Zwangsverband für die Kultur
Der Speckgürtel ist kein Frankfurter Phänomen - an den Lasten der reichen Umlandgemeinden aber tragen die kulturellen Leuchttürme der gar nicht so großen Großstadt schwerer als anderswo. Auch, weil keine Landesmittel in ein Staatstheater fließen. Ministerpräsident Roland Koch hat sich eine andere Lösung für die finanziellen Nöte der Kulturmetropole einfallen lassen: Der Rhein-Main-Raum soll der Stadt unter die Arme greifen - notfalls über einen Zwangsverband.
Nicht nur die betroffenen Kulturpolitiker der kleinen Nachbarn sind empört - auch Außenstehende warnen, das "kulturelle Feuchtbiotop" des Umlandes dürfe nicht ausgetrocknet werden. Dass aber Frankfurt mehr Zuwendungen braucht, steht auch für die Kritiker außer Frage.
Spinnwe(h)bzeit, Spinnweb(b)zeit. Die aktuelle Ausstellung im Frankfurter Museum für Moderne Kunst, MMK, setzt auf Konfrontationen, unerwartete Bezüge, Querverbindungen.
Führung: "Haben Sie denn Fragen vorneweg? So was wie: Was ist Kunst oder so? Ne? (Lachen) Also gut. – Und wofür. – Ja, ja, und wofür is gut und was kostets? "
Was kostet die Kunst? Doch, die Frage lässt sich beantworten. Im Fall des Museums vier Millionen Euro Gesamtbudget, knapp 80 Prozent getragen von der Stadt Frankfurt. Ein Mitarbeiter lotst ein Grüppchen von 20 Besuchern durch die Objekte der Sammlung und dazu-ersteigerte Alltagsdinge.
Führung: "Kunst hat ja sowieso Inflation heute. Und jetzt ist auch die Inflation in diesem Museum eingekehrt. Denn: Sie alle haben so ein Heftchen in der Hand, oder viele von ihnen... "
Eine Ausstellung muss – wie in diesem Fall - nicht teuer sein, ein Museum braucht Geld. Der frühere Leiter des MMK, Jean-Christophe Ammann, hat das über viele Jahre in Zeiten knapper kommunaler Kassen erfahren.
Ammann: "Die wenigsten Menschen – und auch Politiker schon gar nicht – wissen, was das ist – eine Sammlung. Erst viele, viele, viele Jahrzehnte später, manchmal erst hundert Jahre später ist man stolz auf sein Museum. Aber die wenigsten wissen, wie man die Dinge, die man da erwirbt, einschätzen soll. Und deshalb sind auch damals, Anfang der 90er Jahre, ist der Ankaufsetat einfach weg gewesen. Nicht? Weil man das nicht für wichtig findet. Weil das nicht einschätzbar ist. Und ich glaube, wenn man ein Museum ist, muss man unbedingt Erwerbungen tätigen, denn das Museum ist das kollektive Gedächtnis und die Werke Teile der kollektiven Biographie. "
Dass Kultur, vor allem die Hochkultur, nicht billig ist, weiß man gerade in Frankfurt. Die Stadt stellt dafür bundesweit pro Kopf das meiste Geld zur Verfügung, mit Abstand. Nicht nur, weil es dort eine lange Kulturtradition gibt. Frankfurt ist – mit 90 Prozent der Ausgaben - weitgehend auf sich selbst gestellt. Auch bei Oper und Theater, den größten Ausgabenposten. Anders als etwa München, wo die Einrichtungen der Hochkultur zu einem großen Teil landesgetragen und -finanziert sind. Die hessischen Staatstheater stehen in den alten Residenzstädten: Wiesbaden, Darmstadt und Kassel. Ein weiterer Grund ist der Zuschnitt der Rhein-Main-Region: Von Mainz und Wiesbaden bis Darmstadt, wenn man will bis Aschaffenburg reicht das Umfeld, Frankfurt selbst ist mit 650.000 Einwohnern klein für eine Metropole.
Das Umland profitiert von den Ausgaben der Frankfurter. Auch wenn die meisten Besucher im Museum für Moderne Kunst sagen, dass sie aus Frankfurt kommen – erst einmal.
