Flüchtlingspolitik

„Deutschland hat in der Welt kein gutes Image“

08:17 Minuten
Flüchtlinge halten Formulare in einer Warteschlange vor einer Ausländerbehörde hoch.
„Wir wissen, dass Migrationsprozesse viel, viel komplizierter sind, als es ein Herr Merz sich denkt", sagt Sabine Hess. © picture alliance / dpa / Marcus Brandt
Sabine Hess im Gespräch mit Julius Stucke |
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Die Flüchtlingszahlen steigen. Verstärkt wird nun gegen schutzsuchende Menschen polemisiert – auch von der Politik. Die Migrationsforscherin Sabine Hess prangert in diesem Zuge die Migrationspolitik an und verweist auf die Genfer Flüchtlingskonvention.
Viele Kommunen und Länder klagen, sie seien von der steigenden Zahl geflüchteter Menschen überfordert. Schnell werden dabei Erinnerungen an das Jahr 2015 wach, als zahlreiche Geflüchtete nach Deutschland kamen. Parteien wie die CDU polarisieren mit dem Begriff „Pull-Faktor“. Demnach würden finanzielle Mittel Menschen einen Anreiz geben, nach Deutschland zu fliehen.
Doch diese These ist schon längst überholt, sagt die Migrationsforscherin Sabine Hess von der Universität Göttingen. Wer der Migrationsforschung in den letzten Jahren etwas Gehör geschenkt hätte, wüsste das auch, sagt sie.
„Wir wissen, dass Migrationsprozesse viel, viel komplizierter sind, als es ein Herr Merz sich denkt. Sie sind viel bruchstückhafter geplant und hängen vor allem an historischen Netzwerkbildungsprozessen.“

Deutschland ist „kein isoliertes gallisches Dorf“

So fliehen Menschen in Länder, wo sie bereits Bekannte und Verwandte haben, sagt Sabine Hess. Deutschland sei „kein isoliertes gallisches Dorf“, sondern sei heute durch Jahrhunderte von Ein- und Durchwanderung ein Teil der globalen und vernetzten Weltgemeinschaft.
Über die sogenannte „Balkanroute“ würden aktuell nur zehn Prozent der etwa eine Million Menschen kommen, die die Kommunen gerade an den Rand ihrer Aufnahmekapazitäten brächten.
Dieses Problem sei aber „politisch hergestellt“, weil eine entsprechende Infrastruktur nicht rechtzeitig aufgebaut wurde, sagt Sabine Hess. Dass es auch anders geht, habe die Aufnahme der geflüchteten Menschen aus der Ukraine ab Februar gezeigt.

Schlechtes Image im Ausland

Auf der einen Seite braucht Deutschland wegen des Fachkräftemangels Zuwanderung, auf der anderen Seite wird gegen geflüchtete Menschen polemisiert und die Migration erschwert. Diese ablehnende Politik wird laut Sabine Hess auch im Ausland wahrgenommen. So habe Deutschland in der Welt „kein gutes Image“.
„Es hat sich längst herumgesprochen, dass Deutschland nicht nur ein kaltes Land ist, im Sinne von Ablehnung, Diskriminierung, mangelnde Öffnung.“ Sondern viele Fachkräfte würden gerne einwandern. Wegen der restriktiven Visa-Politik und der Einwanderungspolitik in der Europäischen Union sei das aber nicht möglich.
„Das heißt, wir sehen natürlich auch, dass auf diesen sogenannten Routen, auf die dann diese Menschen verwiesen sind, ganz viele qualifizierte Kräfte unterwegs sind, die eigentlich anders ins Land hätten kommen können.“

Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention

Hinsichtlich einer „Differenzierung“ von Flüchtlingen verweist Sabine Hess darauf, dass Deutschland und die Europäische Union die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben und sich daraus auch die „Pflicht“ ergibt, „genau diese Menschen erst anzuhören, zu prüfen“.
„Solange wir Teil dieser internationalen Staaten- und Menschenrechtskonvention sind, der Genfer Flüchtlingskonvention, haben wir eine Einlasspflicht.“

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