Zwei gegen den Rest der Welt
Der englische Schriftsteller Michael Morpurgo, 1942 in London geboren und Autor von über 40 Jugendbüchern, erzählt in seinem neuen Jugendbuch "Mein Bruder Charlie" von einer sehr innigen Beziehung zwischen zwei Brüdern. Der gemeinsame Weg führt Thomas und Charlie in den Ersten Weltkrieg - und endet mit einem schmerzhaften Verlust.
Schon die erste Szene von Michael Mopurgos "Mein Bruder Charlie" packt den Leser, denn da spricht ihn ein 18-jähriger junger Mann mitten in der Nacht direkt an. Dieser Thomas, Tommo genannt, scheint in einer Scheune eingesperrt zu sein. Er will nicht einschlafen, er will keinen Augenblick seiner Zeit verschwenden, er will sich erinnern und erzählen.
Von einem ebenso idyllischen wie schwierigen Aufwachsen auf dem Lande erzählt Thomas. Von kindlichen Abenteuern und Ängsten, von dem geliebten Vater, der bei einem Unfall ums Leben kam und von der mutigen Mutter, die ihre Söhne vor und im Ersten Weltkrieg groß zieht. Und von Charlie, dem drei Jahre älteren Bruder, der den Kleineren immer wieder beschützt, bis er ihn eines Tages mit Molly, der gemeinsamen Freundin, verrät.
Trotzdem folgt Thomas dem großen Bruder in den Krieg. Übersteht an seiner Seite die Quälereien eines sadistischen Ausbilders wie die Kämpfe um Ypern, grausame Kämpfe von Mann zu Mann und die Hölle der Giftgasangriffe. Bis sie sich nicht mehr gegenseitig schützen können und Thomas schwer verletzt wird …
In jener Nacht in der Scheune zieht an dem jungen Mann sein ganzes Leben vorbei. In der Ich-Form und im Präsens schildert er, was ihn bewegt, geprägt, gefreut und geschmerzt hat. Ganz nah sind ihm die Erlebnisse, die Menschen und die Gefühle, an die er sich erinnert. Kapitel für Kapitel, Stunde für Stunde schreitet die Nacht, und damit die Erzählzeit unerbittlich voran. Nach und nach erfährt man mehr über Thomas Aufenthalt in der Scheune. Die Spannung wächst, denn immer deutlicher schält sich im Verlauf dieser schmalen Rahmenhandlung heraus, dass am nächsten Morgen etwas Entsetzliches bevorsteht. Doch was? Sechs Uhr ist der Zeitpunkt, auf den Thomas’ Erinnerungen hinlaufen – und vor dem sie genauso auch weglaufen. Was dann passiert, bewegt tief.
Es gibt nicht viele Jugendbücher, in denen das Schöne und der Schrecken so schlicht und zugleich anrührend geschildert werden. Michael Mopurgos Sprache ist schlicht, dicht, konzentriert. Sie lässt viel Raum für Fantasie und Assoziationen, deutet oft nur an, was damals, in der Kindheit, breiten Raum eingenommen hat. Thomas Trauma durch den Verlust des Vaters, seine rasende Angst vor dem ersten Schultag, seine Verliebtheit in Molly, die Freundin und Frau seines Bruders oder die fröhlichen Stunden zu dritt am Fluss, schließlich die entsetzlichen Erlebnisse im Krieg und das pochende Heimweh – alle Gefühle wirken eindrucksvoll gerade durch ihre zarte, zurückhaltende Zeichnung.
Eine wohltuende Ruhe geht von diesem Buch aus, trotz seines spannenden Aufbaus und aller dramatischen Ereignisse, trotz böser Konflikte und tragischer Schuld. Eine Ruhe, die bedingt ist durch die Gelassenheit des Erzähltons und die Würde, die jeder Mensch für sich besitzt.
Einen so starken, großen Bruder wie Charlie wünscht sich jedes Kind – zumindest unbewusst. Charlie kann dadurch zur Identifikationsfigur für viele Leser werden. Oder besser: zum Begleiter durch eigene Nöte. Und dass der kleine Bruder schließlich allein weiterleben muss, ist ein trauriger aber notwendiger Schluss. Für dieses Buch, für Thomas und den Leser.
