Keine Probleme, nur Fragen
In Berlin-Neukölln hat sich vor etwa einem Jahr die Initiative Salaam-Schalom gegründet, die dem Frieden zwischen den Religionen dienen soll. Dann kamen der Gaza-Krieg und die Anschläge von Paris und Kopenhagen. Keine einfache Zeit für die Initiative.
Berlin, Hermannplatz, Ecke Sonnenallee. Ein billiger Bäcker mit türkischen Süßspeisen, ein Döner-Stand, daneben dicke Bockwurst mit Toastbrot, eine Ladentheke mit Speiseeis. Eine viel befahrene Kreuzung, Autofahrer huschen noch im letzten Moment über die schon rote Ampel, Radfahrer schlängeln sich vorbei. Alle paar Minuten halten Busse vor dem Bäcker: Menschen drängen hinaus in die Sonnenallee, Studenten, Frauen mit Kopftüchern, mit quengelnden kleinen Jungen, Mütter wuchten Kinderwagen aus der Mitteltür. Schlips und Anzug sind eher selten.
"Ich hatte meine erste WG fünf Minuten von hier weg."
Armin Langer mag Neukölln, wegen der Vielfalt und natürlich auch wegen der niedrigen Mieten. Im Herbst 2013 ist der damals 23-Jährige gekommen, um an der Universität Potsdam Jüdische Theologie zu studieren. Als Jude mit türkischen und arabischen Nachbarn zu leben, findet er normal.
"Ich bin in multikulturellen Gegenden aufgewachsen. In Wien habe ich im Meidling gewohnt, wo es kaum Österreicher gibt, und in Budapest habe ich im so genannten Roma-Ghetto gewohnt und ich habe mich an beiden Orten gut gefühlt."
Deswegen habe er sich auch so aufgeregt, als er hörte, dass Neukölln eine "no go"-Area für Juden sein solle. Ein Gebiet, in dem es gefährlich sei für Juden, weil dort so viele Türken und Araber wohnten, Muslime. In Neukölln sind es 65.000. Ein Rabbiner war beschimpft und auch körperlich angegriffen worden und warnte, dass einige Stadtteile gefährlich seien. Z.B. in Berlin der Wedding und Neukölln. Allerdings: Der Rabbiner wurde in Friedenau überfallen, einem eher gutbürgerlichen Viertel im Berliner Stadtteil Schöneberg. Was hat das mit Neukölln zu tun, mit mir und meinem muslimischen Nachbarn dort, fragte sich Armin Langer, und gründete die Initiative "Salaam-Schalom". Juden sind dabei, aber auch Muslime, Christen, Atheisten.
"Es geht um eine Denkweise, es geht um die potentiellen Folgen dieser Aussagen, die zur Stigmatisierung einer Gruppe führen, die wir nicht wollen."
"Wir selbst haben Dutzende Muslime oder Leute mit muslimischem Hintergrund getroffen, die sich beleidigt gefühlt haben durch diese Aussage und das ist schon ein großes Problem..."
Videos, in denen Neuköllner zu Wort kommen
Langer und seine Mitstreiter gaben ihnen Gelegenheit, ihre Meinung zu sagen – und zwar im Internet, auf youtube. Sie drehten kurze "Testimonials", kleine Videos, in denen Menschen aus Neukölln zu Wort kommen, und stellten sie online.
"Solche Aussagen polarisieren. Sie bringen Menschen auseinander. Ich kann natürlich nicht urteilen, wie es ist, als Jude in Neukölln zu leben, weil ich diese Erfahrung nicht gemacht habe. Ich kann aber sagen, dass ich mich als Muslim freuen würde über jüdische Nachbarn",
sagt Abbas, und Murat:
"Was ich da denke: Ich würde sagen, dass jeder in Kreuzberg und Neukölln willkommen ist, weil es auch ein Ort ist, wo auch jeder lebt."
Neukölln, ein Bezirk, in dem es durchaus dunkle Ecken gibt, Gewalttätigkeit, Kriminalität. Die seien nicht gerade familienfreundlich – egal welcher Religion man angehöre, findet
Omar. "Das heißt nicht, das ich mich unwohl fühle. Ich würde das nicht mit irgendwelchen Religionsgruppen verbinden, sondern mit den Menschen, die in diese Bahn geraten sind, aus welchem Grund auch immer."
