Marcel Siepmann, Ben Arnold und Ronny Arnold haben zu dem Thema auch einen Fernsehfilm für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) gedreht: "Jung, rechts, gewaltbereit".
Jugendliche in Zwickau
Im Mai 2022 mobilisiert die rechtsextreme Kleinstpartei “Der III. Weg” zur “Nationalen Demo" in Zwickau. Auch viele sehr junge Männer sind dabei. © imago / xcitepress / ses
Was junge Menschen zu den Rechtsextremisten treibt
10:52 Minuten
In der Region Zwickau in Sachsen werben rechtsextreme Kleinstparteien um Jugendliche, die nach Orientierung suchen. Und es gibt durchaus junge Menschen, die dieses Weltbild anspricht. Einige davon erzählen, was genau sie anzieht.
Vor einem Jahr war die Aufregung in Sachsen groß. In Zwickau, der viertgrößten Stadt des Freistaates, hingen im Bundestagswahlkampf Plakate mit der Überschrift: „Hängt die Grünen“. Angebracht hatten sie Mitglieder der Partei „Der III. Weg“ – laut sächsischem Verfassungsschutz eine rechtextremistische Partei mit ein paar Hundert Mitgliedern.
Die Plakate mussten wieder abgehängt werden, aber die Partei hat sich damit ins Gespräch gebracht. Sie will neue Anhänger gewinnen – auch unter Jugendlichen, digital und auf der Straße. Und es gibt einige junge Menschen, die sich davon angesprochen fühlen.
Jugendliche, die sich offen als rechts bezeichnen
Manchen davon kann man im Lutherkeller der Zwickauer Stadtmission begegnen, direkt neben der Lutherkirche. In diesen Jugendtreff kommen Jugendliche, die sich offen als rechts bezeichnen. Zum Beispiel Jonas, der eigentlich anders heißt – wie alle Jugendlichen, die hier zu Wort kommen.
Jonas ist zum Zeitpunkt des Treffens 16 und geht in die 9. Klasse. Er sagt: „Früher habe ich auch eher links gedacht, aber das hat sich alles geändert mit den Vorfällen, mit Ausländern. Ich habe mir die linke Seite angeguckt und die rechte und habe mich entschieden, wo ich mich wohler fühle, was eher meiner Meinung entspricht.”
Selbst erlebte negative Erfahrungen mischt Jonas mit rassistischen Vorurteilen, die wenig nach einem 16-Jährigen klingen. “Die kommen hierher, die kriegen Vollverpflegung, die kriegen alles, so gesagt, in den Arsch geschoben und bauen hier trotzdem nur Scheiße. In anderen Ländern kriegst du Jahre Haft, wenn du ohne Papiere über die Grenze kommst.”
Gefühlte Wahrheit wichtiger als Fakten
Mit solchen Aussagen ist der Erzieher Chris Schlüter immer wieder konfrontiert. Schlüter trägt Skaterklamotten. Er arbeitet für die Stadtmission und hat sich in Zwickau über Jahre eine Vertrauensbasis zu den Jugendlichen aufgebaut. Sie sprechen offen mit ihm, über Meinungen und Konflikte. Vertrauen sei die Voraussetzung, um dem hier im Jugendclub geäußerten Rassismus etwas entgegenzusetzen, sagt Chris Schlüter.
“Man spricht ganz oft über Gefühle, also dass Jugendliche vor mir stehen und sagen: ‚Ja, aber gefühlt ist es ja so, dass mehr Ausländer gewaltbereit sind als Deutsche‘", erklärt Schlüter. Mit Statistiken brauche man bei Jugendlichen eher nicht anzukommen. Fakten interessierten sie meist nicht. „Die gefühlte Wahrheit hat einen höheren Stellenwert als die tatsächliche Wahrheit.“ Das mache die Diskussion schwierig.
Holocaust-Leugnung als Grenze
Schlüters Ansatz: Die Jugendlichen durch Gespräche zum Nachdenken bewegen – und ihnen klare Grenzen setzen. “Eine Grenze ist bei mir dann erreicht, wenn es in Richtung Holocaust-Leugnung geht, wenn es darum geht, verfassungsfeindliche Symboliken und Verhaltensweisen irgendwie an den Tag zu legen, also einen Hitlergruß und ein ‚Heil Hitler‘“, so Chris Schlüter. Da sage er dann: „Das kannst du dir stecken lassen, das wollen wir nicht.”
