Ist ein Generationen-Konflikt nur der Sonderfall?
Müssen die Jungen immer gegen die Älteren rebellieren? Ist es normal, wenn die heutige Jugendgeneration nicht aufbegehrt? Die Rebellion einer Generation hänge von der politischen Ausgangssituation ab, sagt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann.
"Wir wollten nie wie unsere Eltern werden / Und sind es ja auch nicht geworden – unsere Eltern sind ja älter und ziemlich provinziell"
In "Dreißigjährige Pärchen" besingt Rainald Grebe junge Paare, die beim gemeinsamen Essen über die Größe von Pfeffermühlen diskutieren. Wie ihre Eltern sind sie nicht geworden, schließlich sind die Eltern ja älter – damit skizziert der Liedermacher auf ironische Weise das, worüber in Feuilletondebatten regelmäßig geklagt wird: Eine spießige junge Generation, die gar nicht daran denkt, gegen die Eltern zu rebellieren.
"Wir haben ganz klare Belege dafür, dass die Beziehung zwischen den 15- bis 25-Jährigen und ihren Eltern ungewöhnlich reibungslos ist, von gegenseitigem Respekt getragen."
Sagt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance in Berlin. Allerdings ist das kein wirklich neues Phänomen. Schon im Juli 1999 betitelte der "Spiegel" die Jugend als die "Die jungen Milden" und konstatierte:
"Die gegenwärtig 15- bis 25-Jährigen gehören zur ersten Generation in der Bundesrepublik, die ohne Revolte, ja ohne irgendeinen deutlich artikulierten Widerspruch gegen die Älteren, zumal die leiblichen Eltern, aufzuwachsen scheint."
Anders war das noch in den 1980er-Jahren. Damals war der Generationenkonflikt in vollem Gange, schreibt der Münchner Sozialwissenschaftler Thomas Gensicke. Mitte der 1990er-Jahre veränderte sich die Haltung der jungen Generation gegenüber den Älteren grundlegend. Darauf weist auch Klaus Hurrelmann hin, Mitautor der Shell-Jugendstudie:
"Dass eine junge Generation charakterisiert ist dadurch, dass sie gegen die Elterngeneration aufbegehrt, das lässt sich historisch nicht verallgemeinern, sondern es hängt von der Ausgangssituation ab."
Dass Jugend mit Rebellion assoziiert wird, liege vor allem an der 68er Generation. Das Aufbegehren der Jungen gegen die Alten in den 1960er-Jahren war allerdings die Ausnahme, nicht der Normalfall, so Hurrelmann.
"Die Vorstellung, dass bestimmte Generationen sehr rebellisch sind, ist eine sehr neue", gibt der Historiker Bodo Mrozek von der HU Berlin zudem zu bedenken. "Und man kann sich grundlegend fragen, ob das überhaupt für die gesamte 68er Generation so zugetroffen hat. Also in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens taucht '68' gar nicht so stark als Generationskonflikt auf, wie es vor allem im Nachhinein perspektiviert worden ist."
Laut Mrozek hat nicht die gesamte 68er-Generation aufbegehrt. Dass wir diese Generation heute als überaus rebellisch in Erinnerung haben, liegt Mrozek zufolge auch daran, dass das Bild der rebellischen 68er teilweise erst im Nachhinein konstruiert wurde.
"Die junge Generation kann es den Älteren nie Recht machen"
Interessanterweise sind Mitglieder genau dieser Generation nun diejenigen, die die junge, vermeintlich unrebellische Generation am stärksten kritisieren – sie folgen damit einer guten alten Tradition, meint Klaus Hurrelmann:
"Der jungen Generation werden immer negative Attribute umgehängt in der breiten öffentlichen Diskussion, und das spiegelt auch die Einschätzung der älteren Generation wieder, die junge Generation kann es den Älteren historisch gesehen, wenn man solche Einschätzungen mal verfolgt, nie Recht machen."
Bodo Mrozek: "Es gibt geradezu - könnte man überspitzt sagen - die Erwartung der Alten an die Jugend, dass sie sich ihnen gegenüber unhöflich verhält, weil sonst irgendwas im Aufwachsen und im generationalen Selbstverständigung nicht richtig läuft."
Vor diesem Hintergrund kann man das Nicht-Aufbegehren der heutigen Jugendgeneration auch anders interpretieren, so der Historiker Mrozek:
"Dass die Jugendlichen selbst eigentlich nur noch dagegen rebellieren, indem sie genau das nicht tun – also genau das ist dann ein konfliktuöses Verhalten, wenn der Konflikt als Normalfall erwartet wird, dann wird's zum Konflikt, wenn der ausbleibt."
Mitte des 20. Jahrhundert war das noch anders, da war die Rebellion hörbar – so wie die des Rock n Roll durch Bill Haley & His Comets.
Bodo Mrozek: "Was die Popkultur betrifft wurde in den 50er-Jahren Musik noch ganz klassenspezifisch und generationsspezifisch gehört – Rock 'n' Roll war ein Phänomen Jugendlicher Arbeiter, das zeigen auch alle Umfragen aus dieser Zeit. Das hat sich im Zuge der 60er-Jahre sehr stark aufgeweicht, auch weil Medien sich eingeschaltet haben, weil bestimmte Formate viel besser erreichbar waren, die Vinyl-Schallplatte verbreitet war."
In den darauffolgenden Jahrzehnten hat sich das Verhältnis von Jugendkultur und Popkultur verändert, so Mrozek, der Geschichte der Popmusik lehrt:
"Wir beobachten einen allgemeinen Prozess einer Verschiebung von der spezifischen Jugendkultur hin zu einer generationell verbreiterten Popkultur, die auch sozial unterschiedliche Schichten vereinigt hat."
In den 80er-Jahren veranschaulicht der Erfolg der Neuen Deutschen Welle, wie der einstige Jugendprotest des Punks aufgegangen ist in einer generationenübergreifenden Popkultur.
Für popkulturelle Produkte gibt es eine neue Zielgruppe
Heutzutage wird die Popkultur nicht mehr hauptsächlich von Jugendlichen getragen. Warum, erklärt Mrozek so:
"In den letzten Jahrzehnten unseres noch jungen Jahrhunderts stellen Jugendliche in den westlichen Industriegesellschaften gar nicht mehr die größten Konsumentengruppe, das sind inzwischen alte Menschen – und der Markt für popkulturelle Produkte wendet sich eher an ältere Menschen und Jugendliche sind gar nicht mehr die Hauptgruppe popkultureller und musikalischer Produkte."
Das heiße aber nicht, dass man im Pop keinen Protest mehr ausdrücken könne – im Gegenteil, erstaunlicherweise gelinge das der jungen Generation immer wieder, sagt Mrozek:
"Wenn man sich ansieht, etwa die Diskussion um den Twerk, also ein mit dem Unterkörper explizit getanzte – manche würden sagen – Sexualpantomime, dann fühle ich mich sehr stark erinnert an Debatten, die man in den 60er-Jahren geführt hat um den Twist im gleichen Vokabular und vorher um den Rock 'n' Roll und früher um den Wiener Walzer – also die Grenzen des Darstellbaren und des Zeigbaren werden nach wie vor verhandelt – nach wie vor auch auf dem Gebiet der Popkultur, aber eben nicht nur."