Zusammenprall von Kapitalismus, Klamotte und Weltuntergang
Milan Peschel inszeniert den ganzen Sternheim, alle drei Teile von "Aus dem bürgerlichen Heldenleben". Dabei beginnt er mit einem erotischen Feuerwerk in "Die Hose", tut sich dann zunehmend schwerer und gewinnt aber im Finale viel zurück.
Schon zu Lebzeiten war der Dramatiker Carl Sternheim weithin vergessen; er, der bereits die Autoritäten des Kaiserreiches bis aufs Blut gereizt hatte, wurde mundtot gemacht und verboten von den Nazis - und noch während des zweiten der deutschen Kriege im vorigen Jahrhundert ist der Autor gestorben. Das zeitgenössische Theater danach hat sich nie mehr so recht anfreunden können mit den Stücken des bissig-expressionistischen Anti-Preußen aus Leipzig, der im freistaatlichen München den Lebensmittelpunkt fand und später in Belgien lebte.
Insofern hat die Trilogie "Aus dem bürgerlichen Heldenleben", die Milan Peschel jetzt fürs Staatsschauspiel in Hannover erarbeitet hat, beinahe das Zeug zur Wiederentdeckung; in der Stadt, in der Sternheim reichlich Jugendzeit verbrachte. Nach über vier Stunden Spielzeit, im Finale mit Kriegsdonner und Blitz, ist kurz die Rede davon.
Der ganze Sternheim sollte es für Peschel sein - also "Die Hose", jene Farce über bürgerliche Halb-Moral, an deren Beginn gelockertes weibliches Unterzeug im öffentlichen Raum steht und in deren Verlauf sich das Potenzial zu allerlei außerehelichen Vergnügungen findet. Dann "Der Snob", die Fabel vom Aufsteiger, der aus dieser bürgerlichen Helden-Ehe schließlich doch noch hervor gegangen ist und zum Zwecke des gesellschaftlichen Aufstiegs in den Adel über Leichen geht.
Schließlich "1913", das ziemlich visionäre Zeitbild vom Vorabend des Ersten Weltkriegs (die Uraufführung wurde nach dessen Ausbruch verboten), an dem die Waffenfabriken des bürgerlichen Aufsteigers sowie der Kapitalismus an sich an die Grenzen des Wachstums geraten sind und eben nur noch ein Krieg die wirtschaftliche Rettung bringen kann. Speziell hier, im letzten Viertel von Milan Peschels Inszenierung, funkelt und donnert und blitzt es generell vor Aktualität.
Der stärkste Part der Inszenierung durch den einstigen Protagonisten des Berliner Castorf-Theaters ist aber der Beginn - da feuert Peschel für den erotischen Grabenkampf um "Die Hose" Salve um Salve an Energie auf die Bühne wie ins Publikum; die Türen knallen, und das hannoversche Ensemble überschlägt sich schier im deliranten Tempo der Inszenierung. Moritz Müller hat außer den Türen einen halbdurchsichtigen Paravent, inklusive greiser Mama drin, hinter den erotischen Rummel-, Schummel- und Tummelplatz gehängt, sozusagen die Bühnenbild gewordene "Maske" dieser Welt - und "Maske", diesen extrem sprechenden Namen, trägt ja Sternheims bürgerliche Heldenfamilie. Zum Spiel in Masken wird der Abend naturgemäß immer wieder.
Schwerer tun sich Müller und Peschel merklich mit dem zweiten Teil - die bürgerliche Wohnküche muss sich nun ja immerhin umstandslos weiten zum Salon, gar zu schlossähnlicher Monumentalität; und auch das Denken muss raus dem kleinen Karo zuvor. Prompt und plötzlich jedoch verliert die Inszenierung massiv an Tempo und Energie. Hoch war sie eingestiegen, jetzt erinnert sie sich gerade so eben noch an die Dynamik von vorher.
Christian Maskes Aufstieg in höhere Sphären und (leider verarmte) Adelskreise ist nicht viel mehr als eine Folge von entscheidenden Momenten; der dramatische Atem geht dem Stück beinahe aus. Im dritten Teil schließlich bricht dann wenigstens blanker Expressionismus aus, in den Bildern wie im Spiel - und deutlicher konzentriert sich Peschel mit dem Ensemble auch auf Sternheims eigenwillige Sprache. Deren abgehackte Bruchstückhaftigkeit war zunächst, im Kampf um die Frau in der Hose, nur sonderbar und verstärkte die Farce - jetzt, im Kampf des alten Maske um die Rettung des Erbes und für den Krieg als Vater und Mutter aller wirtschaftlichen Dinge, wird sie existenziell.
