Zuspitzung in Venezuela

Angst vor einem Bürgerkrieg

20:56 Minuten
Nach dem landesweiten Stromausfall: Menschen laufen durch die dunklen Straßen von Caracas.
Nach einem tagelangen Stromausfall verhärten sich die Fronten weiter: War es Sabotage oder Missmanagement? © AP /ariana Cubillos / dpa-Bildfunk
Von Burkhard Birke und Anne Herrberg |
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Die Krise in Venezuela spitzt sich zu. Der amtierende Präsident Nicolás Maduro will keinesfalls weichen, sein Gegenspieler Juan Guaidó mobilisiert die Opposition und schließt keine Option aus, auch nicht die militärische Intervention.
Der Machtkampf in Venezuela hält an und zieht immer mehr Nachbarländer in Mitleidenschaft, besonders Kolumbien. Die Angst vor einem Bürgerkrieg wächst innerhalb und außerhalb Venezuelas, denn Nicolás Maduro lässt keinen Zweifel daran, dass er nicht weichen wird. Seinen Gegenspieler, Juan Guaidó, macht er lächerlich.
"Sie haben versucht, auf einem öffentlichen Platz eine Person zum illegitimen Präsidenten zu küren. Jetzt ist es offenkundig in der Welt, dass er weder Präsident noch sonst etwas ist. Er ist ein Clown und eine Marionette, ein Verbrecher. Wir haben diese Show abgesetzt!"

Militärintervention à la Trump?

Ein fast einwöchiger Stromausfall war aus Sicht der Regierung ein Sabotageakt, aus Sicht der Opposition hingegen das Resultat von Korruption und Misswirtschaft.
Juan Guaido spricht in ein Megafon. Im Hintergrund sieht man Menschenmassen.
Juan Guiado mobilisiert die Massen© Deutschlandradio / Burkhard Birke
Juan Guaidó ist zum Hoffnungsträger der Opposition avanciert, allerdings ist seine Strategie keineswegs unumstritten. Im Januar hat er sich selbst zum Präsidenten ernannt und sich dabei auf einen Artikel der venezolanischen Verfassung berufen, der diesen Akt nur auf Basis einer sehr großzügigen Interpretation legitimiert. Außerdem wird er massiv von den USA unterstützt, was in Lateinamerika fast reflexartig Aversionen auslöst. "Alle Optionen liegen auf dem Tisch", so Juan Guaidó noch am Wochenende. Auch eine Militärintervention durch US-Präsident Donald Trump?
"Die Frage auf eine Militärintervention durch einen Präsidenten zu reduzieren, erscheint mir nicht korrekt. Wir sprechen von Entscheidungen von Venezolanern, die seit Jahren gekämpft haben, um Mehrheiten zu bilden, um politische Parteien zu haben, das Parlament zu erobern. Wir sprechen von der Kraft, die nötig ist, um eine Diktatur zu besiegen – und in diesem Sinne werden wir über alle Optionen sprechen."
Angesichts so schwammiger Aussagen bekommen immer mehr Menschen in der Region Angst vor einem Bürgerkrieg in Venezuela. Denn das Land ist hochgerüstet. Nicht nur das Militär steht mehrheitlich hinter Maduro, auch sogenannte Milizen, also Bürger mit militärischer Ausbildung, sind bereit, für Maduro zu kämpfen.

