Zusammenleben mit Muslimen

"Auf notwendiger Klarheit bestehen"

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Steffen Reiche, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Nikolassee. Reiche gehörte 1989 zu den Mitbegründern der SPD in der DDR und war lange Jahren Minister in Brandenburg sowie Bundesstagsabgeordneter © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Moderation: Ute Welty |
Wie kann Christen, Juden und Muslimen in Deutschland das Zusammenleben gelingen? Der Theologe Steffen Reiche fordert, gegenüber Muslimen deutlicher auf die Unteilbarkeit der universellen Menschenrechte zu pochen. Und er klagt von allen den Respekt für den anderen Glauben ein.
Der evangelische Theologe und Sozialdemokrat Steffen Reiche fordert, die Akzeptanz der universellen Menschenrechte deutlicher auch von Muslimen einzufordern.
"Wer das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, wer die Gleichberechtigung von Frauen nicht anerkennt, der hat keine Zukunft hier in Deutschland, wer die Rechte von Schwulen oder von Christen nicht anerkennt, der wird hier in Deutschland nicht auf Dauer leben können", sagte Reiche im Deutschlandradio Kultur. "Da muss ganz große Klarheit bestehen, im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft," so der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Nikolassee, der seit 2013 die so genannten "Brennpunktgespräche" organisiert, einer offenen Vortrags- und Diskussionsreihe zum christlich-muslimischen Dialog.

Notwendige Klarheit in Sachen Menschenrechte

Gefordert sei eine solche "notwendige Klarheit" auch angesichts von Diskriminierungen von christlichen Flüchtlingen in Flüchtlingsheimen durch Muslime. Gerade um Politikern der AfD oder Rechtsextremen "das Wasser abzugraben", müsse darauf bestanden werden, dass die gesamten grundlegenden Werte der universellen Menschenrechte auch von Muslimen zu akzeptieren seien. Dazu gehöre einerseits das unbestrittene Recht auf Asyl und auf Nicht-Diskriminierung von Muslimen, aber Klarheit im Recht sei ebenso von den Muslimen im Umgang mit anderen Glaubensrichtungen gefordert. Die Botschaft müsse lauten: "Ihr müsst dann auch unsere Werte akzeptieren und ihr könnt nicht die Rechtsauffassung, (…) vor der ihr geflohen seid, hier wieder aufbauen. Das eben geht nicht."

Keine Diskriminierung von Christen

Reiche forderte von Muslimen in Deutschland, aber auch überall in der Welt ebensolche Anerkennung und Respekt für die christliche Glaubensausübung, wie sie beispielsweise bei Gastbesuche seiner Gemeinde in der Şehitlik-Moschee in Berlin zum Ausdruck gekommen sei, wo mit hohem Respekt gemeinsam mit Muslimen das islamische Fest des Fastenbrechens zum Abschluss des Fastenmonats Ramadan gefeiert wurde. Gemeinsam müsse durchgesetzt werden, dass das, was die vielen Muslime aus der Türkei, dem Irak, aus Afghanistan hier an Religionsfreiheit erlebten, auch in ihren Herkunftsländern gegenüber den Christen praktiziert werde: "Weil die Menschenrechte eben universal und global sind, für alle Menschen an allen Orten gelten, für Muslime und Christen."