Umfrage: "Aus Frankfurt – aus Frankfurt, ja. – Aus Frankfurt. - Auch. - Aus Mainz. - Mainz. - Hier aus Frankfurt. - Malaisia. - Frankfurt. - Leipzig. - Wir sind beide aus Dietzenbach. Ich hatte vorher Frankfurt gesagt, weil eigentlich sind wir ja aus Frankfurt, aber wir sind aus Dietzenbach. "
Dietzenbach, ein Städtchen im Landkreis Offenbach. Alles irgendwie Frankfurt für diese beiden Frauen. So ähnlich scheint es auch Ministerpräsident Roland Koch zu sehen. Er hat sich vorgenommen, Frankfurt zu entlasten, möglichst Stadt und Region als Standort der Kultur noch auszubauen. Und der wesentliche finanzielle Beitrag soll aus dem Umland kommen. Dabei ist sich Koch erst einmal im Ziel einig mit fast allen Politikern der Opposition, Frankfurts und der Umlandgemeinden: Kultur ist ein Standortfaktor, der ernst genommen werden muss.
Koch: "Die Frage lautet: Ist die Analyse richtig, dass zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftskraft, des Wohlstandes und der Leistungsfähigkeit dieser bedeutenden Region Frankfurt-Rhein-Main eine Fortentwicklung der sichtbaren überregional und international anerkannten Kultur gehört? Ja oder nein? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass wir nicht zusehen dürfen, wie der kulturelle Rang dieser Region so weit Abstand nimmt – und zwar in die falsche Richtung - von denen, die in Europa und darüber hinaus unsere Wettbewerber sind, dass daraus ein schwerer, auch wirtschaftlicher Schaden wird. "
Die Konkurrenten, von denen Koch immer wieder spricht, sind London, Paris, New York. Ein bisschen sehr hoch gegriffen, könnte man meinen. Ein Argument, das man gerade von denen erwarten würde, die jetzt zur Kasse gebeten werden sollen. Aber weit gefehlt: Stephan Gieseler, der Bürgermeister Dietzenbachs, ist mit dem Vergleich völlig einverstanden.
Gieseler: "Paris ist ja auch nur eine Stadt mit einem zentralen Punkt und dann jeder Menge – ich sage mal Vororte, die dann im Endeffekt zu einem Ballungsraum Paris definiert sind. Wenn Sie sich den Raum Frankfurt angucken: Streng genommen würden wir als Dietzenbacher nach dem französischen Modell Teil von Paris sein. Oder Teil von Frankfurt sein. Von daher ist schon eine Vergleichbarkeit da. Allein die Größe des Frankfurter Flughafens dokumentiert das. Und die Stärke der Wirtschaft dort vor Ort. Von daher ist eine Vergleichbarkeit gegeben. Dass man das auch auf kultureller Ebene schaffen sollte, denke ich mal, ist zumindest eine lohnenswerte Überlegung. "
Bis genau da hin reicht die Einigkeit. Alles Weitere ist umstritten, wie immer, wenn es ums Geld geht. Wer soll die Kultur in der Region finanzieren? Und was ist das: Die Kultur, die von allen gemeinsam bezahlt wird? Da wäre zuerst das Modell des Roland Koch und seines Innenministers Volker Bouffier. Ihre Rechnung ist einfach: Das Umland profitiert, also soll es zahlen. Die Vorgabe ist Ernst zu nehmen, denn das Land hat inzwischen Fakten geschaffen: Nach dem Ballungsraumgesetz kann es eine gemeinsame Finanzierung von Aufgaben verlangen. Mit einer so genannten Dringlichkeitserklärung wurde dieser Mechanismus in Gang gesetzt. Der Rat der Region, ein dafür zuständiges Gremium Frankfurts und des Umlands, widersprach. Mit nur begrenzter Wirkung. Nun läuft eine Frist von einem Jahr. In dieser Zeit müssen die Stadt Frankfurt, die Kreise und die Kommunen sich einigen über einen gemeinsamen Topf. Am Schluss entscheidet dann das Kabinett, insbesondere Roland Koch, ob ihm der möglicherweise gefundene Kompromiss genügt. Wenn ja, gibt das Land einen Zuschuss, in noch unbestimmter Höhe. Wenn nicht, zahlen alle, in einem Kulturzweck- oder Zwangsverband, nach einem festgesetzten Plan, etwa auf der Grundlage von zwei inzwischen eingeholten Gutachten. Demnach entfiele rund ein Drittel der Kultur-Kosten auf das Umland, um die 70 Millionen Euro, verteilt auf die Gemeinden nach der Anzahl der Besucher. Für eine Kommune wie Dietzenbach, so Bürgermeister Gieseler, wäre das kaum zu bewältigen:
Gieseler: "Also nach den derzeitigen Überlegungen wars wohl so, dass rund 1,3 Millionen Euro bei der Kommune hängenbleiben würden. Und wenn ich sehe, dass es rund 600.000 Euro sind, die ich derzeit für eigene kulturelle Interessen aufwende, erscheint einem natürlich auf den ersten Blick sehr hoch – und auch auf den zweiten Blick. Streng genommen müsste ich mein eigenes kulturelles Angebot, das heißt mein eigenes Theater, mein eigenes Bürgerhaus, das Vereinsleben hier vor Ort, mein Heimatmuseum, müsste ich ordentlich zurücknehmen in der Förderung, das auf die Beine zu stellen. Und selbst dann wäre das Geld nicht auskömmlich. "
