Zustände im Kongo sind "niederschmetternd"
Wie kann ein Land, das so reich an Ressourcen ist, zu einem der ärmsten Länder der Welt werden? Dieses Rätsel um den Kongo beschäftigt den Journalisten und Buchautor David van Reybrouck. Für sein Buch "Kongo - ein Geschichte" reiste er mehrfach ins Land - und sprach unter anderem mit einem Mann, der 1882 geboren ist.
Joachim Scholl: Ein Land so groß wie ganz Westeuropa, mit 400 Ethnien und ebenso vielen Sprachen und Dialekten von 70 Millionen Einwohnern - das ist der Kongo. Wie kaum ein zweites afrikanisches Land ist der Kongo verknüpft mit der Geschichte der Kolonialzeit und deren Folgen, einer blutigen Geschichte endlos scheinender Grausamkeit. Diese Geschichte, aber auch viele andere Geschichten, erzählt der Belgier David van Reybrouck in seinem Buch "Kongo - eine Geschichte", eine nahezu 800-seitige Biografie eines Landes kann man sie nennen, die jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. David van Reybrouck ist zu uns ins Studio gekommen, wir sprechen Englisch mit ihm - willkommen im "Radiofeuilleton"!
David van Reybrouck: Guten Tag, danke schön!
Scholl: Sie sind Jahrgang 1971, Herr van Reybrouck, geboren in Brügge.
van Reybrouck: Ja.
Scholl: Sie sind Schriftsteller, Dramatiker auch, Historiker und Archäologe. Was hat Sie zu diesem Buch gebracht? War es diese Verbindung zu Belgisch-Kongo, wie das Land genannt wurde, als es der belgische König Leopold II. an sich gerissen hat und dessen Name ja zum Inbegriff für weiße Raffgier, Ausbeutung und Grausamkeit geworden ist?
van Reybrouck: Nun, ich glaube, einer der Gründe dafür ist mein Vater, der für kurze Zeit - von 1962 bis 66, also kurz nach der Unabhängigkeit - dort im Kongo lebte, Kongo, der 1966 unabhängig geworden war. Mein Vater war also 22, als er dort anfing, 27, als er das Land verließ. Ich habe von ihm damals die vielen Geschichten über den Kongo gehört, und mein Vater war eigentlich ein schlechter Geschichtenerzähler. Wenn er ein guter Geschichtenerzähler gewesen wäre, hätte ich wohl dieses Buch nicht geschrieben.
Er arbeitete bei der Eisenbahn, leider kannte er sich besser in Strom und Hochspannung aus als in politischen und sozialen Spannungen, er konnte sich das nicht so recht erklären, wie es dazu kommen konnte, und er zeigte - obwohl das Land bereits unabhängig war - immer noch viele von diesen alten kolonial geprägten Grundhaltungen. Und mich hat das nicht in Ruhe gelassen, ich wollte mehr darüber wissen und habe mich dann hineingekniet in dieses Land, das ich von Erzählungen meines Vaters kannte, was aber noch tiefer für mich Antrieb war, war dieses Rätsel: Wie konnte ein Land, das so reich an natürlichen Ressourcen ist, heute zu einem der ärmsten Länder weltweit werden? Das hat mich bewegt.
Scholl: Sie haben dieses Buch als Journalist recherchiert, sind jahrelang in den Kongo gereist, um mit Menschen zu sprechen, haben dort eine unglaubliche Begegnung erlebt: Sie haben einen Kongolesen getroffen, Etienne Khasi, der 1882 geboren wurde. Sie wollten es zunächst selbst nicht glauben, aber es hat gestimmt, nicht wahr?