Universelle, unteilbare und global geltende Menschenrechte

Die in Deutschland auf der Grundlage der universellen Menschenrechte praktizierte Religionsfreiheit müsse überall gleichermaßen gelten. Es dürfe nicht sein, dass einerseits Muslime hier Moscheen bauen könnten, aber dort, wo Christen schon hunderte Jahre vor Muslimen gelebt haben, in den letzten tausend Jahren keine neuen Kirchen gebaut werden durften oder bestehende zerstört wurden. "Und es ist ein der größten Enttäuschungen in meinem Leben überhaupt: () Die größte Christenverfolgung in über 2000 Jahren überhaupt findet gerade jetzt in diesen Tagen statt," sagte der 55-jährige evangelische Theologe, der 1989 die SPD in der DDR mitbegründete und nach langjähriger Tätigkeit als Minister in Brandenburg und Bundestagsabgeordneter seit 2009 wieder als Pfarrer arbeitet.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Trauer, Klage, Kummer – es sind diese drei Elemente, diese drei Stimmungen, die die Karwoche, natürlich diesen Karsamstag kennzeichnen, nachdem Jesus am Karfreitag am Kreuz gestorben ist, ist der heutige Tag der Tag der Grabesruhe. Es finden keine Gottesdienste statt, und in den Kirchen stehen weder Blumen noch Kerzen. Für viele Menschen, die neu in Deutschland sind, dürfte diese Karwoche und dieses Ostern vielleicht sogar eines dieser berühmten ersten Male sein, wenn sie denn den Kulturschock an Weihnachten schon verarbeitet haben. Wie und wo treffen sich die Religionen an den hohen Feiertagen? Das bespreche ich jetzt mit Steffen Reiche, evangelischer Pfarrer an der Kirche Nikolassee in Berlin. Guten Morgen, Herr Reiche!
Steffen Reiche: Guten Morgen!
Welty: Neben deutschen Christen leben in Ihrer Gemeinde auch Christen aus Syrien. Fühlen die sich wohl mit dieser deutschen Art, Ostern zu feiern mit all dem bunten Hasenkitsch, den es zu kaufen gibt?

"Auf Menschenrechte kann es für niemanden in Deutschland Rabatt geben"

Reiche: Die finden das zumindest spannend, und da uns die Grundwerte, die Grundeinstellungen verbinden, sind sie ganz nahe bei uns und feiern wir, von den unterschiedlichen Traditionen begeistert, die von uns, wir von ihnen – gemeinsam Ostern, das geht. Was sie natürlich zu diesem Osterfest beschwert, ist, dass nicht nur hier in Berlin, sondern überall in Deutschland und in Europa aus Syrien geflohene Christen nicht in den Asylbewerberheimen gleichberechtigt leben können, weil sie eben in ihrem Glauben von den Muslimen unterdrückt werden. Und das ist ein wichtiges Anliegen der Kirchen, daran zu erinnern, dass es auf die Menschenrechte auch zu Ostern 2016 für niemand in Deutschland Rabatt geben kann. Wer das Existenzrecht von Israel nicht anerkennt, der hat kein Existenzrecht hier in Deutschland. Wer die Gleichberechtigung von Frauen nicht anerkannt, der hat keine Zukunft hier in Deutschland. Wer die Rechte von Schwulen oder eben von Christen nicht anerkennt, der wird hier in Deutschland nicht auf Dauer leben können.
Welty: Das, was Sie beschreiben, klingt eher nach Abgrenzung, wenn auch positiv gemeinte Abgrenzung, denn nach Verbindung, oder?

"Klarheit im Recht und Klarheit bei unseren Werten"

Reiche: Frau Welty, das ist keine Abgrenzung, sondern das ist die notwendige Klarheit. Natürlich haben die Menschen, die hier Asylrecht begehren, die hier leben wollen, dieses Recht, und das ist auch eine überwiegende Mehrheit der Deutschen, die das so sieht. Gott sei Dank, der Entwicklung der Rechte in den letzten 40 Jahren sei Dank. Aber wir müssen, damit das auch morgen noch hält, eben mit der gleichen Klarheit, um den Leuten von AfD und Rechtsextremen das Wasser abzugraben, sagen: Ihr sollt und könnt hier leben, wir werden euch schützen, wir werden mit euch unseren Reichtum teilen. Aber ihr müsst dann auch unsere Werte akzeptieren, und ihr könnt nicht die Rechtsauffassungen, die Diskriminierungen, vor denen ihr geflohen seid, versuchen hier wieder aufzubauen. Das eben geht nicht, nein. Da muss ganz große Klarheit bestehen im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft. Ihr kommt zu uns – unsere Werte der Gleichberechtigung von Frauen, der Nichtdiskriminierung von Religionen, natürlich auch nicht des Islam. Der Islam darf nicht diskriminiert werden, und Moslems haben die gleichen Rechte wie wir Christen. Aber das muss dann eben auch für die Christen in den Asylbewerberheimen gelten. Und deshalb – nicht Abgrenzung, sondern Klarheit im Recht und Klarheit bei unseren Werten.

