Mike Hulme: Streitfall Klimawandel - Warum es für die größte Herausforderung keine einfachen Lösungen gibt
übersetzt von Jörg Matschullat und Stephanie Hänsel
oekom Verlag, München 2014
384 Seiten, 24,95 Euro
Ethisch übers Klima nachgedacht
Dass der Klimawandel Realität ist, bestreitet fast niemand mehr. Welche Folgen, Konsequenzen, Reaktionen auch von uns zu erwarten sind und wären, darüber gibt es widerstreitende Meinungen. Hier zwei davon.
Die Debatte um den Klimawandel kann nicht allein auf naturwissenschaftlicher Expertise basieren, denn sie berührt gewichtige ethische und kulturelle Dimensionen. Diese müssen ausgelotet werden, sonst wird sich kein gesellschaftlicher Konsens über Schutzmaßnahmen finden lassen. Genau dieser Idee folgen diese zwei spannenden Bücher, die - auf ganz verschiedenen Pfaden - doch zu einem ähnlichen Fazit gelangen.
In "Ethik des Klimawandels" sezieren Dominic Roser und Christian Seidel präzise die moralischen Schichten der Klimawandel-Diskussion: Müssen wir etwas für das Klima tun? Was - und wie viel davon? Was bedeutet "intergenerationelle Gerechtigkeit"? Sollten die Menschen morgen es genau so gut haben wie wir? Ein bisschen besser? Oder reicht es, wenn sie überleben können? Ist es fair, wenn alle gleich viel für Schutzmaßnahmen zahlen? Oder müssen die Reichen stärker zur Kasse gebeten werden?
Schlüssige und dürftige ethische Argumentationen
Frage um Frage arbeiten die Autoren ab, fächern die dazu denkbaren Positionen auf und nehmen sie, unterhaltsam und flott geschrieben, kritisch unter die Lupe. Denn moralische Debatten, so betonen sie ganz richtig, haben nichts mit bloßen Geschmacksurteilen zu tun. Tatsächlich gibt es schlüssige und dürftige ethische Argumentationen. Mit ihrem verdienstvollen Überblick helfen die Autoren, den Blick zu schärfen.
Blumiger, aber in der Sache nicht minder präzise kommt das Buch von Mike Hulme daher. "Streitfall Klimawandel" ist auch angesichts des Reichtums der Recherche ein großer Lesegenuss. Den kompletten kulturellen Unterbau der Klimadebatte möchte der Autor ans Tageslicht holen. "Wir sind über den Klimawandel so uneins, weil Mythen die Debatte durchkreuzen", erklärt der Autor und bezieht so in sein Buch archaische Erzählungen der Menschheit über sich selbst und ihren Ort in dieser Welt mit ein. Und so geht es um Verlust des Garten Edens, den Turmbau zu Babel und die menschliche Hybris, apokalyptische Ängste und die Sehnsucht nach heiliger Gerechtigkeit und Frieden auf Erden.
Über Werte und Visionen sprechen
Weil diese Narrative übermächtige Kraft besitzen, sollten wir aufhören, um Kohlenstoff-Prozente zu feilschen, so Mike Hulme. Vielmehr plädiert er dafür, kreativ und freudig über Werte und Visionen ins Gespräch zu kommen. Das kann am Ende aber nicht völlig überzeugen, sitzt der Autor doch selbst einem Mythos auf: Dass erst Aufklärer seines Zuschnitts der Menschheit auf die Sprünge helfen können. Werte, Visionen, Fragen der Geld- und Machtverteilung - ist es nicht genau das, worum in dieser Debatte, wie das Buch selbst zeigt, seit Jahren gerungen wird?
Eines jedoch arbeiten beide Bücher überzeugend heraus: Die Zeiten der globalen Rettungsversuche sind womöglich vorbei. Zukünftig wird es darum gehen, den Klimawandel und seine zahllosen Implikationen komplex anzugehen - auf vielen Ebenen, mit vielen Akteuren, basierend auf vielen Argumenten und gewappnet mit einer guten Portion Toleranz gegenüber dem, was vorläufig und widersprüchlich ist.
Christian Seidel/ Dominic Roser: Ethik des Klimawandels - Eine Einführung
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013
167 Seiten, 29,90 Euro