van Reybrouck: In der Tat, ich konnte das zunächst selbst nicht glauben. Zunächst habe ich ja seinen Bruder getroffen, der damals 100 Jahre alt war, und er fragte: Warum sind Sie so erstaunt, dass ich so alt bin? Ich habe einen Bruder, der 106 Jahre alt ist. Ich erwiderte: Tja, das Durchschnittsalter in Ihrem Land liegt doch bei 42 Jahren. Wie auch immer, ich hatte keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln. Ich habe nach der Adresse des Bruders gefragt, als ich ihn dann aufsuchte, hat er mir versichert, im Jahre 1882 geboren zu sein, also in einem Jahr, das auch das Geburtsjahr Virginia Woolfs ist, und er hatte sehr lebhafte Erinnerungen an die 90er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Er hat auch keineswegs versucht, mir da irgendetwas vorzuspiegeln oder mich reinzulegen, das alles war doch sehr glaubwürdig, was er mir, gestützt auf dieses Geburtsjahr 1882 erzählte. Ich hatte keinen Grund, an seinen Angaben zu zweifeln - er war auch eine fabelhafte Quelle an Erzählungen für mich. Trotz seines Alters war er ein sprudelnder Geschichtenerzähler und für mich eine erstklassige Quelle.
Scholl: Was konnte Ihnen denn dieser Mann erzählen, der ja noch zur Zeit des Entdeckers und Kongoerforschers Henry Morton Stanley gelebt hat?
van Reybrouck: Nun, ich hätte nie geglaubt, dass mir das in meinem Leben passieren würde an einem Tag, dass ich jemanden fragen konnte: Kannten Sie Henry Morton Stanley? Und er sagte: Ich selbst nicht, aber ein Angehöriger meines Dorfes hat als sein Boy, als sein persönlicher Diener gearbeitet, und er konnte mir wirklich Geschichten erzählen, etwa über die ersten englischen oder amerikanischen Missionare und über die Arbeit seines Vaters. Der hat an einer Eisenbahnlinie gearbeitet, und er konnte mir wirklich technische Einzelheiten über die Verlegung dieser ersten Eisenbahnstrecke mitteilen.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem belgischen Schriftsteller David van Reybrouck über sein Buch "Kongo - eine Geschichte". Wir hier in Europa, Herr van Reybrouck, assoziieren mit dem Namen Kongo ja eigentlich immer permanente Gewalt. Die Grausamkeiten der Kolonialherren, dann aber nach der Unabhängigkeit eine schier endlose Kette von blutigen Bürgerkriegen, Stammesfehden, Krieg mit den Nachbarländern, jeder gegen jeden - die über 30-jährige Gewaltherrschaft des Seko Mobutu ist jedermann noch im Gedächtnis. In jedem Kapitel Ihres Buches, Herr van Reybrouck, schaudert es einem angesichts der beständig ausgeübten Grausamkeiten. Wie nimmt man eigentlich im Kongo selbst diese Geschichte des Landes wahr, wie sprechen Kongolesen über ihr Land?
van Reybrouck: Es ist etwas merkwürdiges in der Art, wie die Kongolesen sich auf ihr eigenes Land beziehen, eine merkwürdige Mischung aus Scham und Stolz. Sie sind stolz darauf, Kongolesen zu sein, zugleich schämen sie sich für ihren Staat oder für den Zustand ihres Staates, und selbstverständlich, sie sind sich der Grausamkeiten und all dieser Exzesse bewusst, aber zugleich wäre es falsch, das ganze nur als barbarisches Geschehen abzustufen. Ich versuche eben, in meinem Buch die Logik, die Rationalität in all diesen Vorgängen herauszuarbeiten. Selbst bei Kindersoldaten, bei diesen maßlosen Exzessen in den ethnischen Konflikten - das sind nicht einfach irgendwelche atavistischen, prä-modernen Ausbrüche. Nein, sie gehören zur Modernität, wie ich versuche nachzuweisen, indem ich die Vorgänge in einem internationalen und wirtschaftlichen Kontext einbette, in den die Kongolesen hinein verwoben sind.
