"Die Gefahr für Nasser ist riesengroß"
Nasser ist schwul und steht dazu. Er zog vor Gericht, weil sein Vater und zwei Onkel versuchten, ihn in den Libanon zu entführen, außerdem hätten sie ihn zwangsverheiraten wollen. Solche Fälle passieren immer wieder, sagt Monika Michell von Terre des Femmes. Im Deutschlandradio Kultur fordert sie mehr Schutzeinrichtungen für die Betroffenen.
Der 18-jährige Deutsch-Libanese Nasser hatte seinen Vater und zwei Onkel angezeigt und Recht erhalten. Die Angeklagten müssen wegen Freiheitsberaubung und Entziehung Minderjähriger jeweils eine Geldstrafe in Höhe von 1350 Euro zahlen.
Tatsächlich, sagte Monika Michell im Deutschlandradio Kultur, gebe es nicht nur weibliche Opfer von Zwangsverheiratung und Gewalt in der Familie. Den Behörden seien einige Fälle mit männlichen Zwangsverheirateten bekannt, aber es herrsche in der Gesellschaft noch kein Bewusstsein dafür. "Ich glaube, dass das Problem bisher unterschätzt wurde", sagte die Referentin der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes.
"Viele halten das nicht durch"
Michell betonte ihren Respekt dafür, dass Nasser offen mit seiner Sexualität umgeht und die Hoffnung, "dass Nasser ausreichend Schutz findet". Allerdings seien Menschen wie er hohen Risiken ausgesetzt. Von bisherigen Fällen der Zwangsheirat kennt sie Konsequenzen, wenn die Angehörigen einen Sohn oder eine Tochter bezichtigen, gegen die Familienehre verstoßen zu haben, etwa Morddrohungen und Gewalt. Angesprochen auf Nassers Situation nach seinem Auftritt vor Gericht, sagte Michell: "Die Gefahr ist riesengroß."
Schutz biete die Anonymisierung, also das Untertauchen in einer anderen Stadt. Allerdings müsse Nasser, wenn er dies tue, seine wirkliche Identität und das, was er erlebt hat, verheimlichen. "Man kann niemanden von seiner Geschichte erzählen", sagte Michell und fügte hinzu: "Viele halten das nicht durch".
Die Menschenrechtlerin kritisierte die Betreuung von Opfern familiärer Gewalt und Zwangsverheiratung. "Es gibt zu wenige Schutzeinrichtungen in Deutschland", sagte sie und ergänzte für Männer gebe es keine einzige. Außerdem forderte sie, die Gesetze zu verschärfen. Bislang gelte das Verbot der Zwangsehe nur für die standesamtliche Hochzeiten. Ausgeschlossen seien rituelle Zwangsverheiratungen vor der Familie und religiöse Zeremonien.
"Deshalb fordern wir schon lange, dass der Straftatbestand erweitert werden muss um die sogenannten eheähnlichen Verbindungen, weil sonst bleibt der Staat machtlos."
Die meisten der Familien, die ihre Kinder zwangsverheiraten, sind seit Jahrzehnten in Deutschland. Trotzdem orientierten sie sich nicht an die rechtsstaatlichen Vorstellungen in Deutschland. "Ich merke keine Veränderung - eher das Gegenteil", sagte Monika Michell. Der Wandel müsse aus der Gemeinschaft selbst kommen.