Zuversicht oder: Wo bleibt das Positive?

Von Günter Kunert |
Das Wörtchen "Zuversicht" kennt man eigentlich nur aus einem frommen Zitat: "Jesus - meine Zuversicht… " Häufiger und anderswo hat man es schon lange nicht mehr gehört, so dass man es auf der "Roten Liste" aussterbender Wörter vermuten könnte. "Hoffnung", ja, diese Vokabel habe ich, wenn auch selten, hin und wieder vernommen, und ebenfalls, dass man sie haben müsse. Aber was müsste und sollte man nicht alles haben, um das Leben zu meistern, das, Karl Kraus zufolge, eine Anstrengung sei, die einer besseren Sache würdig wäre.
Außer den unserem Magen aus jedem Supermarkt bekannten Lebensmitteln gibt es weniger greifbar käufliche und weniger konkrete für das seelische Befinden wie etwa "Glaube, Liebe, Hoffnung", unter die man auch besagte "Zuversicht" zählen kann. Diese immer aufs Neue vollmundig und als jedem Medikament überlegen angepriesenen psychischen Drogen, sind jedenfalls nicht so leicht erhältlich wie die von der Physis benötigten.

Mir gegenüber haben manche Leute behauptet, man könne nicht ohne Hoffnung leben, wobei sie mich als fröhlich existierendes Gegenbeispiel seltsamerweise ignorierten. Vom Hoffen, das in Kombination mit "Harren", laut Sprichwort, zum Narren mache, wollen wir nicht reden - wir reden von der Steigerung der Hoffnung zur Zuversicht. Ist die Hoffnung bloß ein diffuses Empfinden, alles und jedes werde irgendwann einmal besser, so erklärt die Zuversicht mit der Ahnungslosigkeit eines Grottenmolches, das erwartete Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Zuversicht - ein Begriff, der markig klingt, und der sich durch das Adjektiv "fest" noch aufblähen lässt. "Feste Zuversicht" zu haben, deklarieren Politiker, die wiedergewählt werden wollen. Wir anderen sind da eher im Hintertreffen. Unsere Zuversicht reicht gerade dazu aus, überzeugt sein zu dürfen, auf den heutigen Tag folge ein nächster. Ob wir den jedoch erleben werden, erweist sich wiederum als höchst ungewiss Rasch tritt der Verkehrsunfall den Menschen an …Insofern basieren selbst unsere individuellen Zuversichtlichkeiten auf einem Unsicherheitsfaktor - und keineswegs nur auf einem. Wie steht es da um die allgemeine Zukunft, wenn schon die persönliche sich unserer Zuversicht hämisch entzieht?

Es gehört unabdingbar zum Schicksal des Menschen, dass ihm das Morgen verborgen bleibt. Für den Weg dorthin kann er sich eine Gehhilfe konstruieren, eben jene Zuversicht, doch sein Humpeln verrät, dass die Zuversicht bloß eine Prothese ist. Zuversicht ist die Domäne von Propheten und Spekulanten. Erstere sind, wir wissen es nur zu gut, stets durch die Wirklichkeit widerlegt worden und letztere reich, indem sie die Zuversicht wie perfekt gedrucktes Falschgeld verbreitet haben.

Das mag pessimistisch klingen und die Frage provozieren, die man schon Erich Kästner gestellt hat: Wo bleibt das Positive? In einem anderen Zusammenhang zwar, aber als Antwort auf das Insistieren durchaus denkbar, zeigt sich die Kästnersche Sentenz: Es gibt nichts Gutes — außer man tut es. Das, so scheint mir, enthält ein tatsächliches Fünkchen unter der Asche verbrannter, uns verkohlt habender Zuversichten. Wer tatenlos zusieht, wie das sorgfältig vorbereitete und fleißig aufgepäppelte Unheil über den Zeithorizont uns näher rückt, der sollte in der Schule des Lebens nachsitzen und eine Strafarbeit schreiben. Hundert Mal rekapitulieren: Meine Zuversicht besteht darin, dass andere schon alles richten werden. Freilich - ob eine derartige Strafe etwas bewirken würde, sei dahingestellt. Da bin ich leider nicht sehr zuversichtlich...


Günter Kunert, geboren 1929 in Berlin, wurde von Johannes R. Becher entdeckt und protegiert. Bis zu seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik 1979 galt Kunert in der DDR als einer der meistgelesenen Autoren. Sein vielseitiges Werk umfasst u. a. Gedichte, Essays, Erzählungen, Märchen, Reisejournale und Kinderbücher. 1976 gehörte Kunert zu den Erstunterzeichnern des Protestbriefes einer Reihe von DDR-Schriftstellern gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Zu den zahlreichen Ehrungen und Auszeichnungen Kunerts zählen u. a. der Heinrich-Mann-Preis, der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf, der Hölderlin-Preis, der Hans-Sahl-Preis und der Georg-Trakl-Preis. Kürzlich erschienen ist Kunerts Aufzeichnungsbuch 'Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast'.