Zwangsversteigerungen

Die Wohnraum-Spekulanten

Ein Haus als Symbolbild für Zwangsversteigerungen.
Manche Besitzer bieten bei Zwangsversteigerungen selbst mit - zum Beispiel mit einer Vollmacht der eigenen Frau. © picture alliance / Revierfoto
Von Svenja Pelzel |
Wer in Großstädten wie Berlin eine Zwangsversteigerung besucht, trifft auch auf Wohnungsbesitzer, die gezielt keine Rechnungen mehr zahlen. Sie spekulieren darauf, mehr als den Schätzwert zu erhalten. Auch viele der neuen Besitzer zocken mit dem Wohnraum.
Bis auf den letzten Platz ist der große Gerichtssaal im Amtsgericht Berlin Charlottenburg an diesem Morgen besetzt. Um die hundert Männer und Frauen drängen sich in den Stuhlreihen oder sitzen auf Fensterbänken. Auf dem Programm: kein spektakulärer Mordfall, sondern die Zwangsversteigerung einer 2-Zimmer-Wohnung mit 65 Quadratmetern Wohnfläche in einer viel befahrenen Nebenstraße in Berlin Charlottenburg. Keiner der Anwesenden hat die Wohnung je gesehen oder kennt gar den Mieter, der seit 37 Jahren dort lebt. Die Spannung ist an diesem Morgen dennoch fast mit Händen zu greifen. Auch zahlreiche professionelle Immobilienmakler sind heute hier, beobachten die Szenerie am Rand stehend, mit verschränkten Armen.
"In den 90er-Jahren war es so, da war der Quadratmeterpreis in Grunewald 3000 Euro, was heute mindestens das Doppelte ist, wenn nicht 10.000 Euro, und keiner wollt's haben. Um die Jahrtausendwende herum wurden die Immobilien auch zwangsversteigert und keine Sau hat es interessiert, weil keiner wollte nach Berlin."
"Manchmal drehen die Leute durch"
9 Uhr - die Versteigerung beginnt auf die Minute genau. Ein junger Mann bietet als erster im Namen seiner polnischen Mutter 90.000 Euro. Bei jedem Gebot eines Mitbieters erhöht er die Summe sofort. Schnell sind die 104.000 Euro, auf die die Wohnung geschätzt wurde, überschritten. Am Ende kauft die polnische Mutter aus Stettin für 135.000 Euro die Wohnung– 31.000 Euro über dem Schätzwert.
"Die Dame arbeitet schon 45 Jahren und könnte sich das leisten."
"Aber die ist vermietet, das wohnt jemand drin."
"Das ist einfach Kapitalanlage."
"Die wohnt seit 37 Jahren drin, die kann man auch nicht kündigen.
"Vielleicht zieht er weg, vielleicht bleibt er weiter wohnen, mal schauen. Wir lassen uns mal überraschen."
Wohnraum ist zur Ware geworden, mit der spekuliert wird. Nicht nur auf dem freien Markt, sondern sogar vor den Augen der Gerichte.
"Aufruf in dem Zwangsversteigerungsverfahren vor dem Amtsgericht Neukölln zum Aktenzeichen 70K15..."

Eine Woche später im Amtsgericht Berlin-Neukölln. Eine 39-Quadratmeter Wohnung am Rande der Stadt steht zur Versteigerung an. Verkehrswert: 49.000 Euro. Die Lage ist denkbar unattraktiv, deshalb sitzen an diesem Morgen gerade mal 13 Interessenten im Saal. Auch Gustav Hoch, der Besitzer, ist da. Der 70-jährige kleine Mann mit schlohweißen Haaren wirkt ausgesprochen gut gelaunt dafür, dass er gerade seine Wohnung verliert. Die Zwangsversteigerung hat er absichtlich herbeigeführt.
"Es gibt nirgendwo eine bessere Methode gute Preise zu erzielen, als bei der Zwangsversteigerung. Manchmal drehen die Leute durch oder steigern sich in einen Rausch rein und diese Preise erzielen sie sonst nicht. Und ich steuere die Zwangsversteigerung heute, das heißt ich hab eine Vollmacht meiner Frau dabei. Wenn mir der Preis nicht passt, steige ich in Form meiner Frau selber ein."
Absichtlich in die Zwangsversteigerung
Wenn Gustav Hoch eine seiner Wohnungen absichtlich in die Zwangsversteigerung bringen will, zahlt er einfach keine Betriebs- und Heizkosten und kein Wohngeld mehr. Das macht er so lange, bis es Stadtwerken, Stromanbietern oder Hausgemeinschaft reicht und sie den Antrag beim Amtsgericht einreichen. Dass er damit ständig unbeteiligte Dritte nervt, Gerichte unnötig beschäftigt, stört Hoch nicht.
"Also ich mach es öfters mal, nicht nur in Berlin sondern auch – ich wohn jetzt ja am Niederrhein – und in Duisburg mach ich das hier und da mal."
Strafbar ist diese Strategie nicht - und durchaus bekannt bei Gericht. An diesem Morgen ist für Gustav Hoch allerdings nicht viel zu holen.
Die Versteigerung läuft schleppend, keiner verfällt bei diesem Angebot in Hysterie. Auch Anton Schwarz nicht. Er will die Wohnung haben, sagt aber trotzdem keinen Piep. Er geht oft zu Zwangsversteigerungen.
"Manchmal ist es eine Spielerei. Ich gehe irgendwohin und entweder gefällt mir was und dann habe ich mein Limit oder es gefällt mir besonders gut, dann gehe ich eben drüber."
Schließlich das erste Gebot, magere 25.000 Euro. Gustav Hoch, dem Besitzer, ist das zu wenig, er erhöht sofort im Namen seiner Frau auf 26.000. So geht es weiter und am Ende bekommt Anton Schwarz die Wohnung für 50.000 Euro. Zufrieden packt Gustav Hoch seine Unterlagen zusammen, verlässt den Saal, plaudert draußen noch ein bisschen mit dem neuen Besitzer seiner Wohnung:
"Ja, ich bin zufrieden. Sie sehen ja, es ist gelaufen, wie ich es prognostiziert habe."
Gustav Hoch und Anton Schwarz haben beide gewonnen: der alte Besitzer, weil er mehr als den Schätzwert für seine Wohnung bekommen hat. Der neue, weil er ohne Sucherei und Maklergebühren ein Spekulationsobjekt ersteigert hat, das nach seiner Kalkulation im Preis steigen wird. Ob es auch Verlierer in diesem Spiel gibt, interessiert die beiden Männer nicht.
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