Was Chris Schlüter für sich als Jugendclub-Erzieher als Grenze beschreibt, sind Straftatbestände, die rein rechtlich nicht zulässig sind. Doch sie kommen immer wieder vor.
Wer anders denkt, wird ausgegrenzt
Wenn einer mit rechten Parolen anfange, zögen die anderen meistens mit, erzählen die Jugendlichen im Lutherkeller. Wer anders denkt, wird ausgegrenzt. Das ist auch bei der 13-jährigen Johanna zu erleben, die neben dem 16-jährigen Jonas auf dem Sofa sitzt. Sie sagt: “Ich selbst bin bi. Jeder darf sich in seinem Körper so fühlen, wie er möchte. Und solange er sich wohlfühlt, ist es ja auch sein Recht, es preiszugeben oder nicht.“ Und sie stellt die Frage: „Was ist Eure Meinung zu LGBTQ+?”
Jonas antwortet: „Also, da ist, da bin ich jetzt auch ganz offen und ehrlich, Schmutz, Abschaum. Sorry, ich muss es so sagen. Also, in der Stadt hängt so eine LGBTQ-Flagge, überall auf Insta oder im Internet sehe ich das. Das kotzt mich einfach enorm an. Und mittlerweile bin ich wirklich voll gegen so etwas. Also mir egal, ob schwul, lesbisch oder was auch immer. Die 70 Geschlechter gibt es in meinen Augen nicht.“
Die meisten anderen Jugendlichen im Lutherkeller stellen sich an diesem Tag auf Jonas Seite. Die 13-jährige Johanna bleibt nach ihrem Coming-out allein.
Forschung warnt vor rechter Dominanz
Wenn Jugendliche wie Jonas den Ton angeben zum Beispiel in Jugendclubs, erläutert Extremismusforscher Matthias Quent von der Hochschule Magdeburg-Stendal, dann sei die Gefahr: „dass Orte entstehen, die dominiert werden und die dann auch Ausgangspunkt sind, um immer jüngere Leute anzulocken und immer jüngere Leute in diese Gedankenwelten einzuführen“.
Zudem drohe die Gefahr, „dass menschen- und demokratiefeindliche Ideologien dazu führen, dass andere Menschen sich nicht mehr trauen, diese Orte aufzusuchen; dass Diskriminierung stattfindet“.
Diskriminierung, die der 16-Jährige Maurice fast täglich erlebt. Er beschreibt sich selbst als queer, färbt sich die Haare, trägt Nagellack. “Es gibt Tage, da passiert nichts und da bin ich wirklich sehr froh und auch überrascht, wenn ich abends zu Hause bin, und denke: Wow, heute wurde ich nicht angegriffen, heute hat mir keiner einen dummen Spruch hinterhergerufen.”
Von Neonazis geprügelt und getreten
Manchmal reiche schon Glitzer im Gesicht – und aus diskriminierenden Worten werden Taten. Maurice hat das hautnah erlebt, vergangenes Jahr, nach dem Christopher Street Day in Zwickau. Mit Freunden wartete er gerade auf den Zug nach Hause. “Von der Treppe runter kamen fünf breit gebaute, etwas ältere Typen. Die waren in Schwarz gekleidet, hatten abrasierte Haare oder Glatzen und haben uns wirklich beleidigt: ‘Was seid ihr denn für Clowns?‘ Und: ‘Da habe ich ja gar keinen Bock drauf‘ und ‘Verpisst euch‘.“
Als einer seiner Freunde sich verbal zur Wehr setzt, eskaliert die Situation. Die offensichtlichen Neonazis prügeln sofort los. “Er lag dann an der Mauer auf dem Boden“ erzählt Maurice von seinem Freund. „Auf ihn wurde weiter eingetreten in den Bauch. Sein Hemd haben sie zerrissen.” Erst als Passanten vorbeikommen, lässt die Gruppe von dem Jungen ab. Noch Wochen nach dem Vorfall gibt es nur wenige Orte, an denen Maurice sich sicher fühlt.
18 Prozent für rechtsautoritäre Diktatur
Denn viele seiner Altersgenossen ticken rechts. Das zeigt eine Studie der Universität Leipzig. Im Osten Deutschlands befürworten von den 14- bis 30-Jährigen 18 Prozent eine rechtsautoritäre Diktatur. Im Westen nur zwei Prozent.