Die Festtage der großen Weltreligionen

Welty: Wenn Sie grundsätzlich mal auf die Feste, auf die Festtage der drei großen Weltreligionen schauen, also Christentum, Judentum, Islam, worin bestehen grundsätzliche Unterschiede über das, was da erzählt wird, an diesen Festtagen, von dem Verhältnis der Menschen zu ihrem Gott?
Reiche: Da ist ein riesiger Unterschied. Juden und Christen sind ganz nahe beieinander, weil beide mit dem Passahfest und mit Ostern Geschehen in der Geschichte erinnern und feiern. Das heißt, den Juden und den Christen ist Gott in der Geschichte begegnet, und er hat das Leben der Menschen radikal verändert mit dem Auszug, dem Exodus aus dem Sklavenhaus in Ägypten, mit der Befreiung aus der Knechtschaft hat sich für Israel alles für alle Zeit geändert. Und das wird jedes Jahr zum Pessachfest erinnert. Und für die Christen ist es genauso mit Jesus. Da ist ein Mensch in die Welt gekommen, von dem die Christen bis heute glauben, dass Gott sich ihnen in diesem Menschen offenbart hat, und das hat das Leben der Menschen wirklich grundlegend geändert. Sonst würden wir in Europa hier nicht mit unseren Rechten leben, sonst würden wir nicht mit der Aufklärung leben, denn die Aufklärung ist ein spätes Produkt, eine späte Folge der Aufklärung durch Jesus. Zum Beispiel in der Karwoche: Die ist erstritten worden gegen die Kirchen, gegen den Staat in über 2000 Jahren. Ganz anders dagegen bei den Moslems. Die haben im Grunde genommen außer dem Ramadan kein Fest. Und der Ramadan ist eben kein Fest, das Geschichte erinnert, das Geschehenes in der Geschichte erinnert, sondern der in der Ramadan-Zeit, in dieser Fastenzeit den absoluten Islam, die absolute Unterwerfung gegenüber dem absoluten Gott praktizieren will. Wir sind mit unserer Gemeinde in einem wirklich denkwürdigen Prozess, einmal in die wunderbare Şehitlik-Moschee hier in Berlin gefahren, haben mit den Muslimen Ramadan gefeiert, in hohem Respekt für ihre Art zu feiern, die ganz anders ist als unsere. Und ich wünsche mir, ich erwarte, dass Muslime mit dem gleichen Respekt, mit der gleichen Anerkennung auch uns feiern lassen, und zwar nicht nur hier in Deutschland, sondern Christen überall in der Welt. Und das, muss ich sagen, ist eine der größten Enttäuschungen, Überraschungen in meinem Leben überhaupt: Als ich studiert habe, war klar, für mich sozusagen unverrückbar klar, dass die größte Christenverfolgung in den ersten 300 Jahren im römischen Reich stattgefunden hat. Ich habe mich damals getäuscht oder täuschen lassen. Denn die größte Christenverfolgung überhaupt in über 2000 Jahren Geschichte findet gerade jetzt in diesen Tagen statt. Und der Bundestag hat dankenswerterweise mehrfach, auch auf Initiative von Volker Kauder von der CDU, immer wieder dies angeklagt und gemahnt, dass, wenn wir Religionsfreiheit praktizieren, dies eben für alle in gleicher Weise gelten muss, weil die Menschenrechte, die dieses Recht auf ungehinderte Religionsausübung garantieren, eben universal und global sind, für alle Menschen an allen Orten gelten, für Muslime und Christen. Und wir müssen gemeinsam durchsetzen, dass das, was die vielen Moslems aus der Türkei, aus dem Irak, aus Afghanistan hier erleben, auch in ihren Herkunftsländern gegenüber den Christen praktiziert wird. Es kann und darf nicht sein, dass Muslime hier Moscheen bauen, und dort, wo Christen 600 Jahre vor den Muslimen gewohnt haben, in den letzten tausend Jahren keine neuen Kirchen gebaut werden durften beziehungsweise bestehende zerstört werden.
Welty: So weit der Appell von Steffen Reiche, evangelischer Pfarrer hier in Berlin. Dafür herzlichen Dank!
Reiche: Ihnen einen guten Tag und einen stillen Samstag!
Welty: Das wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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