Tatsächlich wäre mit dieser erzwungenen Lösung niemand so richtig zufrieden. Die SPD im Landtag etwa schlägt stattdessen vor, die betroffenen Kommunen gleich zusammenzufassen, in einem Regionalkreis. Der Zwang zur vermeintlich freiwilligen Einigung, unter dem die Bürgermeister und Landräte jetzt stehen, beschreibt der SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Walter drastisch so:
Walter: "Die Landesregierung hat eine geladene Pistole, setzt sie der kommunalen Ebene auf die Brust. Und sagt: Gib mir Dein Geld. Wenn die Kommune der Landesregierung das Geld gibt, ist das die Freiwilligkeit nach der Landesregierung. Wenn das Jahr abgelaufen ist, drückt die Landesregierung ab und nimmt sich das Geld von dem Opfer. "
Die Union im Landtag sieht das naturgemäß weniger dramatisch. Aber auch der Abgeordnete Rudi Haselbach betonte für die CDU: Gar so konkret wünscht man sich den Fallbeil-Mechanismus der Dringlichkeitserklärung nicht:
Haselbach: "Erstens gibt es keinen Kultur-Zwangsverband. Zweitens: Wir alle wollen keinen Kultur-Zwangsverband. Und diesen Kultur-Zwangsverband können wir natürlich sehr einfach verhindern: Indem sich die Gemeinden, wie in anderen Fällen bereits, auf den Weg machen und zu einer kommunalen, freiwilligen kommunalen Zusammenarbeit kommen. "
Ein hohes Ziel. Denn nicht nur die Umlandgemeinden, selbst die scheinbar profitierende Stadt Frankfurt wehrt sich gegen den Zwang. Der Leiter des Büros von Oberbürgermeisterin Petra Roth, Felix Semmelroth, der selbst aus dem Kulturmanagement kommt, begründet das so:
Semmelroth: "Wir halten einen Zwangsverband für die schlechteste aller Möglichkeiten. Denn wie das Wort schon sagt: Zwang ist etwas von außen oktroyiertes und nichts, das konsensual herbeigeführt wurde. Und gerade im Kulturbereich ist der Konsensus natürlich sehr, sehr wichtig. Und das gilt aber auch für den Umgang der Region miteinander. "
Zu diesem Stimmungsargument kommt ein weiteres, sehr viel Handfesteres. Denn wenn das Umland in einem Zweckverband mit zahlen müsste, dann müsste es natürlich auch mitsprechen dürfen, frei nach dem Grundsatz: Wer zahlt, schafft an. Wie eine solche Mitsprache aussehen könnte, ist völlig offen. Allzu viel kann sich Felix Semmelroth aber nicht vorstellen. Auf keinen Fall würde die Stadt das Eigentum an Einrichtungen abgeben:
Semmelroth: "Nein, das würde ja in diesem Fall auch ganz gravierend eingreifen in die kommunale Selbstverwaltung Frankfurts. Dieses ist städtisches Eigentum. Das können wir gar nicht weggeben. Das wäre ungesetzlich, würde möglicherweise den Tatbestand der Untreue bedeuten. Und wir können nicht sage: Ein städtisches Museum oder die Oper, darüber bestimmt ein anderer Verband, wer Intendant wird. Eine ganz, ganz wichtige Entscheidung für eine Stadt zum Beispiel. Das wäre sicher sehr, sehr schwierig. "
Für solche Vorbehalte haben auch die vermeintlichen Kontrahenden im Umland Verständnis. Jürgen Banzer ist Landrat im Hochtaunus-Kreis. Dem reichsten Landkreis in der Region, je nach Berechnung sogar in Deutschland, dem Paradebeispiel für den so genannten Speckgürtel. Wie sehr man in der Kreisstadt Bad Homburg auf den großen Nachbarn ausgerichtet ist, zeigt schon Banzers Besprechungszimmer: Die weite Glasfront zeigt auf Felder, dahinter die Hochhaus-Skyline der Frankfurter. Mit denen er in der Frage des kulturellen Zwangs gemeinsame Interessen sieht:
Banzer: "Also es gab ja mal so entsprechende Montagen in der Bild-Zeitung, wo dann Sessel der alten Oper dargestellt wurden, und dann son Euro-Preis drauf: Kommt dann jemand von der Region, ohne dass er dafür bezahlt. Oder solche Verkürzungen der Diskussion. Und wenn Sie mich fragen würden: Wohin geht die Tendenz? Dann ist die Einigkeit mit der Region größer als mit dem Land. "
Ihm fällt zur Kulturfinanzierung, genau wie Bürgermeister Gieseler, vor allem eines ein:
Banzer: "Selbst wenn ich die ganzen Zahlen akzeptiere bleibt übrig, dass das Land Hessen verglichen mit anderen Bundesländern für seine größte Stadt eklatant zu wenig tut. "
Dass Roland Koch – zusammen mit der absoluten Mehrheit seiner CDU im Landtag – alle anderen Mitspieler gegen sich hat, nimmt er gelassen. Übrigens auch CDU-Kommunalpolitiker wie Jürgen Banzer oder Stephan Gieseler.