Rezensiert von Sylvia Schwab
Michael Morpurgo: Mein Bruder Charlie
Aus dem Englischen von Klaus Fritz.
Carlsen Verlag 2007
190 Seiten, 14,00 Euro
ab 14 Jahre
Von einem ebenso idyllischen wie schwierigen Aufwachsen auf dem Lande erzählt Thomas. Von kindlichen Abenteuern und Ängsten, von dem geliebten Vater, der bei einem Unfall ums Leben kam und von der mutigen Mutter, die ihre Söhne vor und im Ersten Weltkrieg groß zieht. Und von Charlie, dem drei Jahre älteren Bruder, der den Kleineren immer wieder beschützt, bis er ihn eines Tages mit Molly, der gemeinsamen Freundin, verrät.
Trotzdem folgt Thomas dem großen Bruder in den Krieg. Übersteht an seiner Seite die Quälereien eines sadistischen Ausbilders wie die Kämpfe um Ypern, grausame Kämpfe von Mann zu Mann und die Hölle der Giftgasangriffe. Bis sie sich nicht mehr gegenseitig schützen können und Thomas schwer verletzt wird …
In jener Nacht in der Scheune zieht an dem jungen Mann sein ganzes Leben vorbei. In der Ich-Form und im Präsens schildert er, was ihn bewegt, geprägt, gefreut und geschmerzt hat. Ganz nah sind ihm die Erlebnisse, die Menschen und die Gefühle, an die er sich erinnert. Kapitel für Kapitel, Stunde für Stunde schreitet die Nacht, und damit die Erzählzeit unerbittlich voran. Nach und nach erfährt man mehr über Thomas Aufenthalt in der Scheune. Die Spannung wächst, denn immer deutlicher schält sich im Verlauf dieser schmalen Rahmenhandlung heraus, dass am nächsten Morgen etwas Entsetzliches bevorsteht. Doch was? Sechs Uhr ist der Zeitpunkt, auf den Thomas’ Erinnerungen hinlaufen – und vor dem sie genauso auch weglaufen. Was dann passiert, bewegt tief.
Es gibt nicht viele Jugendbücher, in denen das Schöne und der Schrecken so schlicht und zugleich anrührend geschildert werden. Michael Mopurgos Sprache ist schlicht, dicht, konzentriert. Sie lässt viel Raum für Fantasie und Assoziationen, deutet oft nur an, was damals, in der Kindheit, breiten Raum eingenommen hat. Thomas Trauma durch den Verlust des Vaters, seine rasende Angst vor dem ersten Schultag, seine Verliebtheit in Molly, die Freundin und Frau seines Bruders oder die fröhlichen Stunden zu dritt am Fluss, schließlich die entsetzlichen Erlebnisse im Krieg und das pochende Heimweh – alle Gefühle wirken eindrucksvoll gerade durch ihre zarte, zurückhaltende Zeichnung.
Eine wohltuende Ruhe geht von diesem Buch aus, trotz seines spannenden Aufbaus und aller dramatischen Ereignisse, trotz böser Konflikte und tragischer Schuld. Eine Ruhe, die bedingt ist durch die Gelassenheit des Erzähltons und die Würde, die jeder Mensch für sich besitzt.
Einen so starken, großen Bruder wie Charlie wünscht sich jedes Kind – zumindest unbewusst. Charlie kann dadurch zur Identifikationsfigur für viele Leser werden. Oder besser: zum Begleiter durch eigene Nöte. Und dass der kleine Bruder schließlich allein weiterleben muss, ist ein trauriger aber notwendiger Schluss. Für dieses Buch, für Thomas und den Leser.
Rezensiert von Sylvia Schwab
Michael Morpurgo: Mein Bruder Charlie
Aus dem Englischen von Klaus Fritz.
Carlsen Verlag 2007
190 Seiten, 14,00 Euro
ab 14 Jahre