Kenah Cusanit: "Babel"
Carl Hanser Verlag 2019
272 Seiten, 23 Euro
Anselm Oelze: "Wallace"
Schöffling 2019
264 Seiten, 22 Euro
Genies ohne Ruhm
29:47 Minuten
Stellen Sie sich vor, Sie machen eine bahnbrechende Entdeckung - und jemand anderes wird berühmt. So erging es Alfred Russel Wallace, der Darwin von seiner Evolutionstheorie erzählte. Auch Koldewey, Entdecker des Turms von Babel, kennt heute kaum jemand.
Literatur, die sich auch mit Wissenschaft befasst, dazu sind zwei faszinierende Romandebüts erschienen. Die Romane "Babel" von Kenah Cusanit – für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert – und "Wallace" von Anselm Oelze. Beide Bücher haben trotz großer Unterschiede erstaunlich viel gemeinsam. Unter anderem stehen darin zwei Wissenschaftler im Mittelpunkt, die trotz ihrer großen Entdeckungen wenig bekannt geworden sind.
Der Mann, der Babylon entdeckte
Der eine, Robert Koldewey, war Architekt und Archäologe. Unter seiner Leitung wurde Anfang des 20. Jahrhunderts die mythische Stadt Babylon ausgegraben. Ihm ist zu verdanken, dass im Pergamonmuseum in Berlin eine Rekonstruktion des Ischtar-Tors und Teile einer der Prozessionsstraßen zu sehen sind. Der andere, Alfred Russel Wallace, war ein britischer Naturforscher und entdeckte zeitgleich mit Charles Darwin die Evolutionstheorie, berühmt dafür aber wurde nicht er, sondern Darwin.
Die Autorin Kenah Cusanit , die altorientalische Sprachen und Ethnologie studiert und bereits zwei Gedichtbände veröffentlicht hat, hat sich für ihr Buch "Babel" durch Besuche im Pergamonmuseum anregen lassen, zumal sie kaum Informationen dazu fand, wie das Tor dort gelandet ist und wer es ausgegraben hat: "Aktuell sieht man eine dieser Schuttkisten also mit Fragmenten des Ischtar-Tors und der Prozessionsstraße ausgestellt. Das war ein Grund, die Sache anzurecherchiere. So bin ich relativ schnell auf diese Figur gestoßen und die Geschichte."
Anselm Oelze, der unter anderem in Oxford Philosophie, philosophische Theologie und Politikwissenschaft studiert und Philosophie in München lehrt, erinnert sich nicht mehr genau, wie er auf seine Hauptfigur Alfred Russell Wallace gestoßen ist:
"Ich muss irgendwann von ihm gehört haben und er landete auf einer Liste zusammen mit anderen Figuren der Wissenschaft, die gemeinsam haben, dass sie etwas Großes entdeckt haben, aber nicht damit bekannt geworden sind, sondern andere, die eben zur gleichen Zeit unabhängig von ihnen auch diese Entdeckung gemacht haben."
"Ich muss irgendwann von ihm gehört haben und er landete auf einer Liste zusammen mit anderen Figuren der Wissenschaft, die gemeinsam haben, dass sie etwas Großes entdeckt haben, aber nicht damit bekannt geworden sind, sondern andere, die eben zur gleichen Zeit unabhängig von ihnen auch diese Entdeckung gemacht haben."
Warum Darwin berühmt wurde – und Wallace nicht
Der Roman schien Oelze die richtige Form zu sein, um auch als Philosoph der Frage nachzugehen, wie sich jemand fühlt, der eine solche Entdeckung macht, für die aber ein anderer berühmt wird. Dass es so kam, hing letztlich an einem Brief, den Wallace, statt gleich mit seiner Theorie von der Selektion der Arten an die Öffentlichkeit zu gehen, an Darwin schickte. Dieser, dadurch aufgeschreckt, ging schnell daran, sein Buch von der Entstehung der Arten zu veröffentlichen.
Alfred Koldewey wiederum leitete die Grabungsarbeiten zur Freilegung von Babylon, der Stadt zwischen Euphrat und Tigris – ein mythischer Ort, der durch die Ausgrabung in die historische Realität zurückgeholt wurde. Selbst die in der Bibel erwähnten Fundamente des berühmten Turms zu Babel wurden dabei entdeckt. Kenah Cusanit hat mit ihrem Roman ebenfalls eine Art Grabung vorgenommen: "Das ist das, was ich auch immer sage, dass es letztlich auch eine Ausgrabung ist mit literarischen Mitteln. Also wenn man jetzt ne neue Form etablieren möchte, dann könnte man sagen, das ist jetzt kein Roman und nichts Essayistisches, keine Mischform, sondern eine literarische Ausgrabung."