Koch: "Die Summe kommunaler Wünsche ist nicht Landespolitik. So bedauerlich das ist. Die Landespolitik ist oft gefragt zu Fragen: Was ist das allgemeine Wohl des Landes? Da gibt es doch nicht eine CDU-Kommunalpolitik, die lieber Geld zahlt, weil das Land das im allgemeinen Wohl für notwendig hält als eine SPD-Kommunalpolitik! "
Was immer sie also davon halten mögen: Den Kommunen bleibt nichts anderes übrig als sich zu einigen. Gewisse Vorzeichen sind mit den Gutachten gesetzt, die im Auftrag der Landesregierung auf die 70 Millionen Euro gekommen waren. Und auf eine Liste der Einrichtungen, die über diesen Topf zu finanzieren sind. Fast alle in Frankfurt. Dass der mögliche Kompromiss sich wirklich danach richtet, ist allerdings nicht gesagt. Im Gegenteil: Der Reiz der Einigung besteht für die Umlandgemeinden gerade darin, diese horrend hohen Beträge und diese Definitionen zu umgehen. Ginge es nach den Gutachten, dann würden die Einrichtungen in der Region gemeinsam finanziert, die von überregionaler Bedeutung sind. Kriterien unter anderen: Die Angebote müssen international oder national bedeutend sein. Im Jahr müssen mehr als 50.000 Besucher kommen, davon mehr als ein Fünftel von außerhalb der Region. Diese Kriterien sind wichtig und - hoch umstritten. Denn sie bestimmen, wie weit auch die Angebote im Umland – Festivals, Heimatmuseen, kleinere Theater – in den finanziellen Ausgleich eingestellt werden.
Der Landrat Jürgen Banzer kritisiert den vorgegebenen Kulturbegriff:
Banzer: "Es wird jetzt Rhein-Main-Kultur auf Frankfurter Kultur reduziert. Das ist ganz falsch. Hochkultur, ohne dass sie in der gesamten Kultur eingebettet ist - das wär so, als wenn Sie glauben würden, Sie könnten eine Fußball-Nationalmannschaft in ein Land verpflanzen, in dem keiner Fußball spielt. Und wenn Sie nur mal schauen, was wir hier in unserem Landkreis haben – vom Weltkulturerbe Limes, über Fugato, Orgelfestival, über das weltberühmte Cellofestival, über Blickachsen... Und wenn man hinschaut, was da noch oft an kleineren Strukturen, aber jeweils mit ganz beachtlicher Qualität und Bedeutsamkeit stattfindet, dann ergibt das insgesamt diese besonders vielfältige Region, die ich will. "
Trotzdem: Jetzt, wo es zu einer Einigung kommen muss, kann er sich Lösungen vorstellen. Allerdings keine bloße Umverteilung. Sondern etwa einen gemeinsamen Fond, erprobt bei der Olympia-Bewerbung, in die Frankfurt, das Umland, Hessen und die Wirtschaft einzahlen. Für das Umland zum Beispiel einen Euro pro Einwohner.
Banzer: "Da hätten wir da bald zehn Millionen Euro, könnten sagen: Die zehn Millionen Euro gehen eben nicht in institutionelle Geschichten, sondern die gehen eben jeweils in Zusätzliches. Ein Festival, oder ne zusätzliche Aufführung, ne zusätzliche Inszenierung. Oder eine Sonderausstellung, ein Museumstrakt von mir aus auch. Wär auch deswegen spannend, weil das nicht zwingend nur in Frankfurt sein müsste. "
Anders als es das Ballungsraumgesetz vorsieht, sollten nach Banzers Vorstellung nicht nur die unmittelbaren Umlandgemeinden mitmachen, sondern – freiwillig – das ganze Rhein-Main-Gebiet. Ein möglicher Kompromiss – wenn der am Schluss dann noch Roland Koch genügt.