Das habe auch mit Weltbildern in den Familien zu tun, so Extremismusforscher Matthias Quent. “Wir müssen uns vor Augen führen, dass das, was von einer Mehrheit in Deutschland immer noch als rechtsextrem angesehen wird, für einen Teil der Bevölkerung etwas völlig Normales ist. Das ist die Alltagswahrnehmung, das ist das politische Alltagssprechen, das ist der Blick auf die Gesellschaft.“ In dieser Normalität wüchsen junge Menschen auf. „Sie kriegen das in den Familien mit, im schulischen Umfeld, im beruflichen Umfeld."
Wie entstanden Strukturen wie der NSU?
Dazu kommt eine lebendige rechtsextreme Szene in der Zwickauer Region. Die will neue Mistreiter im Netz ansprechen – über Instagram- und Telegram-Kanäle. Und auf der Straße: Rechte Kleinstparteien wie "Der III. Weg" oder die "Freien Sachsen" nutzen die Proteste, erst gegen Corona, jetzt gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung. Auch um Jugendliche, die nach Orientierung suchen, für ihre Ziele zu gewinnen, erklärt Theresa Richter vom Kulturbüro Sachsen.
Auch in Zwickau sei der Versuch zu beobachten gewesen, verschiedene rechte Strukturen und Szenen zu vernetzen – etwa bei Coronaprotesten. „Das sind Entwicklungslinien, gerade, wenn man sich auch in so einer Stadt wie Zwickau umguckt: Wie entstanden solche Strukturen wie der NSU? Und wie entsteht ein rechter Terror? Dann entsteht er immer da, wo nicht genau hingeguckt wird, wo Sicherheitsbehörden auch nicht durchgreifen.”
"Dritter Weg" für den Regierungsumsturz
Im Mai 2022 mobilisiert die rechtsextreme Kleinstpartei “Der III, Weg” zur “Nationalen Demo" in Zwickau. Auch viele sehr junge Männer sind gekommen. Mehrere Wochen später gelingt es, mit einigen Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Einer ihrer Treffpunkte ist der Basketballplatz neben dem Zwickauer Skatepark. Hier erzählt der 16-jährige Rico, wie er zu den Demos gekommen ist:
“Durch Freunde, dann ging das so ein bisschen los: Ja, diese Ausländer und was das soll und sowas. Es ist wie eine kleine Familie dort. Einfach das Kameradschaftliche. Man hilft sich halt untereinander. Ich finde die Aktionen von denen eigentlich relativ gut. Die bieten für Bedürftige kostenlos Essen an, Kleidung, Spielsachen. Und kostenlose Nachhilfe für Kinder. Kostenloses Kampfsporttraining."
Beim „Dritten Weg“ gehe es um Selbstverteidigung. „Die sagen immer: Für den politischen Straßenkampf. Für 'Tag X', zum Beispiel.“ Also den „Tag vom Umsturz von der Regierung“, so Rico.
Theresa Richter vom Kulturbüro Sachsen erläutert: „Der 'Tag X' ist der Tag des Umsturzes, und der Umsturz impliziert darin schon auch die Akzeptanz von Gewalt oder den expliziten Einsatz von Gewalt.“ Die Strategie des „III. Weges“ fuße sehr darauf, nicht besonders groß zu werden und sehr viele Mitglieder zu haben, „sondern vor allen Dingen auf dem Selbstverständnis, Elite zu sein, die Speerspitze, und da gezielt junge Leute zu schulen.”
Zu wenig Aufmerksamkeit für Jugendliche
Damit füllen die Rechtsextremen Lücken. Und sie können das, weil ihnen diese Räume überlassen würden, meint Matthias Quent. Rechtsextremismus, so der Experte, sei immer auch eine Antwort auf Schwächen und auf das Versagen von Gesellschaft und Politik.
Es sei ein gesellschaftliches und auch ein politisches Versagen, das gerade für junge Menschen so wenig Aufmerksamkeit, so wenig finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt würden, „um eigene Räume zu finden, um Angebote zu haben, die eben nicht rechtsextrem sind, die nicht menschenfeindlich sind, sondern in denen sie sich verwirklichen können, in denen sie Bestätigung, Anerkennung und Gemeinschaft finden, ohne radikalisiert zu werden."