"Zweiter Weltkrieg"

Der Weltkrieg, der den Völkermord in seinem Kern barg

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Überfall auf Polen: Soldaten der Wehrmacht reißen einen Schlagbaum an der Grenze nieder. © picture-alliance/ dpa / A0009
Von Michael Meyer |
Der Zweite Weltkrieg begann mit dem Angriff Deutschlands auf Polen. Das ZDF zeigt eine zweiteilige Dokumentation darüber, die mit mit dem polnischen Fernsehen koproduziert wurde. Ein sehenswertes Stück Zeitgeschichte.
"Ich erinnere mich lebhaft, dass meine Mutter mich nie die Schuhe ausziehen ließ. In den Schuhen zu schlafen tat weh. Aber sie wollte natürlich, dass wir sofort wegrennen konnten, wenn nötig ..."
Der Filmregisseur Roman Polanski ist einer jener polnischen Zeitzeugen, die in der ZDF-Dokumentation von Christian Frey zu Wort kommen:
"Es gab improvisierte Luftschutzkeller... voll mit Hunderten von Leuten. Dort saß ich auf einer Bank und manchmal lag ich auf dem Schoss meiner Mutter."
Die Dokumentation zeichnet präzise die Abläufe des ersten Tages, also des 1. Septembers 1939 nach. Allerdings geht sie auch ein Stück zurück und erklärt, warum und wie es zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam. Dass Hitler den Krieg wollte, ist keine Neuigkeit – wohl aber, dass die polnische Armee durchaus gut ausgerüstet war – und dass man darauf hoffte, im Falle eines Angriffs von England und Frankreich unterstützt zu werden - ein Trugschluss, wie sich zeigen sollte.
Der polnische Regisseur Andrzej Wajda erinnert sich:
"Es schien uns, dass die polnische Armee fantastisch vorbereitet ist. Und was noch wichtig war: Bereit sich vollkommen aufzuopfern. Es gab einen solchen Slogan: Wir geben noch nicht einmal den Knopf unserer Uniform her."
Ist der polnische Blick ein anderer?
Hätte also die polnische Armee mit Unterstützung aus England und Frankreich den Verlauf des Krieges beeinflussen können? Ist das eine der Neuigkeiten des Films? ZDF-Redakteur Stefan Brauburger:
"Es ist ja immer eine Spekulation und insofern muss man sich davor hüten, da auf irgendeine Position festzulegen. Aber es gibt natürlich Indizien dafür dass wenn Frankreich und Großbritannien womöglich rigoros den Beistandsverpflichtungen nachgekommen wären, dieser Krieg einen anderen Verlauf genommen hätte, zu diesem Schluss kommen namhafte Historiker."
Die zweiteilige Dokumentation ist in enger Abstimmung mit polnischen Historikern entstanden, und lässt in etwa gleichem Umfang deutsche und polnische Zeitzeugen zu Wort kommen. Und doch stellt sich die Frage: Kann man den Beginn des Zweiten Weltkrieges überhaupt gemeinsam betrachten? Ist nicht zwangsläufig der polnische Blick ein anderer?
Stefan Brauburger: "Das ist gerade die Herausforderung, unterschiedliche Sichtweisen unter einen Hut zu bringen, und wir wissen ja, wie sensibel dieses Thema, Überfall auf Polen, Besatzungszeit, Widerstand bei unseren Nachbarn ist, und insofern war es eine Herausforderung, diese Ko-Produktion zu verwirklichen, und es war eine Zusammenarbeit, die wirklich erfreulich konstruktiv, auch diskussionsintensiv war, aber sie war auf jeden Fall, die zu einem gemeinsamen Ergebnis geführt hat und zu einem guten Ergebnis."