Banzer: "Es wird auf einmal ein Wettbewerb entstehen, wer spannende Angebote hat und wer tolle Ideen hat. Und das würde dann schon so nen zusätzlichen dynamischen Schuss in die gesamte Kultur geben, und zwar ohne dass es ne Staatskultur wäre, sondern es wär einfach ein zusätzlicher Effekt. Und so gesehen würde ich dann auch meinen Frieden mit der Initiative machen. Ich fand sie nicht nötig, aber so würd aus der Sache was werden, was besser ist als heute. "
Spinnwe(h)bzeit, Spinnweb(b)zeit. Die aktuelle Ausstellung im Frankfurter Museum für Moderne Kunst, MMK, setzt auf Konfrontationen, unerwartete Bezüge, Querverbindungen.
Führung: "Haben Sie denn Fragen vorneweg? So was wie: Was ist Kunst oder so? Ne? (Lachen) Also gut. – Und wofür. – Ja, ja, und wofür is gut und was kostets? "
Was kostet die Kunst? Doch, die Frage lässt sich beantworten. Im Fall des Museums vier Millionen Euro Gesamtbudget, knapp 80 Prozent getragen von der Stadt Frankfurt. Ein Mitarbeiter lotst ein Grüppchen von 20 Besuchern durch die Objekte der Sammlung und dazu-ersteigerte Alltagsdinge.
Führung: "Kunst hat ja sowieso Inflation heute. Und jetzt ist auch die Inflation in diesem Museum eingekehrt. Denn: Sie alle haben so ein Heftchen in der Hand, oder viele von ihnen... "
Eine Ausstellung muss – wie in diesem Fall - nicht teuer sein, ein Museum braucht Geld. Der frühere Leiter des MMK, Jean-Christophe Ammann, hat das über viele Jahre in Zeiten knapper kommunaler Kassen erfahren.
Ammann: "Die wenigsten Menschen – und auch Politiker schon gar nicht – wissen, was das ist – eine Sammlung. Erst viele, viele, viele Jahrzehnte später, manchmal erst hundert Jahre später ist man stolz auf sein Museum. Aber die wenigsten wissen, wie man die Dinge, die man da erwirbt, einschätzen soll. Und deshalb sind auch damals, Anfang der 90er Jahre, ist der Ankaufsetat einfach weg gewesen. Nicht? Weil man das nicht für wichtig findet. Weil das nicht einschätzbar ist. Und ich glaube, wenn man ein Museum ist, muss man unbedingt Erwerbungen tätigen, denn das Museum ist das kollektive Gedächtnis und die Werke Teile der kollektiven Biographie. "
Dass Kultur, vor allem die Hochkultur, nicht billig ist, weiß man gerade in Frankfurt. Die Stadt stellt dafür bundesweit pro Kopf das meiste Geld zur Verfügung, mit Abstand. Nicht nur, weil es dort eine lange Kulturtradition gibt. Frankfurt ist – mit 90 Prozent der Ausgaben - weitgehend auf sich selbst gestellt. Auch bei Oper und Theater, den größten Ausgabenposten. Anders als etwa München, wo die Einrichtungen der Hochkultur zu einem großen Teil landesgetragen und -finanziert sind. Die hessischen Staatstheater stehen in den alten Residenzstädten: Wiesbaden, Darmstadt und Kassel. Ein weiterer Grund ist der Zuschnitt der Rhein-Main-Region: Von Mainz und Wiesbaden bis Darmstadt, wenn man will bis Aschaffenburg reicht das Umfeld, Frankfurt selbst ist mit 650.000 Einwohnern klein für eine Metropole.
Das Umland profitiert von den Ausgaben der Frankfurter. Auch wenn die meisten Besucher im Museum für Moderne Kunst sagen, dass sie aus Frankfurt kommen – erst einmal.
Umfrage: "Aus Frankfurt – aus Frankfurt, ja. – Aus Frankfurt. - Auch. - Aus Mainz. - Mainz. - Hier aus Frankfurt. - Malaisia. - Frankfurt. - Leipzig. - Wir sind beide aus Dietzenbach. Ich hatte vorher Frankfurt gesagt, weil eigentlich sind wir ja aus Frankfurt, aber wir sind aus Dietzenbach. "
Dietzenbach, ein Städtchen im Landkreis Offenbach. Alles irgendwie Frankfurt für diese beiden Frauen. So ähnlich scheint es auch Ministerpräsident Roland Koch zu sehen. Er hat sich vorgenommen, Frankfurt zu entlasten, möglichst Stadt und Region als Standort der Kultur noch auszubauen. Und der wesentliche finanzielle Beitrag soll aus dem Umland kommen. Dabei ist sich Koch erst einmal im Ziel einig mit fast allen Politikern der Opposition, Frankfurts und der Umlandgemeinden: Kultur ist ein Standortfaktor, der ernst genommen werden muss.
