Zustand der Demokratie

"Es rumort hier und im globalen Kontext"

36:50 Minuten
Drei Demonstrantinnen, die aus Kolumbien stammen, protestieren in der spanischen Stadt Málaga gegen die Regierung ihres Landes
Weltumspannender Protest: Drei Frauen, die aus Kolumbien stammen, demonstrieren in der spanischen Stadt Málaga gegen die Regierung ihres Landes. © picture alliance / SOPA Images / ZUMA Wire / Jesus Merida
Moderation: Wiebke Porombka und Christian Rabhansl |
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Was sind die Antworten der Demokratien auf die vielen Krisen der Gegenwart? Funktioniert unsere Demokratie noch und sind die Parteien in der Lage, richtige Lösungen zu finden? Darüber diskutieren Franziska Heinisch, Wolfgang Kaleck und Dirk Neubauer.
Klimawandel, Rassismus, soziale Ungerechtigkeit – warum muss das alles zusammengedacht werden? Die Politaktivistin Franziska Heinisch antwortet: "Wenn wir uns all die Unterdrückungsformen und die Ausbeutungsformen im globalen Kontext (...) anschauen, dann verbindet die ganz viel: Dass wenige profitieren und scheinbar immer gewinnen in dem System, in dem wir leben, und ganz viele immer verlieren. Dazu gehört, dass Profit, Ausbreitung, Aneignung von Arbeit und natürlicher Ressourcen über Gerechtigkeit, über das Wohl vieler Menschen gestellt werden."
Es sei unterkomplex, vereinfachend und verharmlosend, diese Krisen einzeln zu formulieren. Franziska Heinisch sagt: "Es rumort hier und im globalen Kontext." Sie sieht die Menschheit und auch Deutschland an einem Scheideweg zwischen totaler Apokalypse und einer besseren Zukunft.
Der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck stimmt Heinisch zu: "Diese Krisen kommen nicht aus dem Nichts. Auch was sich in der Pandemiezeit gezeigt hat, sind Missstände, die seit Jahrzehnten zu beobachten waren, die auch benannt wurden und gegen die Widerstand geleistet wurde. Die Menschenrechte bieten eine utopische, aber gleichzeitig konkrete Vision, hier und jetzt anfangen zu wandeln und nicht zu warten, bis wir irgendwann das fertige Konzept haben."
Kaleck plädiert für globale Solidarität: "Alle müssen überall alle Menschenrechte haben. (...) Es ist notwendig, dies der nationalen Borniertheit und auch der Borniertheit vieler Menschen in Deutschland entgegenzuhalten und ihnen klarzumachen, dass es auf Dauer nur geht, wenn wir dieses Gefühl und auch ein Handeln entwickeln im Geiste des Internationalismus."

Entrückte Politik und Bürger als Zuschauer

Die Demokratie steckt in der Krise, das empfinden viele so – vor wem oder was muss sie gerettet werden? "Ein bisschen vor uns allen selber, habe ich manchmal das Gefühl", sagt Dirk Neubauer, der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Augustusburg. "Hauptsächlich eigentlich vor der Art und Weise, wie wir momentan in diesem Land Politik machen. Mit dem Ergebnis, dass der Bürger sich inzwischen auf der Zuschauerbank fühlt." Das sei ein duales Problem: Einer relativ entrückten, autarken Politik komme es zupass, dass der Bürger sich relativ wenig einzumischen gedenke.
Bei Wahlen bekomme die AfD in Augustusburg bis zu 29 Prozent der Stimmen. Die Parteien in ihrer jetzigen Aufstellung seien nicht in der Lage, die konkreten Probleme zu lösen, meint Neubauer, der vor drei Wochen aus der SPD ausgetreten ist. "Diese Wut wohnt hier bei uns. Wir müssen uns fragen, warum, und mit den Leuten reden." Er will die Menschen ermächtigen, ihre Sachen in die eigene Hand zu nehmen – die kommunale Ebene sei der richtige Ort dafür.

Franziska Heinisch: "Wir haben keine Wahl. Ein Manifest gegen das Aufgeben"
Blessing, 288 Seiten, 14 Euro
Wolfgang Kaleck: "Die konkrete Utopie der Menschenrechte. Ein Blick in die Zukunft"
S. Fischer, 176 Seiten, 21 Euro
Dirk Neubauer: "Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift"
Rowohlt, 192 Seiten, 10 Euro

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