Zweisamkeit ist Illusion

Seit Jahrzehnten macht Christiane Rösinger Musik, sie schreibt allerdings auch. Jetzt ist ihr zweites Buch erschienen, und der Titel fasst auch schon die zentrale These zusammen: Liebe wird überbewertet, alleine lebt es sich eigentlich viel besser. Das Buch gibt es nun auch als Hörbuch.
Die Aversion gegen die traute Zweisamkeit hat bei Christiane Rösinger eine lange Tradition. Klar, dass da "Die Pärchenlüge", ein Titel der Lassie Singers aus dem Jahr 1991, auf dem Hörbuch nicht fehlen darf:

"Pärchen stinken, Pärchen lügen, Pärchen winken und fahren nach Rügen, Cocktails trinken, Kartoffelchips essen, Händchen halten und die Freunde vergessen. Pärchen verpisst Euch, keiner vermisst Euch."

Christiane Rösinger ist eine Berliner Institution, sie steht für die Ausgeh- und Subkulturboheme der 80er- und 90er-Jahre, als Kreuzberg und Mitte noch keine easyJet und Schicki-Micki-Viertel waren, sondern kreative Spielplätze. Jeder konnte machen, was er wollte, auch singen, ohne singen zu können. Die Lassie Singers, die sich Ende der 90er-Jahre auflösten, werden heute noch von vielen verehrt, vor allem wegen ihrer sarkastisch-ironisch-melancholischen Texte:

"Überflüssige Liebeslieder, falsch und schlecht und laut, tun so als wäre das Leben auf der Sehnsuchtsebene aufgebaut. Und das stimmt nicht. Das ist ganz falsch. Denn Liebe wird oft überbewertet ..."

Es ist dann fast ein wenig zu selbstreferenziell, wenn Christiane Rösinger im Jahr 2012 ihr zweites Buch "Liebe wird oft überbewertet" nennt. Und entlarvend: Eigentlich ist mit diesem Titel und der "Pärchenlüge" schon alles gesagt zum Thema Liebe in westlichen Industriegesellschaften. Die 200 Seiten Text hätte es da gar nicht mehr gebraucht. Als Paarforscherin und Kritikerin zieht sie darin gegen die vorherrschende Beziehungsnorm zu Felde:

"Eines steht aber ohne Zweifel fest: Das Pärchentum bringt immer die schlechtesten Eigenschaften des Einzelnen nach oben und produziert deshalb am laufenden Band unglückliche Paare, die wie geprügelte Hunde nebeneinander durchs Leben schleichen. Trauerumflorte Gestalten, die man nur in wenigen Augenblicken, wenn der Partner nicht da ist, kurz und heimlich aufatmen sieht. - Ihr lacht, aber es ist sehr traurig."

Ihr Buch ist unterhaltsam - aber streckenweise gleicht es auch einer akademischen Fleißaufgabe, wenn sie den Mythos der Paarbeziehung dekonstruiert, vom Anbeginn der Menschheit bis heute:

"Wir müssen weiter im Schweinsgalopp durch die Wissenschaften, wir müssen noch ein bisschen die Naturwissenschaften abhandeln und dann wird's auch ein bisschen menschlicher."

Das Hörbuch, ein Mitschnitt einer Lesung von der lit.COLOGNE im März diesen Jahres, ist der Textfassung überlegen, weil deutlich kurzweiliger. Zum einen wegen der Songs, die Christiane Rösinger einstreut. Und wegen der Art, wie sie Auszüge aus dem Buch liest und kommentiert:

"Ja, es tut mir leid, ich merke, hier ist so eine Betroffenheit, es ist schon hart, wenn einem alle Illusionen genommen werden. Aber einer muss es machen, es tut mir leid, das bin halt ich. Als Paarkritikerin kriegt man nicht viel Beifall.

Auch die nächste Geschichte ist nicht gerade lustig, aber es ist halt so. Ihr könnt Euch ja am Wochenende noch mal so eine romantische Komödie ankucken. Die nächste Geschichte heißt Pärchen in Hotels."

Und die ist natürlich wieder zutiefst deprimierend. Mit ihrer Kernthese hat Christiane Rösinger ja nicht unrecht: Wer alleine lebt, wird bemitleidet, von denen, die zu zweit leben, auch wenn deren Liebe schon lange Vergangenheit ist.

"Vielleicht sind einige unter Euch, die sagen: Was will die eigentlich, Singles sind doch total akzeptiert! In unserer Gesellschaft kann doch jeder leben, wie er will. Wenn es jetzt so wäre, warum gibt es dann so wahnsinnig viele Beziehungsratgeber, die uns allen zeigen wollen, wie man den Weg zum Paar findet? Es ist eine Pärchen zentrierte Weltsicht. Und Singles sind natürlich überhaupt keine akzeptierte Erscheinung. Und ich habe mich in das Herz der Finsternis begeben und habe ungefähr 100 Beziehungsratgeber gelesen. Und durchgearbeitet."
Eine enorme Leistung, um die man sie nicht beneidet, aus der sie dann aber doch wieder Hoffnung schöpfen kann. Denn letztlich ist alles Mühen umsonst, das ist ein wenig überraschendes Fazit dieser schönen, bunten und manchmal auch wahrhaftigen Leseshow: Dauerhafte Zweisamkeit ist eine Illusion. Liebe und unerfüllte Sehnsucht sind nur dazu da, überwunden und verarbeitet zu werden - im besten Fall zu Stücken, wie denen von Christiane Rösinger.

"Bist Du einmal einsam und allein, gewöhn Dich dran, es wird bald immer so sein. Und bist Du mal verzagt und findest keine ruh, dann kommt bestimmt ein Unglück noch mit dazu.

Und triffst Du einen Menschen, der Dich versteht, der Dir gefällt, dann wart's nur ab, wie lang er wirklich zu Dir hält.

Es ist alles so sinnlos, das hält ja gar kein Mensch mehr aus, da muss man sich doch einfach hinlegen, oder man steht erst gar nicht auf.

Sinnlos, sinnlos, so sinnlos. Sinnlos, ohne Sinn. "

Applaus

"Vielen Dank!"

Besprochen von Georg Gruber

Christiane Rösinger: Liebe wird oft überbewertet
Christiane Rösinger liest und singt
Mit Live-Musik von Christiane Rösinger und Band
Roof Music, Bochum 2012, 1 CD, 14,95 Euro

Tourdaten:
24.04.2012 Bremen - Schwankhalle
29.04.2012 Dresden - Bärenzwinger
30.04.2012 Wien - Brut
02.05.2012 Salzburg - ARGE Kultur
03.05.2012 München - Freiheiz
04.05.2012 Schorndorf - Manufaktur
05.05.2012 Frankfurt - Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
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