Koch: "Die Frage lautet: Ist die Analyse richtig, dass zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftskraft, des Wohlstandes und der Leistungsfähigkeit dieser bedeutenden Region Frankfurt-Rhein-Main eine Fortentwicklung der sichtbaren überregional und international anerkannten Kultur gehört? Ja oder nein? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass wir nicht zusehen dürfen, wie der kulturelle Rang dieser Region so weit Abstand nimmt – und zwar in die falsche Richtung - von denen, die in Europa und darüber hinaus unsere Wettbewerber sind, dass daraus ein schwerer, auch wirtschaftlicher Schaden wird. "
Die Konkurrenten, von denen Koch immer wieder spricht, sind London, Paris, New York. Ein bisschen sehr hoch gegriffen, könnte man meinen. Ein Argument, das man gerade von denen erwarten würde, die jetzt zur Kasse gebeten werden sollen. Aber weit gefehlt: Stephan Gieseler, der Bürgermeister Dietzenbachs, ist mit dem Vergleich völlig einverstanden.
Gieseler: "Paris ist ja auch nur eine Stadt mit einem zentralen Punkt und dann jeder Menge – ich sage mal Vororte, die dann im Endeffekt zu einem Ballungsraum Paris definiert sind. Wenn Sie sich den Raum Frankfurt angucken: Streng genommen würden wir als Dietzenbacher nach dem französischen Modell Teil von Paris sein. Oder Teil von Frankfurt sein. Von daher ist schon eine Vergleichbarkeit da. Allein die Größe des Frankfurter Flughafens dokumentiert das. Und die Stärke der Wirtschaft dort vor Ort. Von daher ist eine Vergleichbarkeit gegeben. Dass man das auch auf kultureller Ebene schaffen sollte, denke ich mal, ist zumindest eine lohnenswerte Überlegung. "
Bis genau da hin reicht die Einigkeit. Alles Weitere ist umstritten, wie immer, wenn es ums Geld geht. Wer soll die Kultur in der Region finanzieren? Und was ist das: Die Kultur, die von allen gemeinsam bezahlt wird? Da wäre zuerst das Modell des Roland Koch und seines Innenministers Volker Bouffier. Ihre Rechnung ist einfach: Das Umland profitiert, also soll es zahlen. Die Vorgabe ist Ernst zu nehmen, denn das Land hat inzwischen Fakten geschaffen: Nach dem Ballungsraumgesetz kann es eine gemeinsame Finanzierung von Aufgaben verlangen. Mit einer so genannten Dringlichkeitserklärung wurde dieser Mechanismus in Gang gesetzt. Der Rat der Region, ein dafür zuständiges Gremium Frankfurts und des Umlands, widersprach. Mit nur begrenzter Wirkung. Nun läuft eine Frist von einem Jahr. In dieser Zeit müssen die Stadt Frankfurt, die Kreise und die Kommunen sich einigen über einen gemeinsamen Topf. Am Schluss entscheidet dann das Kabinett, insbesondere Roland Koch, ob ihm der möglicherweise gefundene Kompromiss genügt. Wenn ja, gibt das Land einen Zuschuss, in noch unbestimmter Höhe. Wenn nicht, zahlen alle, in einem Kulturzweck- oder Zwangsverband, nach einem festgesetzten Plan, etwa auf der Grundlage von zwei inzwischen eingeholten Gutachten. Demnach entfiele rund ein Drittel der Kultur-Kosten auf das Umland, um die 70 Millionen Euro, verteilt auf die Gemeinden nach der Anzahl der Besucher. Für eine Kommune wie Dietzenbach, so Bürgermeister Gieseler, wäre das kaum zu bewältigen:
Gieseler: "Also nach den derzeitigen Überlegungen wars wohl so, dass rund 1,3 Millionen Euro bei der Kommune hängenbleiben würden. Und wenn ich sehe, dass es rund 600.000 Euro sind, die ich derzeit für eigene kulturelle Interessen aufwende, erscheint einem natürlich auf den ersten Blick sehr hoch – und auch auf den zweiten Blick. Streng genommen müsste ich mein eigenes kulturelles Angebot, das heißt mein eigenes Theater, mein eigenes Bürgerhaus, das Vereinsleben hier vor Ort, mein Heimatmuseum, müsste ich ordentlich zurücknehmen in der Förderung, das auf die Beine zu stellen. Und selbst dann wäre das Geld nicht auskömmlich. "
Tatsächlich wäre mit dieser erzwungenen Lösung niemand so richtig zufrieden. Die SPD im Landtag etwa schlägt stattdessen vor, die betroffenen Kommunen gleich zusammenzufassen, in einem Regionalkreis. Der Zwang zur vermeintlich freiwilligen Einigung, unter dem die Bürgermeister und Landräte jetzt stehen, beschreibt der SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Walter drastisch so:
