Zuversicht und Skepsis

Von Michael Laages |
In Berlin ist das 50. Theatertreffen zu Ende gegangen. Was bleibt vom Jubiläum? Starke Bilder, eine neue Kluft zwischen den Generationen und ein kleiner Krach zum Schluss. Für das nächste Mal wünscht sich unser Autor Michael Laages mehr Neugier, mehr Mut und mehr Provokation.
Sorgen muss sich auch im 50. Jahr niemand machen um das "Theatertreffen" in Berlin. Gerade im Jubiläumsjahr konnte sich das Festival auf quasi immer ausverkaufte Vorstellungen der von der Jury ausgewählten Inszenierungen verlassen, kreierte zudem selber einen originell-alternativen "Stückemarkt" (mit 30 Autoren aus 35 Jahren, die die alte Pan-am-Lounge am Zoo bespielten) und erwies sich einmal mehr als Markt und Forum der Theaterkünste. Preise gab’s auch - den Berliner Theaterpreis für das Theater-Urgestein Jürgen Holtz, den Preis des Fernsehsenders 3sat am letzten Abend für Schauspielerin Sandra Hüller in der Münchner Jelinek-Inszenierung "Die Stadt. Die Straße. Der Überfall". Überhaupt gehört der letzte Abend seit jeher den Preisen - und der Diskussion mit dem Publikum um die Auswahl der Jury.

Für den kleinen Krach zum Schluss hat’s dann auch gereicht, und zwar mit Ansage. Schon vor Pfingsten hatten die Aktivisten von "BühnenWatch" den Regisseur Sebastian Baumgarten und "Die Heilige Johanna der Schlachthöfe", von und nach Brecht und vom Schauspielhaus Zürich zum "Theatertreffen" eingeladen, mit den vertrauten Rassismus-Vorwürfen eingedeckt, weil in der Inszenierung eine weiße Schauspielerin mit "black face" und "black body" eine "coloured woman", eine farbigen Frau spielt. Das gilt als "blackfacing" und wird darum von "BühnenWatch" immer wieder gegeißelt; unabhängig davon, ob verschiedene Formen von "Einfärbung" (wie in dieser Aufführung) nicht demonstrative Beispiele unechter Äußerlichkeiten und also Klischees zeigen sollen.

Schade, dass hier ausgerechnet die intelligenteste Aufführung des Festivals auf diesen Nebenkriegsschauplatz gezerrt wurde - wichtiger scheint die neue Kluft zwischen den Generationen. Selbst bei einer so absichtsvollen Inszenierung wie dieser vermögen junge Theater-Talente, versammelt im "Internationalen Forum", nicht auszumachen, was der Künstler damit will. Da entging den jungen Leuten viel.

Und der Schauspieler und Regisseur Thomas Thieme, Solo-Juror für den seit bald 20 Jahren verliehenen Alfred-Kerr-Darstellerpreis, stritt womöglich schon an der falschen Front, als er die Zeitgenossen der Regie in Schutz nahm gegen große Künstler früherer Zeiten, die zwar ihrer Epoche Form und Stil gaben …

"… wobei sie wohl von der Annahme ausgingen, ihre Kriterien seien manifest und für eine wie immer geartete Ewigkeit gemacht."

Und weiter:

"Es gab mal Zeiten, da waren die Alten Vorbilder. Aber wenn man immer älter und befriedeter wird, verliert man ja vielleicht den Kontakt zur disparaten Wirklichkeit. Das ist zu verstehen, rechtfertigt aber nicht die Ansicht, der eigenen Ästhetik ewig Unkündbarkeit zu verschaffen."

Vor allem, sagt Thieme, steht doch der Künstler in seiner Zeit, gerade im Theater:

"Es gibt bewegende Schauspieler unter 70, die sprechen halt nicht mehr wie Kortner und auch nicht mehr wie Minetti; und es gibt Autoren wie Sarah Kane, die schrieben (oder schreiben) nicht mehr wie – die Namen können Sie selber einsetzen. Und es gibt Regisseure, die inszenieren anders als - können Sie auch einsetzen! Und das ist gut so! Sie versuchen, die Sprache dieser Zeit zu sprechen. Denn die Zeit ist, wie sie ist. Und es muss Luft ran an das Material auf der Bühne!"

