuld ist, scheiden sich die Geister: Zwar geben in unseren Befragungen die meisten Menschen Russland die Verantwortung dafür. Doch es sind eben nicht alle. Und die, die dem nicht zustimmen, gehören überwiegend auch bestimmten Milieus an: Es sind Menschen, die wütend sind auf die Eliten und die Politik, oder Enttäuschte, die sich von Politik und Gesellschaft im Stich gelassen fühlen.
Hier brechen sich Misstrauen beziehungsweise Enttäuschung Bahn, die schon vor der Corona-Pandemie da waren.

Zusammenhänge besser erklären

Hinzu kommt, dass 40 Prozent der Bevölkerung die Zusammenhänge, die zu den steigenden Preisen geführt haben, nach eigenen Angaben nicht verstehen. Hier müssen Politik und Journalismus viel mehr und viel besser erklären.
Aber es kommt auch auf die Menschen an, auf uns alle untereinander. Wenn diese Situation ein Gutes hat, dann scheint es dieses zu sein: 61 Prozent sagen, dass ihnen durch die Preisentwicklungen die Probleme anderer Menschen in der Gesellschaft bewusster geworden sind.
Der Druck auf unsere Gesellschaft sorgt also für mehr Perspektivwechsel und eben nicht für „Rette sich wer kann“. Das gibt trotz allem Hoffnung.

Laura-Kristine Krause ist Gründungsgeschäftsführerin von More in Common Deutschland, einer Initiative für gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA. Sie studierte Staats- und Politikwissenschaften in Passau, Berlin und Seattle und ist Mitautorin zahlreicher Studien zum Zustand der deutschen Gesellschaft, darunter auch zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Preiskrise.

Eine junge Frau mit halblangen Haaren lächelt in die Kamera.
© Paula Faraco
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