Hilfe und Aggression in der Grenzstadt Cúcuta

In der Grenzstadt Cúcuta auf der kolumbianischen Seite fürchtet man eine weitere Eskalation der Krise, denn schon jetzt sind Bürger und Institutionen komplett überfordert.
Patienten warten auf dem Flur einer Klinik in Cúcuta.
Aus Venezuela zur Behandlung nach Kolumbien: Warteschlange auf der Entbindungsstation im Uniklinikum von Cúcuta.© Anne Herrberg
Die Venezolanerin Maria Liz Nava hat ihre fünfjährige Tochter bei der Oma gelassen, ist hochschwanger sieben Stunden im Bus gereist, um ihr zweites Kind gesund auf die Welt bringen zu können – auf der anderen Seite der Grenze. Nun sitzt sie auf dem türkisgrün gefliesten Gang der staatlichen Uniklinik von Cúcuta, gemeinsam mit 40 anderen Frauen. 30 davon kommen aus Venezuela.
"Ich bin hier, weil du in Venezuela nicht mehr richtig behandelt werden kannst, eine Bekannte von uns ist gestorben, weil es bei der Geburt Komplikationen gab und die Materialien fehlten. Du musst ja alles selber mitbringen, aber Medikamente und Materialien gibt es nur auf dem Schwarzmarkt und zu horrenden Preisen. Das, was ich gebraucht hätte, kostete 30 Mal den Mindestlohn, das ist unmöglich, und die meisten akzeptieren sowieso nur noch US-Dollar oder kolumbianische Pesos."
Maria Liz drückt sanft auf ihren großen Bauch. Erst hier in Kolumbien hat sie erfahren, dass es wieder ein Mädchen wird. Ultraschalluntersuchungen in einer teuren Privatklinik konnte sie sich in Venezuela nicht leisten. Im staatlichen Krankenhaus von Cúcuta werden Notfälle umsonst betreut – und es sind nicht nur Schwangere, die kommen, sagt Klinikdirektor Juan Augustin Ramírez Montoya.
"Das steigt exponentiell an und es werden jedes Jahr mehr. Darunter viele Risikoschwangerschaften, weil die Frauen nie untersucht wurden, unter Mangelernährung leiden. Daneben gibt es plötzlich wieder Krankheiten wie Masern und Diphtherie und viele Fälle von Syphilis. Meine Leute arbeiten jetzt schon am Limit. Denn natürlich lassen wir niemanden auf der Straße sitzen. Das bringt uns zwar Lob und Schulterklopfen ein, aber davon kann ich keine Überstunden und Löhne bezahlen."
Menschen gehen auf einem Trampelpfad durch Gebüsch
Die Grenze zu Kolumbien ist offiziell dicht. Schleichwege gibt es aber immer.© Anne Herrberg
25.000 Venezolaner hat die Notaufnahme in den letzten drei Jahren aufgenommen, seit Monaten werden dort regelmäßig doppelt so vielen Patienten behandelt wie vorgesehen – bei gleicher Belegschaft. Im Haushalt von Cúcutas größter Klinik klafft ein Loch von mehr als 13 Millionen US-Dollar. Und was für das Krankenhaus gilt, gilt für die Essensausgaben und Notunterkünfte.
Vor einer Migranten-Herberge campen Familien am Straßenrand. Nachbarn bringen Decken, eine Suppe, eine Tasse Kaffee. Die Solidarität ist enorm – doch der soziale Frieden hängt an einem seidenen Faden, sagt Oscar Javier Calderón vom Migrantennetzwerk der Jesuiten:
"Die kolumbianische Regierung kommt für Notfälle von Migranten auf, finanziert wird das vom Budget, das für Arme, Vertriebene und Menschen ohne Versicherung vorgesehen ist. Das heißt: Arme konkurrieren mit den Migranten um das wenige, was da ist, denn der Staat ist in Cúcuta seit Jahrzehnten kaum präsent. Hier kommen gerade zwei Krisen zusammen."

Sieben von zehn Einwohnern fühlen sich bedroht

Cúcuta und die Region haben die höchsten Arbeitslosen-, Schwarzarbeits- und Kriminalitätsraten in Kolumbien. Dazu sind in der Grenzregion, einem traditionellen Gebiet für Kokaanbau und Schmuggel aller Art, nach wie vor verschiedene bewaffnete Gruppen aktiv, darunter die ELN-Guerilla – vor ihr floh Carlos Dúran einst in die Stadt. Er ist Vertriebener im eigenen Land, wie mehr als sieben Millionen anderer Kolumbianer. In Cúcuta baute er sich ein neues Leben auf. Sein Autoteilehandel florierte, dank der Kunden aus Venezuela. Doch dann kam der Absturz des Nachbarlandes und Carlos Dúrans Geschäft liegt seither brach.
"Ja, langsam ist man das Ganze leid, man kommt an eine Straßenecke und sofort stürmen fünf, sechs, acht, zehn Venezolaner auf dich zu, bitten um Almosen. Sie arbeiten für jeden Lohn und jeder hat eine herzzerreißende Geschichte zu erzählen. Ich helfe ja, aber ich hab ja selbst nichts. Und manche nutzen dich auch aus, um zu stehlen. Die Stadt versinkt in einem großen Chaos."
Lange Schlange vor Essensausgabe
In Cúcuta werden Flüchtlinge mit Essen versorgt. Aber es sind zu viele für die Grenzstadt.© Anne Herrberg
Wie viele in Cúcuta findet auch Carlos Dúran, dass die Region von der Regierung in Bogotá, die offen Juan Guaidó unterstützt, alleine gelassen wird. Die Stadt rückte erst in den Fokus, als LKW mit Hilfsgütern für Venezuela an der Grenze standen und nicht weiterfahren durften.
Staatspräsident Ivan Duque reiste persönlich an. Vielen war das ein Dorn im Auge, auch dem Bürgermeister von Cúcuta, César Rojas.
"Wir sehen die Krise in Venezuela, wir spüren sie jeden Tag, aber es gibt hier auch interne Probleme, für die sich niemand interessiert. Nun hat sich das Drama in Venezuela noch einmal verschärft und unsere Schwierigkeiten sind auch nicht weniger geworden, im Gegenteil. Es gibt große Arbeitslosigkeit, aber keine Perspektiven, keine Lösungsansätze."
Er steht selbst unter Druck. Sieben von zehn Einwohnern Cúcutas fühlen sich durch die Migranten aus Venezuela bedroht, so eine neuere Befragung.
Sollte sich die Situation weiter zuspitzen und es womöglich zu einer militärischen Intervention und zu einem Bürgerkrieg kommen, wäre Cúcuta davon stärker als jede andere Stadt im Grenzgebiet betroffen. Deshalb fürchten sich nicht nur die Venezolaner, sondern auch ihre nahen und ferneren Nachbarn vor einer Eskalation. Venezuela ist ein Pulverfass und kann die ganze Region destabilisieren.
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