Immerhin: Die Doku enthält auch nur wenige nachgestellte Szenen, sogenannte "Re-enactments", jene dokumentarische Form, mit der das ZDF unter dem damaligen Redaktionsleiter Guido Knopp groß geworden ist, und die dem Sender viel Kritik seitens Historikern eingebracht hat. Das ist hier anders, nachgestellte Szenen sind sparsam eingesetzt, und sind in dieser Form auch sinnvoll. Die Doku besticht durch Zeugenaussagen, die man so noch nicht gehört hat, etwa von dem mittlerweile verstorbenen Weltkriegs – Piloten Otto Schmidt, der sich mit Schaudern an seinen Einsatz am 1.September 1939 erinnerte:
"Ich habe es nicht verdrängen können, denn ich erinnere mich so genau, sehe immer noch das Bild von diesem Dorf vor mir, auf dass ich auch hinzustürzte, da wusste man, dass eine neue Ära angefangen hat."
Interessant in der Dokumentation ist auch, dass Danzig vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein strategisch zentraler Ort war. Das Nazi-Regime wollte freien Zugang zur mehrheitlich von Deutschen bewohnten Hanse-Stadt Danzig und machte keinen Hehl daraus, dass nach Österreich und dem Sudetenland auch Danzig "heim ins Reich" geholt werden sollte.
Budzimila Wojdalewicz, gehörte damals zur polnischen Minderheit in Danzig und erinnert sich an einen Auftritt von Goebbels in der Stadt:
"Und da hörten wir nur das Gebrüll, das laute: Heil, Sieg, Heil, Sieg und wer weiß noch was. ... Wir haben nicht gewusst, dass Goebbels gerade da ist, und da haben sie gesungen: Fahne hoch...und da sollten wir die Hand hoch halten ... und da hat jemand gesagt: Wir sind Polen, natürlich, wir stehen hier aber wir werden die Hand nicht aufheben."
"Das ist eine Kolonie, die gilt es auszubeuten"
Wirklich originell wäre es gewesen, wenn die Dokumentation strikt chronologisch vom ersten Tag erzählt hätte, und auf Rückblenden verzichtet hätte – doch das war nicht anders möglich, erklärt Redakteur Stefan Brauburger:
"Man kann den ersten Tag nicht verstehen, wenn man nicht auch die Vorgeschichte reflektiert, und dies ist gerade beim Angriff auf Polen besonders wichtig. Das sind die Dinge, die, eine gewisse Abfolge von Vorgängen mit sich bringen, die man einfach auch zeigen muss, um zu verstehen, wie es dann zu dieser Art von Krieg kommen konnte."
Im zweiten Teil der Doku, die nächsten Dienstag läuft, wird die zeitlich chronologische Struktur, die schon im ersten Teil nur bedingt bestand, ohnehin vollends aufgelöst. Dann geht es um die Schreckensherrschaft der Deutschen im sogenannten "polnischen Protektorat", einem Gebiet, in dem jedweder Rechtsstaat ausgeschaltet war, für die Juden sowieso, aber auch für die Polen.
Niklas Frank, Sohn des damaligen Protektoratsleiters Hans Frank erklärt:
"Es gibt die offizielle Nazi-Perspektive, die da sagte: Das ist eine Kolonie, die gilt es auszubeuten,..., das ist ein überfallenes Land, und sie wussten, dass das was sie tun, überhaupt nichts mit Recht zu tun hat."
Und so ist die Doku, trotz einiger zeitlicher Sprünge und einer insgesamt doch recht klassischen Machart ein sehenswertes Stück Zeitgeschichte geworden, das nochmal einige wichtige Details des Beginns des Zweiten Weltkriegs klar macht. Der britische Historiker Ian Kershaw erklärt am Schluss, dass jener Feldzug sich fundamental beispielsweise vom Ersten Weltkrieg unterschied:
"Denn in seinem Kern barg er den Völkermord. Hier haben wir den Beginn eines Zusammenbruchs einer Zivilisation, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Das war es was der 1. September 1939 entfesselte."

"Zweiter Weltkrieg" – die zweiteilige Dokumentation läuft am Dienstag (02.09.14) und am darauffolgenden Dienstag (09.09.14) jeweils um 20 Uhr 15 im ZDF.