Scholl: Wenn Sie vom ökonomischen Kontext sprechen, Herr van Reybrouck: Mit der Gewalt einher ging immer und geht einher die Ausbeutung. Sie ist permanent seit 100 Jahren, die Ausbeutung des Landes, der reichen Bodenschätze. Nach den Kolonialherren waren es die jeweiligen afrikanischen Machthaber, also die, kaum im Amt, sofort daran gehen, eigentlich diese Ausbeutung weiter zu betreiben und sich selbst zu bereichern, sich die Taschen vollzustopfen. Seit 2001 ist Josef Kabila an der Macht. Offiziell heißt es Demokratische Republik Kongo - hat sich denn an dieser Mentalität etwas geändert?
van Reybrouck: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Ich hatte ja geglaubt, dass das Jahr 2006 so eine Art Wendepunkt darstelle, dass eine neue demokratische Kultur, ein neuer Aufschwung stattfinden würde. Sechs Jahre später muss ich sagen, das ganze ist noch viel niederschmetternder, deprimierender geworden, als es vorher war. Die demokratische Kultur ist weiter geschrumpft, insbesondere die Wahlen des Jahres 2011 waren weit weniger demokratisch als die des Jahres 2006. Wir sind in gewisser Weise auf die frühen Mobutu-Jahre zurückgekehrt, in eine Art proto-diktatorischen Zustand.
Das klingt jetzt vielleicht zynisch, aber es ist schon so, dass das Land Kongo, das so reich ausgestattet ist, im Grunde mit einem alten Mann vergleichbar ist, der durch die abendlichen Straßen New Yorks spaziert mit seinen Taschen voller Diamanten. Dieser Mann, der krank ist, wird nicht mehr gesund werden, er wird vielleicht beraubt werden. Und so ist es auch im Kongo: Der Staat ist in einem erbärmlichen Zustand, das Land selbst ist reich. Und deswegen wird es immer Kandidaten geben, die diesen Reichtum sich unter den Nagel reißen werden. Es wird immer genug Gier geben, um dieses Land weiterhin im Griff zu halten.
Scholl: Sie haben Ihr Buch jenem uralten Mann, Etienne Khasi, gewidmet, und einem dreijährigen Kind, dem Sohn eines ehemaligen Kindersoldaten. Sind diese beiden für Sie das Symbol Ihrer Geschichte des Kongo?
van Reybrouck: Ja, das könnte man vielleicht so ausdrücken. Einerseits der älteste Mensch, dem ich je in meinem Leben begegnet bin und der mir gegenüber trotz seiner Armut so großzügig war mit all seinen Geschichten. Er war zuvorkommend und auch freigiebig, was Bananen angeht, obwohl er so arm war, und eben dieser ganz, ganz junge Mensch, der auch eine Beziehung zu mir hatte, denn er hatte meinen Namen. Sein Vater hatte im letzten Krieg im Kongo als Kindersoldat gekämpft und war so beeindruckt durch die Begegnung mit mir, dass er beschlossen hat, seinem Sohn dann meinen Namen zu geben. Ich habe ja selbst keine Kinder, aber es ist für mich tröstlich zu wissen, dass es irgendwo im Kongo einen kleinen David wie mich gibt.
Scholl: David van Reybrouck, ich danke Ihnen für das Gespräch!
van Reybrouck: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
David van Reybrouck: Guten Tag, danke schön!
Scholl: Sie sind Jahrgang 1971, Herr van Reybrouck, geboren in Brügge.
van Reybrouck: Ja.
Scholl: Sie sind Schriftsteller, Dramatiker auch, Historiker und Archäologe. Was hat Sie zu diesem Buch gebracht? War es diese Verbindung zu Belgisch-Kongo, wie das Land genannt wurde, als es der belgische König Leopold II. an sich gerissen hat und dessen Name ja zum Inbegriff für weiße Raffgier, Ausbeutung und Grausamkeit geworden ist?
van Reybrouck: Nun, ich glaube, einer der Gründe dafür ist mein Vater, der für kurze Zeit - von 1962 bis 66, also kurz nach der Unabhängigkeit - dort im Kongo lebte, Kongo, der 1966 unabhängig geworden war. Mein Vater war also 22, als er dort anfing, 27, als er das Land verließ. Ich habe von ihm damals die vielen Geschichten über den Kongo gehört, und mein Vater war eigentlich ein schlechter Geschichtenerzähler. Wenn er ein guter Geschichtenerzähler gewesen wäre, hätte ich wohl dieses Buch nicht geschrieben.
