Zwei Jahre "Charlie Hebdo"-Anschlag

"Satire ist ein Ventil für die Psyche"

Comedian Dietmar Wischmeyer im Studio von Radio ffn in Hannover.
Der Satiriker Dietmar Wischmeyer bei einem Interview © Picture Alliance / dpa / Peter Steffen
Dietmar Wischmeyer im Gespräch mit Ute Welty |
Anschreiben gegen den Irrsinn der Welt: Für den Kolumnisten Dietmar Wischmeyer ist Satire ein Ventil für die Psyche. Zwei Jahre nach dem Anschlag auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" sei das Geschäft aber nicht einfach.
Nach Ansicht des Satirikers Dietmar Wischmeyer ist es Aufgabe von Satire, in Zeiten des ansonsten "nicht zu beschreibenden Irrsinns" ein Ventil zu schaffen. Das gelte auch mit Blick auf das Attentat auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" vor genau zwei Jahren, so der Kolumnist im Deutschlandradio Kultur. Bei dem Anschlag starben zwölf Menschen, darunter fünf prominente Karikaturisten aus dem Redaktionsteam.
"Man muss die Psyche ja rein halten, sie kann sich nicht immer nur mit dem Bösen auseinandersetzen", so Wischmeyer. "Und dafür ist Satire wie gemacht." Dagegen habe sie nicht die Aufgabe, politisch zu informieren oder ein Bewusstsein für eine bestimmt Art für Politik zu erzeugen. "Sondern sie kann nur das Ventil sein."

Verwerfungen aufzeigen

Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo aber auch nach der Schmähkritik Jan Böhmermanns an dem türkischen Präsidenten Erdogan sei Satire allerdings als "gesamtgesellschaftliches Gewissen" völlig überschätzt worden, so der Autor. Aufgabe der Satire sei es, aufzuzeigen, "wo die Verwerfungen sind, in dem, was Politik uns weismachen will und was den Tatsachen nicht entspricht." Auf diese Kluft müsse Satire ständig hinweisen. "Aber nicht sagen, was richtig ist. Das weiß sie auch nicht."

Trump als Twitter-Satiriker

Gleichzeitig gab er zu Bedenken, dass die heutige Realität Satirikern das Leben auch schwer mache. "Die Welt ist so absurd geworden in vielen Teilen, dass sie satirisch kaum zu überspitzen ist." Auch zu Donald Trump als gewählten Präsidenten der USA falle ihm nur noch wenig ein, "weil er ja allein über Twitter eine eigene Satire-Zeitschrift herausgibt."
(utz)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: "Berlin ist wieder angesagt. Erst die Hipster, jetzt die Terroristen." Das schreibt die deutsche Ausgabe des Satiremagazins "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Und wenn einer Witze über Attentate machen darf, dann ist es "Charlie Hebdo". Heute vor genau zwei Jahren wird die Redaktion in Paris selbst von Islamisten überfallen, zwölf Menschen sterben an diesem 7. Januar 2015. Sieben Wochen später erscheint die nächste Ausgabe von "Charlie Hebdo", und auch Dietmar Wischmeyer hat 2015 mit seiner Kolumne "Günther, der Treckerfahrer" erst einmal ausgesetzt, hatte auch das Gefühl, Satire passt jetzt nicht. Aber wie viel Abstand ist denn angemessen? Guten Morgen, Herr Wischmeyer!
Dietmar Wischmeyer: Ja, guten Morgen!
Welty: Wann nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" haben Sie Günther wieder Trecker fahren lassen?
Wischmeyer: Gleich am nächsten Tag. Das war auch eher nicht so, dass ich glaubte, man könne nicht mit Satire antworten auf Anschläge, das war nicht der Grund, das war eher eine Form des kommunikativen Anstands, also wie man Trauer beflaggt oder eine schwarze Binde trägt. Es hatte nichts damit zu tun, dass ich glaubte, inhaltlich könne man dazu nichts sagen.
Welty: Wenn wir heute zurückblicken, dann müssen wir feststellen, "Charlie Hebdo" war sozusagen erst der Anfang. Können Sie die verstehen, die sagen, bei dieser Massivität von Anschlägen, Attentaten, Amokläufen, da vergeht mir die Lust auf Satire?

