Die Initialzündung zum Dreißigjährigen Krieg
Zwei ranghohe Beamte des habsburgischen Kaisers nebst Sekretär werden auf der Prager Burg von bewaffneten Protestanten aus dem Fenster geworfen. Der Konflikt zwischen böhmischen Ständen und den Habsburgern weitet sich in Folge zum 30-jährigen Krieg aus.
Der Oberstlandrichter Wilhelm Slawata versuchte noch, sich am Fenstersims festzuklammern, als er schon über dem 17 Meter tiefen Abgrund hing. Es half nichts.
"Sie haben erst die Finger seiner Hand, mit der er sich festgehalten hat, bis aufs Blut zerschlagen und ihn durch das Fenster ohne Hut, im schwarzen samtenen Mantel hinabgeworfen. Er ist auf die Erde gefallen, hat sich noch acht Ellen tiefer als Martinitz in den Graben gewälzt und sich sehr mit dem Kopf in seinen schweren Mantel verwickelt."
So beschrieb Slawatas Leidensgenosse, der Burggraf von Karlštein Jaroslav Martinitz, was ihnen beiden am 23. Mai 1618 zugestoßen war. Bewaffnete waren in die Ratsstube auf der Prager Burg eingedrungen und hatten nach erregtem Wortwechsel die ranghohen königlichen Beamten ins Freie befördert. Ihren Sekretär Philipp Fabricius warfen sie noch hinterher.
Der Prager Fenstersturz war der gewalttätige Höhepunkt eines seit Jahren schwelenden Konflikts zwischen den mehrheitlich protestantischen Ständen Böhmens und ihrem katholischen habsburgischen Monarchen. Er war zugleich die Initialzündung einer Ereigniskette, die in den Dreißigjährigen Krieg führte.
Ein inszenierter politischer Mord
Um einen Ausbruch des Volkszorns sei es dabei allerdings nicht gegangen, sagt der in Wien lehrende tschechische Historiker Petr Mat'a:
"Es war kein spontanes Ereignis. Selbst der Besuch der Evangelischen in der Kanzlei war angekündigt und vorbereitet. Es war also kein blitzschneller Attentat, kein Terroranschlag, eher ein inszenierter politischer Mord."
Zumindest ein Mordversuch – die Opfer kamen mit dem Leben davon. Sie seien auf einem Misthaufen weich gelandet, behauptete die Legende. In Wahrheit, sagt Mat'a, habe es sich als hilfreich erwiesen, dass die Mauer unterhalb der Ratsstube nicht senkrecht, sondern etwas abgeschrägt in die Tiefe führte.
"Es war eher ein steiler Hang, der den Fall dann etwas milderte. Und zweitens, die Herren trugen gefütterte Mäntel. Trotzdem hatten sie ein großes Glück. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass einer davon, Herr Slawata, sich immerhin schwer verletzte am Kopf."
Seit 1526 regierten deutsche Kaiser aus dem Hause Habsburg auch als Könige in Böhmen und hatten erleben müssen, wie sich der Protestantismus immer weiter ausbreitete. Um 1600 waren die Katholiken nur noch eine kleine Minderheit.
Kaiser Rudolf II. hatte mit dem "Majestätsbrief" von 1609 der protestantischen Opposition die freie Religionsausübung garantieren müssen. Das Dokument, das der Befriedung dienen sollte, erwies sich in der Praxis immer wieder als Zankapfel zwischen den Konfessionen. Zumal unter Rudolfs Nachfolger Kaiser Matthias, der sich als aktiver Förderer des Katholizismus verstand. Die Beamten Slawata und Martinitz waren in Prag Vollstrecker dieser Politik.
Kein Weg zu einem Kompromiss
"1617, also ein Jahr vor dem Fenstersturz, wurde die eingeschüchterte Opposition dazu gezwungen, den Thronfolger Ferdinand von Innerösterreich als König anzunehmen. Das war ein katholischer Radikaler, von dem die Evangelischen wirklich nichts zu hoffen hatten."
Mit dem konfessionellen Konflikt verquickte sich die Machtfrage. Wer sollte in Böhmen das Sagen haben – die vom Adel dominierten Stände, die sich als die Repräsentanten des Landes begriffen, oder der Monarch?
"Alle fünf damaligen böhmischen Länder hatten eine lange Tradition der ständischen Mitspracherechte und des ständischen Widerstandes. Religionspolitische Konflikte kehrten seit dem 15. Jahrhundert periodisch zurück. Üblicherweise endeten sie dann mit einem Kompromiss, das ein solides Nebeneinander und Miteinander des Landesfürsten und der Stände garantierte."
Nach dem Fenstersturz indes führte kein Weg mehr zu einem Kompromiss. Im Herbst 1619 erklärten die böhmischen Stände den Habsburger Ferdinand für abgesetzt und wählten den calvinistischen Kurfürsten der Pfalz, Friedrich V., zum neuen König. Seine Befugnisse wurden auf die eines nur nominellen Staatsoberhaupts zurückgestutzt.
Friedrich konnte sich ein Jahr lang in Prag halten, bevor eine Intervention habsburgischer und bayerischer Truppen seiner Regentschaft ein Ende machte. Durch den katholischen Sieg sahen die Protestanten auch außerhalb Böhmens ihre Interessen bedroht. Aus einer lokalen Rebellion wurde ein europäischer Krieg.