Er arbeitete bei der Eisenbahn, leider kannte er sich besser in Strom und Hochspannung aus als in politischen und sozialen Spannungen, er konnte sich das nicht so recht erklären, wie es dazu kommen konnte, und er zeigte - obwohl das Land bereits unabhängig war - immer noch viele von diesen alten kolonial geprägten Grundhaltungen. Und mich hat das nicht in Ruhe gelassen, ich wollte mehr darüber wissen und habe mich dann hineingekniet in dieses Land, das ich von Erzählungen meines Vaters kannte, was aber noch tiefer für mich Antrieb war, war dieses Rätsel: Wie konnte ein Land, das so reich an natürlichen Ressourcen ist, heute zu einem der ärmsten Länder weltweit werden? Das hat mich bewegt.
Scholl: Sie haben dieses Buch als Journalist recherchiert, sind jahrelang in den Kongo gereist, um mit Menschen zu sprechen, haben dort eine unglaubliche Begegnung erlebt: Sie haben einen Kongolesen getroffen, Etienne Khasi, der 1882 geboren wurde. Sie wollten es zunächst selbst nicht glauben, aber es hat gestimmt, nicht wahr?
van Reybrouck: In der Tat, ich konnte das zunächst selbst nicht glauben. Zunächst habe ich ja seinen Bruder getroffen, der damals 100 Jahre alt war, und er fragte: Warum sind Sie so erstaunt, dass ich so alt bin? Ich habe einen Bruder, der 106 Jahre alt ist. Ich erwiderte: Tja, das Durchschnittsalter in Ihrem Land liegt doch bei 42 Jahren. Wie auch immer, ich hatte keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln. Ich habe nach der Adresse des Bruders gefragt, als ich ihn dann aufsuchte, hat er mir versichert, im Jahre 1882 geboren zu sein, also in einem Jahr, das auch das Geburtsjahr Virginia Woolfs ist, und er hatte sehr lebhafte Erinnerungen an die 90er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Er hat auch keineswegs versucht, mir da irgendetwas vorzuspiegeln oder mich reinzulegen, das alles war doch sehr glaubwürdig, was er mir, gestützt auf dieses Geburtsjahr 1882 erzählte. Ich hatte keinen Grund, an seinen Angaben zu zweifeln - er war auch eine fabelhafte Quelle an Erzählungen für mich. Trotz seines Alters war er ein sprudelnder Geschichtenerzähler und für mich eine erstklassige Quelle.
Scholl: Was konnte Ihnen denn dieser Mann erzählen, der ja noch zur Zeit des Entdeckers und Kongoerforschers Henry Morton Stanley gelebt hat?
van Reybrouck: Nun, ich hätte nie geglaubt, dass mir das in meinem Leben passieren würde an einem Tag, dass ich jemanden fragen konnte: Kannten Sie Henry Morton Stanley? Und er sagte: Ich selbst nicht, aber ein Angehöriger meines Dorfes hat als sein Boy, als sein persönlicher Diener gearbeitet, und er konnte mir wirklich Geschichten erzählen, etwa über die ersten englischen oder amerikanischen Missionare und über die Arbeit seines Vaters. Der hat an einer Eisenbahnlinie gearbeitet, und er konnte mir wirklich technische Einzelheiten über die Verlegung dieser ersten Eisenbahnstrecke mitteilen.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem belgischen Schriftsteller David van Reybrouck über sein Buch "Kongo - eine Geschichte". Wir hier in Europa, Herr van Reybrouck, assoziieren mit dem Namen Kongo ja eigentlich immer permanente Gewalt. Die Grausamkeiten der Kolonialherren, dann aber nach der Unabhängigkeit eine schier endlose Kette von blutigen Bürgerkriegen, Stammesfehden, Krieg mit den Nachbarländern, jeder gegen jeden - die über 30-jährige Gewaltherrschaft des Seko Mobutu ist jedermann noch im Gedächtnis. In jedem Kapitel Ihres Buches, Herr van Reybrouck, schaudert es einem angesichts der beständig ausgeübten Grausamkeiten. Wie nimmt man eigentlich im Kongo selbst diese Geschichte des Landes wahr, wie sprechen Kongolesen über ihr Land?