"Satire als gesamtgesellschaftliches Gewissen völlig überschätzt"

Wischmeyer: Nee, das kann ich nicht verstehen, denn gerade die Aufgabe – wenn sie denn überhaupt eine hat gesellschaftlich – der Satire ist ja, in Zeiten dieses nicht ansonsten zu beschreibenden Irrsinns ein Ventil zu schaffen, in der man auch irgendwie damit umgehen kann. Man muss die Psyche ja rein halten, sie kann sich nicht immer nur mit dem Bösen auseinandersetzen. Und dafür ist Satire wie gemacht. Sie hat sicherlich nicht die Aufgabe, politisch zu informieren oder ein Bewusstsein für eine bestimmte Art von Politik zu erzeugen, sondern sie kann nur das Ventil sein. Und was ich finde, was nach "Charlie Hebdo", also den Anschlägen darauf, noch mehr mit dem Schmähgedicht über Erdogan zur Folge hatte in der Gesellschaft, ist, dass Satire als gesamtgesellschaftliches Gewissen völlig überschätzt wurde. Es ist nichts, was uns irgendwie die Gesellschaft näherbringt oder bewusster macht oder vor Augen führt, was wirklich hier passiert, sondern es ist ein Ventil. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Welty: Es gibt Kollegen von Ihnen, die finden, dass Satire ein echt schweres Geschäft geworden ist, weil die Realität schon so zugespitzt daherkommt. Wie sehen Sie das, ist das wahre Leben noch zu toppen?

Die deutsche "Charlie Hebdo": "eine bessere Schülerzeitschrift"

Wischmeyer: Das ist immer das Problem. Ich glaube, das hat schon Karl Kraus damals gesagt, dass ihm zu Hitler nichts mehr einfällt. Trump ist nicht Hitler, das wollte ich damit nicht sagen, aber auch zu Trump fällt mir wenig ein, weil er ja allein über Twitter eine eigene Satirezeitschrift herausgibt. Das stimmt schon, die Welt ist so absurd geworden in vielen Teilen, dass sie satirisch kaum zu überspitzen ist. Es gibt jetzt mittlerweile ja auch eine deutsche Ausgabe von "Charlie Hebdo", ich hab das erste Exemplar gelesen …
Welty: Ich hab's eben zitiert.
Wischmeyer: Ich finde, es ist … na ja, ich meine, es ist so eine bessere Schülerzeitschrift. Ich glaube nicht, dass es über dieses erste Exemplar groß hinausgehen wird, dafür ist einfach kein Markt da. Satire findet heute ja im Internet jeden Tag statt, da kann man mit einer auf Rotationspapier gedruckten Zeitschrift nicht mehr gegen punkten.
Welty: Was treibt Sie denn persönlich dazu, immer weiterzumachen, zum Beispiel in der heute-show vom ZDF aus Ihrem "Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten" vorzulesen? Jetzt sagen Sie nicht, ich hab doch nichts Vernünftiges gelernt.
Wischmeyer: Das stimmt natürlich, ich hab Philosophie studiert, da bleiben einem nicht so wahnsinnig viele Möglichkeiten, an der Mehrwertbeschaffung dieser Gesellschaft teilzunehmen. Ich mach das ja beruflich, das ist ja so ein Grund, den auch viele andere schon dafür haben, etwas zu machen, was sie nicht täglich amüsiert, aber doch über weite Strecken nicht nur am Leben hält, sondern was ihnen auch Spaß macht. Und ich finde, den Witz zu finden an einer Sache, ist immer noch eine schöne Tätigkeit. Zum ersten Mal ist es, wie ein neues Land entdecken, wenn man eine neue Metapher gefunden hat oder einen neuen Ansatz, den nicht alle anderen hunderttausend Internet-Witzemacher auch schon gefunden haben. Diese Suche nach der satirischen Zuspitzung, das ist das, was mir Freude macht an dem Job.
Welty: Auf welche Formulierung waren Sie zuletzt so richtig stolz?
Wischmeyer: Das weiß ich nicht mehr. Ich formuliere ja ständig irgendwas. Ich muss mir ja gerade heute Titel ausdenken für ein zukünftiges Buch und habe 200 Titel gerade so runtergeschrieben, die ich alle irgendwie gar nicht so schlecht finde, aber vielleicht klappt's ja bei einem.
Welty: Der Knaller ist noch nicht dabei.
Wischmeyer: Nee, das weiß man nicht. Man kann das auch selber nicht so richtig beurteilen. Also ich finde, man muss dann einen Dritten fragen oder mehrere Dritte womöglich, die das vielleicht eher beurteilen können. Man kocht doch sehr stark im eigenen Saft. Und das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, finde ich, als Autor sowieso und als Satiriker noch mehr, wenn man einen Witz macht, den man für den eigenen hält, den man aber woanders gehört hat, es aber nicht mehr weiß. Das ist ganz, ganz bitter.
Welty: Die Gretchenfrage ist ja immer, was darf Satire – was darf Satire, wenn Menschen zu Tode kommen, sei es, dass sie von Islamisten erschossen werden oder im Mittelmeer ertrinken. Haben Sie diese Frage grundsätzlich für sich beantwortet, oder ist das immer ein neues Ausloten?