Walter: "Die Landesregierung hat eine geladene Pistole, setzt sie der kommunalen Ebene auf die Brust. Und sagt: Gib mir Dein Geld. Wenn die Kommune der Landesregierung das Geld gibt, ist das die Freiwilligkeit nach der Landesregierung. Wenn das Jahr abgelaufen ist, drückt die Landesregierung ab und nimmt sich das Geld von dem Opfer. "
Die Union im Landtag sieht das naturgemäß weniger dramatisch. Aber auch der Abgeordnete Rudi Haselbach betonte für die CDU: Gar so konkret wünscht man sich den Fallbeil-Mechanismus der Dringlichkeitserklärung nicht:
Haselbach: "Erstens gibt es keinen Kultur-Zwangsverband. Zweitens: Wir alle wollen keinen Kultur-Zwangsverband. Und diesen Kultur-Zwangsverband können wir natürlich sehr einfach verhindern: Indem sich die Gemeinden, wie in anderen Fällen bereits, auf den Weg machen und zu einer kommunalen, freiwilligen kommunalen Zusammenarbeit kommen. "
Ein hohes Ziel. Denn nicht nur die Umlandgemeinden, selbst die scheinbar profitierende Stadt Frankfurt wehrt sich gegen den Zwang. Der Leiter des Büros von Oberbürgermeisterin Petra Roth, Felix Semmelroth, der selbst aus dem Kulturmanagement kommt, begründet das so:
Semmelroth: "Wir halten einen Zwangsverband für die schlechteste aller Möglichkeiten. Denn wie das Wort schon sagt: Zwang ist etwas von außen oktroyiertes und nichts, das konsensual herbeigeführt wurde. Und gerade im Kulturbereich ist der Konsensus natürlich sehr, sehr wichtig. Und das gilt aber auch für den Umgang der Region miteinander. "
Zu diesem Stimmungsargument kommt ein weiteres, sehr viel Handfesteres. Denn wenn das Umland in einem Zweckverband mit zahlen müsste, dann müsste es natürlich auch mitsprechen dürfen, frei nach dem Grundsatz: Wer zahlt, schafft an. Wie eine solche Mitsprache aussehen könnte, ist völlig offen. Allzu viel kann sich Felix Semmelroth aber nicht vorstellen. Auf keinen Fall würde die Stadt das Eigentum an Einrichtungen abgeben:
Semmelroth: "Nein, das würde ja in diesem Fall auch ganz gravierend eingreifen in die kommunale Selbstverwaltung Frankfurts. Dieses ist städtisches Eigentum. Das können wir gar nicht weggeben. Das wäre ungesetzlich, würde möglicherweise den Tatbestand der Untreue bedeuten. Und wir können nicht sage: Ein städtisches Museum oder die Oper, darüber bestimmt ein anderer Verband, wer Intendant wird. Eine ganz, ganz wichtige Entscheidung für eine Stadt zum Beispiel. Das wäre sicher sehr, sehr schwierig. "
Für solche Vorbehalte haben auch die vermeintlichen Kontrahenden im Umland Verständnis. Jürgen Banzer ist Landrat im Hochtaunus-Kreis. Dem reichsten Landkreis in der Region, je nach Berechnung sogar in Deutschland, dem Paradebeispiel für den so genannten Speckgürtel. Wie sehr man in der Kreisstadt Bad Homburg auf den großen Nachbarn ausgerichtet ist, zeigt schon Banzers Besprechungszimmer: Die weite Glasfront zeigt auf Felder, dahinter die Hochhaus-Skyline der Frankfurter. Mit denen er in der Frage des kulturellen Zwangs gemeinsame Interessen sieht:
Banzer: "Also es gab ja mal so entsprechende Montagen in der Bild-Zeitung, wo dann Sessel der alten Oper dargestellt wurden, und dann son Euro-Preis drauf: Kommt dann jemand von der Region, ohne dass er dafür bezahlt. Oder solche Verkürzungen der Diskussion. Und wenn Sie mich fragen würden: Wohin geht die Tendenz? Dann ist die Einigkeit mit der Region größer als mit dem Land. "
Ihm fällt zur Kulturfinanzierung, genau wie Bürgermeister Gieseler, vor allem eines ein:
Banzer: "Selbst wenn ich die ganzen Zahlen akzeptiere bleibt übrig, dass das Land Hessen verglichen mit anderen Bundesländern für seine größte Stadt eklatant zu wenig tut. "
Dass Roland Koch – zusammen mit der absoluten Mehrheit seiner CDU im Landtag – alle anderen Mitspieler gegen sich hat, nimmt er gelassen. Übrigens auch CDU-Kommunalpolitiker wie Jürgen Banzer oder Stephan Gieseler.