Auch das Buch von Anselm Oelze ist kein klassischer historischer Roman. Durch die Parallelgeschichte, die von einem Nachtwächter in einem Naturkundemuseum handelt, der buchstäblich über Wallace stolpert und den Plan fasst, diesem seinen Ruhm zurückzugeben, zieht der Autor einen Bezug zur Gegenwart, indem er beispielsweise die grundsätzliche Frage nach Erfolg und Misserfolg stellt und wie man damit umgeht.
Auch das Buch von Anselm Oelze ist kein klassischer historischer Roman. Durch die Parallelgeschichte, die von einem Nachtwächter in einem Naturkundemuseum handelt, der buchstäblich über Wallace stolpert und den Plan fasst, diesem seinen Ruhm zurückzugeben, zieht der Autor einen Bezug zur Gegenwart, indem er beispielsweise die grundsätzliche Frage nach Erfolg und Misserfolg stellt und wie man damit umgeht.
Prestigeobjekt Babylon
Die Ausgrabung von Babylon kurz vor Beginn des zweiten Weltkriegs war für die Deutsche Orientgesellschaft und den Kaiser ein wichtiges Prestigeobjekt, ging es doch um einen Wettlauf mit England und Frankreich auch auf dem Feld der Archäologie. Babylon war in dieser Hinsicht auf den ersten Blick gar nicht so vielversprechend, weil die Stadt aus Lehmziegeln erbaut worden war und man dort statt großer Steine nur Fragmente finden konnte. Es war die Blütezeit der Kolonialkultur, in der ein großer Kulturschatz nach Berlin gelangte. Wie das im Zusammenhang mit der Raubkunstdebatte zu sehen ist, beantwortet Kenah Cusanit folgendermaßen:
"Es kommt immer darauf an, in welchem Kontext was getan wurde. Es ist wirklich eine unheimlich komplexe Geschichte. Wenn man sich das Ischtar-Tor anschaut: So wie es in Berlin steht, ist es rekonstruiert. Es enthält blaue Füllsteine, die aus Berlin stammen, und es enthält die kleinen Fragmente, die zu den Bildern zusammengesetzt sind und die in Babylon zu kleinsten Fragmenten zerbrochen auf dem Boden gelegen haben. Und die, wenn sie noch brauchbar gewesen wären, für ein neues Gebäude wieder verwendet worden wären. Aber sie waren nicht gut genug dafür. Die abendländische Tradition, in der Europa steht, hat ein anderes Verhältnis zur Geschichte und zur Kultur. Im Orient war es früher so, dass man Kultur wiederverwendete und in der abendländischen Tradition ist es so, dass man sie gern ausstellt, weil sie als Beleg für die eigene Geschichte steht. Aber es gibt auch den Fall, in dem einfach nur geraubt wurde, und das ist dann wieder ein anderer Kontext."
Zwei faszinierende Bücher über zwei Forscher, denen es um Erkenntnis und weniger um Anerkennung ging und die mit ähnlicher Unbeirrbarkeit ihr Ziel verfolgten. Cusanit und Oelze erzählen beide von einer Umbruchzeit, in der die Welt gewissermaßen naturwissenschaftlich und archäologisch vermessen wurde mit all den Konsequenzen, die das zur Folge hatte.
"Es kommt immer darauf an, in welchem Kontext was getan wurde. Es ist wirklich eine unheimlich komplexe Geschichte. Wenn man sich das Ischtar-Tor anschaut: So wie es in Berlin steht, ist es rekonstruiert. Es enthält blaue Füllsteine, die aus Berlin stammen, und es enthält die kleinen Fragmente, die zu den Bildern zusammengesetzt sind und die in Babylon zu kleinsten Fragmenten zerbrochen auf dem Boden gelegen haben. Und die, wenn sie noch brauchbar gewesen wären, für ein neues Gebäude wieder verwendet worden wären. Aber sie waren nicht gut genug dafür. Die abendländische Tradition, in der Europa steht, hat ein anderes Verhältnis zur Geschichte und zur Kultur. Im Orient war es früher so, dass man Kultur wiederverwendete und in der abendländischen Tradition ist es so, dass man sie gern ausstellt, weil sie als Beleg für die eigene Geschichte steht. Aber es gibt auch den Fall, in dem einfach nur geraubt wurde, und das ist dann wieder ein anderer Kontext."
Zwei faszinierende Bücher über zwei Forscher, denen es um Erkenntnis und weniger um Anerkennung ging und die mit ähnlicher Unbeirrbarkeit ihr Ziel verfolgten. Cusanit und Oelze erzählen beide von einer Umbruchzeit, in der die Welt gewissermaßen naturwissenschaftlich und archäologisch vermessen wurde mit all den Konsequenzen, die das zur Folge hatte.