Mut zur Neugier forderte Thieme; und hat für die Verleihung des Darstellerpreises konsequenterweise jeden Gedanken an Handwerklichkeiten beiseite geräumt. Die 21-jährige Julia Häussermann aus Jerome Bels "Disabled Theatre" aus Zürich trägt nun den Kerr-Preis: für existenzielle Menschendarstellung im eigenen Ich. Sie steht für viele Menschen mit Behinderungen, die seit geraumer Zeit in Theater-Projekten die persönliche Eigenheit als Spiel- und Kunst-Form behaupten, sei es im Berliner Theater "RambaZamba" oder mit der Hamburger "Station 17". Wirkliche Menschen aus der wirklichen Welt, auf welche Weise auch immer authentisch in ihrer Kunst, sind - so scheint es - selbst versiertestem, fundiertestem, technisch und gedanklich avanciertestem Regie-Handwerk für geraume Zeit noch überlegen. Das Sein besiegt zurzeit auch brillantestes Spiel.

Nach dem Jubiläum ist vor der nächsten Herausforderung
Das Bild übrigens auch - lange hat es kein "Theatertreffen" gegeben, das so massiv bestimmt wurde von der Kraft, ja der Macht der Bilder. Furios etwa mixte Thilo Reuther fast im Minutentakt Requisit, Kulisse und Video zu immer neuen Welten für Baumgartens Züricher Brecht-Travestie; massiv markierte Annette Kurz mit der senkrecht gestellten Stadt-Ansicht von oben das Berlin der Nazi-Zeit für die Bühnenfassung des Fallada-Romans "Jeder stirbt für sich allein"; Herbert Fritsch kreierte als sein eigener Bühnenbildner im Kult-Ulk "Murmel murmel" die Kulissenschieberei wie neu und versetzte sie in bunten Taumel.

"Krieg und Frieden", die grandiose Leipziger Tolstoi-Erkundung, lebte ähnlich stark auch von Sebastian Hartmanns starken Raum-Behauptungen; und Produktionen der Engländerin Katie Mitchell sind ohnehin und immer Klang- und Raum-Kreationen. Jens Kilians Hinterbühnennest für Karin Henkels Hauptmann-"Ratten", der Glitzer-Tanzboden von Eva Veronica Born für Münchner Jelinek-Exegese von John Simons - starke Bühnen, wohin das Auge sah.

Und gleich zu Beginn, mit der Frankfurter "Medea", siegte gar die Bühne über die Regie – Olaf Altmanns bedrohlich an die Rampe fahrende Wand ließ in aller Gewalt die Überschaubarkeit der Inszenierung von Michael Thalheimer glatt vergessen. Die Dominanz der Bilder fügt sich ganz gut zur allgemein vorherrschenden Unaufgeregtheit zum Jubiläum – ganz und gar nicht vorstellbar, dass ein Skandal wie der um die während des "Theatertreffens" in Düsseldorf vorgestellte (und gleich wieder abgesetzte) "Tannhäuser"-Arbeit in Berlin um eine der eingeladenen Aufführungen hätte ausbrechen können.

Was bleibt vom Jubiläum? Natürlich das Buch. Vielleicht nicht ganz so reflektiert und historisch an die Wurzeln gehend wie der Vorgängerband zum 25-jährigen Bestehen, sind aber auch auf den aktuellen 270 Seiten wieder viele Stimmen versammelt, die womöglich deutlicher als damals den Standpunkt des Theaters in der Zeit definieren; mit Zuversicht und tiefer Skepsis.

Ja, Skepsis - die bekommt dem Festival gut, jenseits aller Zufriedenheit mit dem Erfolg der 50. Runde. Mehr Neugier, mehr Mut, mehr Motivation, mehr Provokation und Aufregung, das wäre schön. Nach dem Jubiläum ist vor der nächsten Herausforderung.

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Leistungsschau der deutschen Bühnen - Beiträge zum Berliner Theatertreffen im Überblick