Koch: "Die Summe kommunaler Wünsche ist nicht Landespolitik. So bedauerlich das ist. Die Landespolitik ist oft gefragt zu Fragen: Was ist das allgemeine Wohl des Landes? Da gibt es doch nicht eine CDU-Kommunalpolitik, die lieber Geld zahlt, weil das Land das im allgemeinen Wohl für notwendig hält als eine SPD-Kommunalpolitik! "
Was immer sie also davon halten mögen: Den Kommunen bleibt nichts anderes übrig als sich zu einigen. Gewisse Vorzeichen sind mit den Gutachten gesetzt, die im Auftrag der Landesregierung auf die 70 Millionen Euro gekommen waren. Und auf eine Liste der Einrichtungen, die über diesen Topf zu finanzieren sind. Fast alle in Frankfurt. Dass der mögliche Kompromiss sich wirklich danach richtet, ist allerdings nicht gesagt. Im Gegenteil: Der Reiz der Einigung besteht für die Umlandgemeinden gerade darin, diese horrend hohen Beträge und diese Definitionen zu umgehen. Ginge es nach den Gutachten, dann würden die Einrichtungen in der Region gemeinsam finanziert, die von überregionaler Bedeutung sind. Kriterien unter anderen: Die Angebote müssen international oder national bedeutend sein. Im Jahr müssen mehr als 50.000 Besucher kommen, davon mehr als ein Fünftel von außerhalb der Region. Diese Kriterien sind wichtig und - hoch umstritten. Denn sie bestimmen, wie weit auch die Angebote im Umland – Festivals, Heimatmuseen, kleinere Theater – in den finanziellen Ausgleich eingestellt werden.
Der Landrat Jürgen Banzer kritisiert den vorgegebenen Kulturbegriff:
Banzer: "Es wird jetzt Rhein-Main-Kultur auf Frankfurter Kultur reduziert. Das ist ganz falsch. Hochkultur, ohne dass sie in der gesamten Kultur eingebettet ist - das wär so, als wenn Sie glauben würden, Sie könnten eine Fußball-Nationalmannschaft in ein Land verpflanzen, in dem keiner Fußball spielt. Und wenn Sie nur mal schauen, was wir hier in unserem Landkreis haben – vom Weltkulturerbe Limes, über Fugato, Orgelfestival, über das weltberühmte Cellofestival, über Blickachsen... Und wenn man hinschaut, was da noch oft an kleineren Strukturen, aber jeweils mit ganz beachtlicher Qualität und Bedeutsamkeit stattfindet, dann ergibt das insgesamt diese besonders vielfältige Region, die ich will. "
Trotzdem: Jetzt, wo es zu einer Einigung kommen muss, kann er sich Lösungen vorstellen. Allerdings keine bloße Umverteilung. Sondern etwa einen gemeinsamen Fond, erprobt bei der Olympia-Bewerbung, in die Frankfurt, das Umland, Hessen und die Wirtschaft einzahlen. Für das Umland zum Beispiel einen Euro pro Einwohner.
Banzer: "Da hätten wir da bald zehn Millionen Euro, könnten sagen: Die zehn Millionen Euro gehen eben nicht in institutionelle Geschichten, sondern die gehen eben jeweils in Zusätzliches. Ein Festival, oder ne zusätzliche Aufführung, ne zusätzliche Inszenierung. Oder eine Sonderausstellung, ein Museumstrakt von mir aus auch. Wär auch deswegen spannend, weil das nicht zwingend nur in Frankfurt sein müsste. "
Anders als es das Ballungsraumgesetz vorsieht, sollten nach Banzers Vorstellung nicht nur die unmittelbaren Umlandgemeinden mitmachen, sondern – freiwillig – das ganze Rhein-Main-Gebiet. Ein möglicher Kompromiss – wenn der am Schluss dann noch Roland Koch genügt.
Banzer: "Es wird auf einmal ein Wettbewerb entstehen, wer spannende Angebote hat und wer tolle Ideen hat. Und das würde dann schon so nen zusätzlichen dynamischen Schuss in die gesamte Kultur geben, und zwar ohne dass es ne Staatskultur wäre, sondern es wär einfach ein zusätzlicher Effekt. Und so gesehen würde ich dann auch meinen Frieden mit der Initiative machen. Ich fand sie nicht nötig, aber so würd aus der Sache was werden, was besser ist als heute. "