van Reybrouck: Es ist etwas merkwürdiges in der Art, wie die Kongolesen sich auf ihr eigenes Land beziehen, eine merkwürdige Mischung aus Scham und Stolz. Sie sind stolz darauf, Kongolesen zu sein, zugleich schämen sie sich für ihren Staat oder für den Zustand ihres Staates, und selbstverständlich, sie sind sich der Grausamkeiten und all dieser Exzesse bewusst, aber zugleich wäre es falsch, das ganze nur als barbarisches Geschehen abzustufen. Ich versuche eben, in meinem Buch die Logik, die Rationalität in all diesen Vorgängen herauszuarbeiten. Selbst bei Kindersoldaten, bei diesen maßlosen Exzessen in den ethnischen Konflikten - das sind nicht einfach irgendwelche atavistischen, prä-modernen Ausbrüche. Nein, sie gehören zur Modernität, wie ich versuche nachzuweisen, indem ich die Vorgänge in einem internationalen und wirtschaftlichen Kontext einbette, in den die Kongolesen hinein verwoben sind.
Scholl: Wenn Sie vom ökonomischen Kontext sprechen, Herr van Reybrouck: Mit der Gewalt einher ging immer und geht einher die Ausbeutung. Sie ist permanent seit 100 Jahren, die Ausbeutung des Landes, der reichen Bodenschätze. Nach den Kolonialherren waren es die jeweiligen afrikanischen Machthaber, also die, kaum im Amt, sofort daran gehen, eigentlich diese Ausbeutung weiter zu betreiben und sich selbst zu bereichern, sich die Taschen vollzustopfen. Seit 2001 ist Josef Kabila an der Macht. Offiziell heißt es Demokratische Republik Kongo - hat sich denn an dieser Mentalität etwas geändert?
van Reybrouck: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Ich hatte ja geglaubt, dass das Jahr 2006 so eine Art Wendepunkt darstelle, dass eine neue demokratische Kultur, ein neuer Aufschwung stattfinden würde. Sechs Jahre später muss ich sagen, das ganze ist noch viel niederschmetternder, deprimierender geworden, als es vorher war. Die demokratische Kultur ist weiter geschrumpft, insbesondere die Wahlen des Jahres 2011 waren weit weniger demokratisch als die des Jahres 2006. Wir sind in gewisser Weise auf die frühen Mobutu-Jahre zurückgekehrt, in eine Art proto-diktatorischen Zustand.
Das klingt jetzt vielleicht zynisch, aber es ist schon so, dass das Land Kongo, das so reich ausgestattet ist, im Grunde mit einem alten Mann vergleichbar ist, der durch die abendlichen Straßen New Yorks spaziert mit seinen Taschen voller Diamanten. Dieser Mann, der krank ist, wird nicht mehr gesund werden, er wird vielleicht beraubt werden. Und so ist es auch im Kongo: Der Staat ist in einem erbärmlichen Zustand, das Land selbst ist reich. Und deswegen wird es immer Kandidaten geben, die diesen Reichtum sich unter den Nagel reißen werden. Es wird immer genug Gier geben, um dieses Land weiterhin im Griff zu halten.
Scholl: Sie haben Ihr Buch jenem uralten Mann, Etienne Khasi, gewidmet, und einem dreijährigen Kind, dem Sohn eines ehemaligen Kindersoldaten. Sind diese beiden für Sie das Symbol Ihrer Geschichte des Kongo?
van Reybrouck: Ja, das könnte man vielleicht so ausdrücken. Einerseits der älteste Mensch, dem ich je in meinem Leben begegnet bin und der mir gegenüber trotz seiner Armut so großzügig war mit all seinen Geschichten. Er war zuvorkommend und auch freigiebig, was Bananen angeht, obwohl er so arm war, und eben dieser ganz, ganz junge Mensch, der auch eine Beziehung zu mir hatte, denn er hatte meinen Namen. Sein Vater hatte im letzten Krieg im Kongo als Kindersoldat gekämpft und war so beeindruckt durch die Begegnung mit mir, dass er beschlossen hat, seinem Sohn dann meinen Namen zu geben. Ich habe ja selbst keine Kinder, aber es ist für mich tröstlich zu wissen, dass es irgendwo im Kongo einen kleinen David wie mich gibt.
Scholl: David van Reybrouck, ich danke Ihnen für das Gespräch!
van Reybrouck: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.