Babette Quinkert, Jörg Morré (Hg.): Deutsche Besatzung in der Sowjetunion 1941-1944. Vernichtungskrieg, Reaktionen, Erinnerung
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2014
416 Seiten, 39,90 Euro, auch als ebook
Verdrängte deutsche Besatzung in der Sowjetunion
In "Deutsche Besatzung in der Sowjetunion 1941 – 1944" schildern Babette Quinkert und Jörg Morré den Krieg im Osten als einen von Beginn an geplanten Massenmord. Sie wollen damit der Erinnerung an die sowjetischen Opfer in der deutschen Öffentlichkeit auf die Sprünge helfen.
Will jemand in Russland etwas über den stalinistischen Terror erfahren, muss er nicht lange suchen: Alexander Solschenitzyns "Der Archipel Gulag" bietet einen zugleich literarisch verdichteten wie in seiner Exaktheit erschütternden Einblick in die Abgründe des politisch motivierten Massenmords. Ein vergleichbares Standard-Werk über die Verbrechen der Nazi-Diktatur fehlt.
Sicher, es gibt nicht wenige erschütternde Zeugenberichte, bewegende Romane und Erzählungen von Anna Seghers bis Heinrich Böll, etliche mit hohen Auflagen bedachte Hitlerbiografien, aber ein deutsches "Archipel" lässt weiter auf sich warten.
Warum? Darüber lässt sich allenfalls spekulieren.
Umso höher ist der Verdienst von Babette Quinkert und Jörg Morré zu schätzen, die mit ihrem viel zu bescheiden als "Tagungsband einer Fachkonferenz" des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst titulierten Werk "Deutsche Besatzung in der Sowjetunion 1941 – 1944", eine sichtbar klaffende Lücke im historischen Bewusstsein der Nation schließen.
Zerstörung der letzten Propaganda-Mythen
Nüchtern und konzentriert, gleich einem Chirurgen-Team, sezieren die über zwanzig Autoren die einzelnen Schichten der Historie und zerstören die letzten Propaganda-Mythen der Nazis. Die zum Teil bis in die Gegenwart nachwirken. In den einzelnen Kapiteln geht es um Hunger als politische Strategie, sexuelle Gewalt gegen jüdische Frauen oder Massenmord und Männlichkeit. Der Krieg im Osten erscheint letztlich als das, was er immer war: Ein von Anbeginn geplanter Massenmord an Millionen von Menschen zwischen Leningrad und Stalingrad.
Doch beinahe resignierend stellt Babette Quenkert fest:
"In der deutschen Öffentlichkeit ist die Erinnerung an diese sowjetischen Opfer nur wenig präsent."
Wer sich also nicht mit dem dritten oder vierten Aufguss einer Sache begnügen will, ist hier genau richtig. Und diesen Leser dürfte dann auch die mit Sicherheit nicht auf Wirkung abzielende Gestaltung des Einbands, kaum abschrecken.