Die Sonnenallee mit ihrer hektischen Betriebssamkeit. Csaba Szikra nennt sie "Gaza-Streifen", wegen der vielen Araber. Er kommt aus Ungarn, ist seit vorletztem Oktober in Berlin. In einer jüdischen Gemeinde in Kreuzberg ist er Sozialarbeiter, erzählt er. Er sucht ständig neue Jobs, hat viel Ideen, will Touren für Neuankömmlinge und Touristen anbieten. Er mag das Viertel.
"Ich sage, dass ich bin ein Neuköllner. Ich sage, dass ich Abrahams Sohn bin",
sagt er, und spielt auf den gemeinsamen Stammvater von Juden und Arabern an – Abraham, den die Muslime Ibrahim nennen.
"Neukölln und Kreuzberg sind total multikulturell. Ich glaube, das hier Leben mehr interessanter ist. Ich fühl mich hier sehr gut."
Mit seinem Vergleich der Sonnenallee mit dem Gazastreifen stößt er bei Uri allerdings sofort auf Widerspruch. Der Israeli ist seit gut einem Jahr in Berlin, studiert an der Humboldt-Universität. Die Sonnenallee sei viel zu friedfertig, um als Gazastreifen durchzugehen, entgegnet er vehement.
Uri: "Die Sonnenallee erinnert mich eher an eine friedfertige Variante von Jerusalem. So wie Jerusalem sein könnte, wenn diese Viertel dort nicht in den östlichen Teil hinter Mauern verdrängt würden. Hier in Neukölln scheint es keine Mauern, keine physischen Barrieren zwischen den Bewohnern zu geben."
Die Sonnenallee – Heimat vieler Kulturen
Etliche arabische Händler, viele Palästinenser haben sich im mittleren Teil der Sonnenallee niedergelassen. Eins der Geschäfte, das Handys und andere elektronische Geräte verkauft, heißt "Al Aqsa-Elektro". Im Laden selbst, hinter dem Tresen, hängt ein großformatiges Bild der Al Aqsa-Moschee in Jerusalem. Für Muslime ist es die drittheiligste Moschee, ein Symbol für ihren Anspruch auf Jerusalem. Der Verkäufer, ein Palästinenser, regt sich sofort auf, als er auf den Namen und das Foto angesprochen wird. Mit Uri, dem jüdischen Israeli, will er jetzt nicht sprechen, vor allem, wenn der Reporter zuhört.
Ich war sogar schon mal in dem Laden, um ein Kabel zu kaufen, sagt Uri. Warum auch nicht? Und auch, wenn dies für den Einkauf keine Rolle spielte, sagt er, stehe er den Palästinenser politisch sogar nahe. Jerusalem sei seine Heimatstadt – und auch die von Arabern.
"Sagen wir, dass ich den Staat Israel heftig kritisiere, und zwar, wie er derzeit existiert und wie er Menschen diskriminiert. Zum Beispiel werden die Einwohner Ost-Jerusalems täglich dort diskriminiert, wo sie leben und wo sie geboren sind. Wenn ich gefragt werde, woher ich komme, sage ich nicht Israel, sondern Jerusalem. Weil ich mich mehr als ein Einwohner Jerusalems fühle denn als Israeli."
Lela Mawazi kam Mitte 2014 zu Saalam Schalom, als die Lage im Nahen Osten wieder einmal eskalierte und es zu einem erneuten Krieg kam – und zwar tatsächlich im Gazastreifen.
"Ich bin halb Deutsch, halb palästinensisch-israelisch",
sagt die 23-Jährige. Sie wohnt in Berlin, hat aber auch im Nahen Osten gelebt. Sie beschreibt den Weg zu Salaam Schalom als eine Art Therapie.
"Diesen Sommer ging es mir halt sehr schlecht, klar, damit war ich nicht alleine. Dann habe ich auch so eine persönliche Entwicklung durchgemacht. Wenn man immer zugeschüttet wird mit den ganzen Nachrichten, und man sieht jeden Tag die neuen Bilder, dann kommt man in ein Gedankenkarussell hinein, in so ne Tretmühle, und das ist unheimlich schwierig, bei sich zu bleiben und zu versuchen, keinen Hass zu empfinden, keinen schlimmen Gefühle die ganze Zeit zu haben. Und da müssen wir raus. Es gibt für mich nur einen Weg, mit den Menschen zusammen",
sagt Ina Bretschneider. Sie ist von Anfang an in der Gruppe und betreibt eigentlich ein Reisebüro.
"Ich meine, es ist dich klasse, was wir an Erfolg, Erfolg doch haben und wieviel wir auch schon bewegt haben. Ich denke schon, dass wir schon viel bewegt haben, und wenn es auch nur in den Herzen der Menschen ist, in der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit."