"Satire darf nicht moralisierend sein"

Wischmeyer: Das ist eine rein theoretische Frage, und ich möchte auch nicht schon wieder das Tucholsky-Zitat bringen, das jetzt auch schon dauernd, glaube ich, in den Zeitungen und den Medien steht. Was darf Satire ist für mich keine Frage, die von irgendeiner Relevanz ist. Ich möchte mit der Gegenfrage antworten, was darf Satire nicht, und darauf habe ich eine Antwort: Sie sollte und darf nicht moralisierend sein, sie darf nicht langweilig sein. Also sie sollte in jedem Falle unseren Glauben an das Faktische der Realität und nicht das Alternativlose der Realität immer nur durchbrechen und aufzeigen, wo die Verwerfungen sind in dem, was hauptsächlich Politik uns weismachen will und was den Tatsachen nicht entspricht. Das sollte Satire – ständig auf diese Kluft hinweisen, aber nicht sagen, was richtig ist, das weiß die auch nicht.
Welty: Macht es eigentlich einen Unterschied, vor wem Sie auftreten oder wo Sie auftreten, also ob Sie im Fernsehen auftreten oder auf der Bühne?
Wischmeyer: Ja, das macht einen riesigen Unterschied. Alleine dass man im Fernsehen nicht annähernd so viel Zeit hat wie auf der Bühne, und man weiß, wenn man auf der Bühne steht, dass ein paar hundert Leute tatsächlich konzentriert sind und einem zuhören, davon ahnt man im Fernsehen ja nichts. Ich glaube auch, dass nicht annähernd so viele – auch wenn man 400.000 Zuschauer hat oder viereinhalb Millionen wie in der heute-show –, dass der Anteil derer, die ganz konzentriert zugucken, auch nicht wesentlich höher ist.
Welty: Womit ich eine nahezu geniale Überleitung geschaffen hätte, um noch auf die Tour hinzuweisen: Dietmar Wischmeyer zusammen mit Oliver Welke in diesem Januar ab Montag unterwegs unter dem Motto "Im Herzen jung". Die beiden lesen aus einem Buch, das nie erscheinen wird. Das ist so, als ob wir dieses Gespräch nie gesendet hätten, was echt schade wäre. Vielen Dank und viel Freude bei den Live-Auftritten!
Wischmeyer: Ja, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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