Zweierlei Heimat

Von Jochen Stöckmann |
In Sarajewo aufgewachsen, hat Danica Dakic an den Kunstakademien in Sarajewo und Belgrad studiert und ist dann 1988 nach Deutschland gekommen, nach Düsseldorf, wo sie "die politisch und gesellschaftlich inspirierende Kraft von Joseph Beuys" zu finden hoffte.
Wie Backsteinquader hat Danica Dakic extreme Nahaufnahmen sprechender Münder in einer Videocollage vereint: In neun Reihen übereinander bilden die 64 abgefilmten Lippenpaare eine regelrechte Mauer – nicht des Schweigens, aber des schier unverständlichen "Kommunizierens". Zwar lassen sich akustisch einzelne Stimmen aus dem Wortstrom heraushören, zu sehen aber sind immer nur dieselben, monoton bewegten Münder. Mit dieser frühen Arbeit von 1998 schlägt die Düsseldorfer Kunsthalle in der ersten Retrospektive für die in Sarajewo aufgewachsene, seit Langem schon am Rhein beheimatete Künstlerin den entscheidenden Ton an.

"Es geht einfach um mein Leben in zwei Sprachen und zwei Kulturen. Das ist nicht die Spannung zwischen Sarajewo und Düsseldorf, aber auf jeden Fall entwickelt man selbst auch als Künstler eine Distanz. Auch mein Begriff von Heimat hat sich sehr stark verändert. Ich bin ein bisschen dort zu Hause, aber auch ein bisschen fremd in Sarajewo, aber hier auch. Eigentlich ist das für einen Künstler eine sehr gute und fruchtbare Position: die Sachen aus dieser Nichtübereinstimmung zu sehen. Das ist einfach auch ein Potenzial."

Es geht Danica Dakic um Lautverschiebungen, um den Bedeutungswandel. Was vor zehn Jahren noch als spielerischer Ansatz, als Realisierung einer spontanen Eingebung erschien, hat sich zur Methode verdichtet, die Danica Dakic auch auf andere Medien, auf Malerei oder Fotografie anwendet. Für die Fotoserie "La Grande Galerie" drapiert sie die monumentale Kopie eines Gemäldes aus dem 18. Jahrhundert, Hubert Roberts Ruinenfantasie des pittoresk verfallenen Pariser Louvre, in einer von Krieg und Vertreibung gezeichneten Region des Kosovo. Einige Roma-Familien, hin- und hergestoßen von allen Bürgerkriegsparteien, haben sich direkt neben dem Flüchtlingslager vor dem klassischen Gemälde porträtieren lassen.

"Ich gehe auch manchmal von historischen Motiven aus, die ich dann in einen anderen Kontext oder an einen anderen Ort bringe. Und es geht natürlich nicht darum, dass man die alten Bilder nachstellt. Es geht einfach nur darum, dass man durch diesen performativen Akt der Aneignung etwas anderes einfach sichtbar macht. Dass man verschiedene Bezüge zwischen Vergangenheit, zwischen Geschichte und dem Heute herstellt."

Soll heißen: So wie es war, auch so, wie es scheint oder gar abgebildet vor uns steht, bleibt es nicht. Genau das demonstriert die "documenta"-Teilnehmerin nun ausgerechnet vor einem Hintergrund, der eigentlich Solidität, Häuslichkeit und die Gemütlichkeit innerhalb der sprichwörtlichen eigenen vier Wände verheißt: Vor Tapeten aus dem Kasseler Tapetenmuseum, vor exotischem Tropen-Dekor mit dem verheißungsvollen Titel "El Dorado" ließ Danica Dakic 2007 ausländische Jugendliche von ihrer Ankunft in Deutschland erzählen, auf englisch und mit betonter Körpersprache.

Sehr viel stiller, aber um so eindringlicher ist "Isola Bella" ausgefallen, die 2007 entstandene, in Düsseldorf erstmals gezeigte Video-Arbeit. Wiederum vor einer historischen Panoramatapete, diesmal mit dem Motiv einer paradiesischen Insel, baute Danica Dakic ihre Bühne auf, stellte ein Klavier dazu und gab 40 Insassen eines bosnischen Heims für geistig und körperlich Behinderte einige Hundert Halbmasken an die Hand. Allein Augen und Münder sprechen Bände, künden von innerer Ruhe und klug verhaltener Neugier auf die Film-Rolle, ein anderes Leben:

"Es ist eine sehr stark inszenierte Arbeit, weil alle Menschen Masken tragen. Und es wird in einem Raum gezeigt, der wie ein altes, kleines Kino aufgebaut ist."

Für einen sakralen Kuppelbau dagegen ist "surround" entstanden, eine Installation mit Lautsprechersäulen, regelrechten Stimm-Stelen, die eine gepolsterte Sitzinsel umgeben.

Darüber an der Decke eine kreisrunde Projektionsfläche, auf der sieben Vorleser sich über heilige Schriften beugen, über Talmud, Koran oder Bibel. Splitternackt, ohne Verweis auf Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, sind die Akteure auf den eigenen Körper zurückgeworfen und auf die monoton vorgetragene Litanei, auf eine Lektüre, die mehr Rhythmus denn Text ist. Die Kreisform spiegelt und symbolisiert Harmonie, ästhetisch entwickelt die Installation eine vertrackte Sogwirkung, eine allzu direkte Überzeugungskraft. Keine Rede mehr von jener erhellenden Distanz, die sich ganz am Anfang vor der Videomauer aus 64 Mündern aufbaute. Die Spannung ist dahin, das "Potenzial der Nichtübereinstimmung" erschöpft. Vielleicht war das der Grund, warum die Düsseldorferin aus Sarajewo kürzlich nach Mexico-City reiste: Das Aufeinandertreffen von neoklassizistischer Architektur und wuchernden Slums, frappierende Gegensätze wie nie getilgte Spuren des Kolonialismus und anhaltender Stolz der Ureinwohner prägen die Stadt – und auch wieder Danica Dakics jüngste Arbeiten.

Die Videokünstlerin Danica Dakic in der Düsseldorfer Kunsthalle, 29. 8. bis 8. 11. 2009