"Zwei weitere AKW abschalten"

Jochen Flasbarth im Gespräch mit Ute Welty |
Die Reaktorkatastrophen in Japan spielen nach Einschätzung Jochen Flasbarths bei dieser Entscheidung über eine Abkehr von der Kernkraft nur eine geringe Rolle. Ein wichtiger Beleg dafür sei die Prognose der Bundesregierung, bis 2050 in Deutschland Strom zu 80 Prozent aus regenerativen Energien zu gewinnen.
Ute Welty: Das Moratorium der Bundesregierung im Ohr, geht der Präsident des Umweltbundesamtes einen Riesenschritt weiter: Deutschland könne sofort auf neun AKW verzichten, der komplette Ausstieg sei 2017 möglich, und 2050 könne aller Strom aus regenerativen Energien erzeugt werden. Guten Morgen, Jochen Flasbarth!

Jochen Flasbarth: Ja, schönen guten Morgen!

Welty: Vor rund drei Wochen haben wir an dieser Stelle schon über ein entsprechendes Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen berichtet, der genau das empfiehlt, was Sie jetzt auch ansprechen. Wie sehr schmerzt es, dass jetzt erst sowas passieren muss wie in Japan?

Flasbarth: Das sehe ich ehrlich gesagt mit der langen Frist auf 2050 gesehen überhaupt nicht. Es gibt viele Gutachten, die zeigen, dass wir bis Mitte des Jahrhunderts vollständig unseren Strom regenerativ erzeugen können, das hat das Umweltbundesamt letztes Jahr gezeigt, der Sachverständigenrat für Umweltfragen, viele andere. Die Bundesregierung hat als Ziel, 80 Prozent Versorgung bis 2050 als Ziel formuliert. Das ist nicht 100 Prozent, das ist aber auch schon doch eine sehr weitreichende Umstellung. Also ich glaube, für die langfristige Situation hat dieses schreckliche Ereignis nun nicht den Anstoß gegeben, wohl aber natürlich für die kurzfristige und mittelfristige Debatte in Deutschland.

Welty: Auch da geht die Bundesregierung ja Ihrer Meinung nach nicht weit genug. Sie sagen, neun AKW können abgeschaltet werden – sieben sind es bereits beziehungsweise in Planung. Warum diese zögerliche Haltung?

Flasbarth: Ich will das gar nicht als zögerlich bezeichnen, sondern die Bundesregierung hat jetzt Maßnahmen ergriffen, Sofortmaßnahmen, die wirken jetzt erst mal für drei Monate, in der Zeit wird betrachtet. Ich bezeichne das auch nicht als zu zögerlich. Das Umweltbundesamt hat ja die Aufgabe, zu beraten und Rat zu geben, was geht und was geht eigentlich nicht in einer wissenschaftlichen Betrachtung, das heißt noch gar nicht, dass das politisch machbar oder nicht machbar ist. Und aus wissenschaftlicher Sicht ist es möglich, dass wir die jetzt abgeschalteten, ins Moratorium geschickten Reaktoren nicht wieder anfahren müssen, und es bleibt immer noch etwas Reserve, um auch zwei weitere Kraftwerke, beispielsweise den ja auch gerade stillliegenden Kraftwerk Krümmel und ein weiteres, nicht ans Netz zu lassen.

Welty: Sie sagen auch, es sind keine zusätzlichen Stromimporte nötig, wenn man die neun AKW stilllegt. Wie sieht es denn aus mit zusätzlichen Importen von Gas und Kohle zur Verstromung mit der Gefahr einer zusätzlichen Abhängigkeit von zum Beispiel Russland?

Flasbarth: Ja, es ist so, dass wir in der Tat keine Stromimporte benötigen, dass wir auch keine neuen Kohlekraftwerke jetzt bauen müssten über diejenigen hinaus, die ohnehin schon im Bau sind, das sind übrigens gar nicht wenige. Aber wir müssten die Leistung dieser Kraftwerke stärker nutzen, und das würde in der Tat bedeuten, mehr Kohle und mehr Gas in der Übergangszeit in der Nutzung. Das ist von der Versorgungssicherheit sicherlich kein Problem, weil diese Lieferungen durch sehr langfristige, stabile Verträge abgesichert sind, aber es würde eben eine intensivere Nutzung dieser Kraftwerkskapazitäten bedeuten.

Welty: Was heißt intensivere Nutzung?

Flasbarth: Wir haben im Augenblick eine installierte Leistung, also das, was uns an Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung steht, von 96 Gigawatt, das sagt einem natürlich normalerweise gar nichts, ein Gigawatt ist ein Milliarde Watt, und verbrauchen tun wir in der Spitze, also das, was maximal in den letzten zehn Jahren zur gleichen Zeit benötigt wurden, waren 80 Gigawatt, das heißt, es sind 16 Gigawatt an Kraftwerkskapazitäten übrig. Das ist der Grund, warum Deutschland in den letzten Jahren auch so viel Strom exportiert hat, wir sind ja Stromexporteur, und diese Kapazitäten stehen natürlich zur Verfügung.

Welty: Bedeutet intensiver auch teurer? Bundeswirtschaftsminister Brüderle hat ja bereits höhere Energiepreise, na ja, ich will mal sagen, in Aussicht gestellt, in Anführungszeichen. Teilen Sie seine Einschätzung?

Flasbarth: Man muss unterscheiden, aus welchen Gründen solche Preisanpassungen kommen. In der letzten Zeit haben wir ja häufig erlebt, dass Preissteigerungen nicht durch die wirkliche Entwicklung gedeckt waren, beispielsweise die Umlage für erneuerbare Energien hat zu höheren Preissteigerungen für die Verbraucher geführt, als das durch die Kostenstruktur gerechtfertigt wäre, das heißt, hier haben die Energieversorger mehr Kosten umgelegt, als gerechtfertigt wäre. Das ist für die Zukunft natürlich auch nicht ausgeschlossen. Von der Sache her würden sich große Preissteigerungen nicht rechtfertigen lassen, weil die Atomkraftwerke in der sogenannten Grundlast arbeiten, also dann, wenn immer Strom gebraucht wird. Sie sind auch nicht die teuersten Kraftwerke, die teuersten Kraftwerke sind die Gaskraftwerke, die als letzte dann einspringen, wenn besonders viel Strom benötigt wird, und dieses letzte Kraftwerk, das setzt den Preis, und deshalb würde die Herausnahme von Atomstrom jedenfalls keine deutlichen Preissteigerungen rechtfertigen.

Welty: Jochen Flasbarth, Präsident des Bundesumweltamtes. Ich danke für das Gespräch in dieser "Ortszeit"!

Flasbarth: Bitte schön!