Leider aber droht auch allerhand Schnickschnack in diesem dritten Teil, "1913" ist auch Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Derweil schärfen sich - parallel zum Wirtschaftsdrama - die präfaschistischen Visionen... im Finale gewinnt Peschel damit viel zurück vom zwischenzeitlich verlorenem Terrain. Das hannoversche Ensemble zieht (wie den ganzen Abend über) höchst engagiert und pointiert mit - für eine Sternheim-Beschwörung, die sicher nicht alle, aber sehr viele Erwartungen erfüllt hat: im Zusammenprall von Kapitalismus, Klamotte und Weltuntergang.
Insofern hat die Trilogie "Aus dem bürgerlichen Heldenleben", die Milan Peschel jetzt fürs Staatsschauspiel in Hannover erarbeitet hat, beinahe das Zeug zur Wiederentdeckung; in der Stadt, in der Sternheim reichlich Jugendzeit verbrachte. Nach über vier Stunden Spielzeit, im Finale mit Kriegsdonner und Blitz, ist kurz die Rede davon.
Der ganze Sternheim sollte es für Peschel sein - also "Die Hose", jene Farce über bürgerliche Halb-Moral, an deren Beginn gelockertes weibliches Unterzeug im öffentlichen Raum steht und in deren Verlauf sich das Potenzial zu allerlei außerehelichen Vergnügungen findet. Dann "Der Snob", die Fabel vom Aufsteiger, der aus dieser bürgerlichen Helden-Ehe schließlich doch noch hervor gegangen ist und zum Zwecke des gesellschaftlichen Aufstiegs in den Adel über Leichen geht.
Schließlich "1913", das ziemlich visionäre Zeitbild vom Vorabend des Ersten Weltkriegs (die Uraufführung wurde nach dessen Ausbruch verboten), an dem die Waffenfabriken des bürgerlichen Aufsteigers sowie der Kapitalismus an sich an die Grenzen des Wachstums geraten sind und eben nur noch ein Krieg die wirtschaftliche Rettung bringen kann. Speziell hier, im letzten Viertel von Milan Peschels Inszenierung, funkelt und donnert und blitzt es generell vor Aktualität.
Der stärkste Part der Inszenierung durch den einstigen Protagonisten des Berliner Castorf-Theaters ist aber der Beginn - da feuert Peschel für den erotischen Grabenkampf um "Die Hose" Salve um Salve an Energie auf die Bühne wie ins Publikum; die Türen knallen, und das hannoversche Ensemble überschlägt sich schier im deliranten Tempo der Inszenierung. Moritz Müller hat außer den Türen einen halbdurchsichtigen Paravent, inklusive greiser Mama drin, hinter den erotischen Rummel-, Schummel- und Tummelplatz gehängt, sozusagen die Bühnenbild gewordene "Maske" dieser Welt - und "Maske", diesen extrem sprechenden Namen, trägt ja Sternheims bürgerliche Heldenfamilie. Zum Spiel in Masken wird der Abend naturgemäß immer wieder.
Schwerer tun sich Müller und Peschel merklich mit dem zweiten Teil - die bürgerliche Wohnküche muss sich nun ja immerhin umstandslos weiten zum Salon, gar zu schlossähnlicher Monumentalität; und auch das Denken muss raus dem kleinen Karo zuvor. Prompt und plötzlich jedoch verliert die Inszenierung massiv an Tempo und Energie. Hoch war sie eingestiegen, jetzt erinnert sie sich gerade so eben noch an die Dynamik von vorher.
Christian Maskes Aufstieg in höhere Sphären und (leider verarmte) Adelskreise ist nicht viel mehr als eine Folge von entscheidenden Momenten; der dramatische Atem geht dem Stück beinahe aus. Im dritten Teil schließlich bricht dann wenigstens blanker Expressionismus aus, in den Bildern wie im Spiel - und deutlicher konzentriert sich Peschel mit dem Ensemble auch auf Sternheims eigenwillige Sprache. Deren abgehackte Bruchstückhaftigkeit war zunächst, im Kampf um die Frau in der Hose, nur sonderbar und verstärkte die Farce - jetzt, im Kampf des alten Maske um die Rettung des Erbes und für den Krieg als Vater und Mutter aller wirtschaftlichen Dinge, wird sie existenziell.
Leider aber droht auch allerhand Schnickschnack in diesem dritten Teil, "1913" ist auch Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Derweil schärfen sich - parallel zum Wirtschaftsdrama - die präfaschistischen Visionen... im Finale gewinnt Peschel damit viel zurück vom zwischenzeitlich verlorenem Terrain. Das hannoversche Ensemble zieht (wie den ganzen Abend über) höchst engagiert und pointiert mit - für eine Sternheim-Beschwörung, die sicher nicht alle, aber sehr viele Erwartungen erfüllt hat: im Zusammenprall von Kapitalismus, Klamotte und Weltuntergang.