Noch einmal Lela Mawazi:
"Es geht darum, wenn man zusammenfinden möchte, muss man das auf einer Ebene tun, auf der man auch zusammenfinden kann. Im Nahost-Konflikt ist es so, egal wie nahe man beieinander ist, von der politischen Meinung her ist man noch meilenweit entfernt, also was funktioniert am besten: Man versucht erst mal auf einer menschlichen Ebene zusammenzufinden und dann kann man sich auch an andere Themen wagen."
Salaam Schalom sozusagen als eine kleine Welt für sich – Konflikte von außen sollen da nicht hineinfinden. Eine bewusste Entscheidung, andere als Individuum zu sehen, nicht als Vertreter einer politischen oder religiösen Gruppierung oder Tradition. Das ist nicht einfach. Armin Langer:
"Denn viele von uns Verwandte und Bekannten haben sowohl in Gaza als auch in Israel oder im Westjordanland. Natürlich fühlen viele mit. Ich habe es an den Gesichtern von israelischen und palästinensischen Mitgliedern unserer Gruppe gesehen, dass es ihnen in dieser Zeit schlimmer geht als sonst. Und wenn sie ihre Facebook öffnen, dann ist es voll mit Bildern aus dem Krieg mit gestorbenen Babys und so weiter. Das alles kennen wir. Was wir verhindern wollten, dass Leute aus dem Nahen Osten den Konflikt nach Berlin importieren."
Auswirkungen auf das Zusammenleben
Das heißt für sie, nicht den Konflikt zu thematisieren, sondern die möglichen Auswirkungen auf das Zusammenleben. Zum Beispiel mit einem Flashmob bei einer Veranstaltung der palästinensischen Gemeinde.
"Davor hatte uns die Polizei gewarnt, bitte keine Juden mit Kippas, das würde nur Stress und Gewalt führen. Wir hatten mehrere Juden mit Kippas und alles lief so schön und friedensvoll. Teilnehmenden der palästinensischen Gemeinde haben sich unsere Menschenkette angeschlossen, auch neutrale Passanten. Wir alle haben uns sehr gut gefühlt."
Auch in seinem Alltag und in seiner Neuköllner Nachbarschaft verschweigt Armin Langer nicht, dass er Jude ist.
"Zum Beispiel, ich habe meinem Friseur erzählt, weil er gefragt hat, was ich jetzt in Berlin mache und auch habe erzählt, dass ich jetzt Rabinat-Studien mache und er hat dann Fragen gestellt, über das Judentum und wie die Ausbildung aussieht und seine Fragen waren nicht, du hast meine Oma umgebracht, obwohl tatsächlich seine Oma durch Israelis umgebracht wurde, aber das ist eine andere Geschichte. Das hat mit mir nichts zu tun und er weiß das auch. Ich kauf die Jüdische Allgemeine regelmäßig bei einem Türken an der Ecke, weil er der nächste ist, und er hat noch nie Kommentare gemacht, ach hier ist der Jude wieder ...oder so. Und wir haben regelmäßig Kontakte mit unseren nicht-jüdischen Nachbarn und keiner von uns hat Probleme erlebt, im Gegenteil, nur Fragen."
Salaam-Schalom, das sind vielleicht 50 Menschen unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergrundes. Sie wollen in Berlin leben, wohnen, sich treffen: Das heißt auch, sich informieren und diskutieren. Wie kosher sind Moslims, wie hallal sind Juden – das waren, mit leicht ironischem Titel, Veranstaltungen in einer Synagoge und in einer Moschee, bei denen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Religion und Kultur gesprochen wurde. Ina Bretschneider:
"Dieses eine Jahr hat mir gezeigt, dass es viele Menschen gibt, die gemeinsam etwas bewegen wollen, die es schaffen wollen, such anzunähern, auch durch gemeinsame Aktionen mehr Wahrnehmung und Aufmerksamkeit zu erreichen."
Und dies trotz Anschlägen, zunächst in Paris, später dann in Kopenhagen.
"Wir verurteilen natürlich die Angriffe, die haben keinen Platz. Aber wenn sie schon geschehen sind, dürfen sie nicht benutzt werden, um anti-muslimischen Rassismus zu propagieren. Und wir sehen, das genau das passiert in der Öffentlichkeit. Dagegen soll man seine Stimme erheben. Und ich glaube, das wäre ein Ziel für 2015 auf Politiker und Medienmacher Druck zu machen, dass sie Islamophobie als eine Art von Rassismus anerkennen."