Zwiespältiges China
"Als ich angekommen war, wusste ich nur wenig, als ich wieder wegfuhr, wusste ich kaum mehr" - so lautet die Überschrift des ersten Kapitels von Scherzers China-Buch. Der Autor blickt offen und unvoreingenommen auf das Land - gesteht aber ein, dass China zu groß, zu anders, zu vielseitig und zu bevölkert ist, um sich ein abschließendes Bild zu machen.
Landolf Scherzer kann vieles gut. Genau hinsehen, detailverliebt schreiben. Neugierig sein. Stimmungsvoll schildern, wie chinesische Familien essen (laut, schwitzend und wild), wie es in Großstadtparks zugeht, in denen sich Männer im Rückwärtslaufen üben und Frauen in einer Art Federballspiel mit den Füßen, andere Bäume umarmen, mobile Fahrradreperateure unterwegs sind, Gymnastikgruppen sich soweit verbiegen, dass schon beim Zugucken der Rücken schmerzt und Frauen ihm im Vorübergehen für zehn Euro Love anbieten. Der Autor traut sich in die Hutongs, die Siedlungen der Armen und Wanderarbeiter, und isst dort in Garküchen.
Scherzer beherrscht genauso gut die Kunst des Zuhörens und des Fragens. So lässt er sich von Ärzten über traditionelle chinesische Medizin informieren. Er diskutiert mit einem Unternehmer über dessen Arbeitsethos (der Chinese versteht nicht, warum Unternehmer in Europa Urlaub nehmen) und darüber, warum der Taoismus, der fordert, dass man sich den Verhältnissen geschmeidig anpasse, so wunderbar zum aufkommenden Kapitalismus in China passt.
Er befragt Putzfrauen und den Wächter am Eingang der Siedlung, den mobilen Friseur, der seine Utensilien auf dem Fahrrad stapelt, und Madame Zhou, die bei einem Pekinger Rechtsanwalt arbeitet. Sie alle erzählen bereitwillig aus ihrem Leben, von Glücksmomenten und Sehnsüchten; Madame Zhou berichtet auch vom Schicksal der etwa 150 Millionen Wanderarbeiter, die mehr oder weniger rechtlos ihr Leben fristen. Aus all den Kurzporträts entsteht ein facettenreiches Bild vom oft verwirrenden und widersprüchlichen chinesischen Alltag und einer Gesellschaft, die selbstbewusst und mitunter skeptisch in die Zukunft schaut. Das liest man gerne.
Weniger gelungen ist Landolf Scherzer dafür aber der Blick auf die Politik oder die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Da lässt er die falschen Leute zu Wort kommen: Wie etwa den früheren DDR-Militärattache in China, der heute Besitzer eines Restaurants und einer Fabrik für Thüringische Wurst in Peking ist, oder Klaus Schmuck, der für das DDR-Außenministerium arbeitete, und von dem die Aussage stammt, dass er zwar in China wohne, deshalb aber nicht wie ein Chinese leben müsse. Warum der Autor diese Befindlichkeit in sein Buch aufnimmt, bleibt offen. Zum Bild, das man sich im ersten Teil des Buches von China machen konnte, trägt das nicht bei. Viel eher bleibt so am Ende ein zwiespältiger Leseeindruck zurück. Das ist ärgerlich und unnötig: Denn Madame Zhou und ihre Mitbürger haben Spannendes über ihr Land zu erzählen.
Besprochen von Günter Wessel
Landolf Scherzer: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Auf den Spuren des chinesischen Wunders
Aufbau Verlag, Berlin 2012
360 Seiten, 19,99 Euro
Scherzer beherrscht genauso gut die Kunst des Zuhörens und des Fragens. So lässt er sich von Ärzten über traditionelle chinesische Medizin informieren. Er diskutiert mit einem Unternehmer über dessen Arbeitsethos (der Chinese versteht nicht, warum Unternehmer in Europa Urlaub nehmen) und darüber, warum der Taoismus, der fordert, dass man sich den Verhältnissen geschmeidig anpasse, so wunderbar zum aufkommenden Kapitalismus in China passt.
Er befragt Putzfrauen und den Wächter am Eingang der Siedlung, den mobilen Friseur, der seine Utensilien auf dem Fahrrad stapelt, und Madame Zhou, die bei einem Pekinger Rechtsanwalt arbeitet. Sie alle erzählen bereitwillig aus ihrem Leben, von Glücksmomenten und Sehnsüchten; Madame Zhou berichtet auch vom Schicksal der etwa 150 Millionen Wanderarbeiter, die mehr oder weniger rechtlos ihr Leben fristen. Aus all den Kurzporträts entsteht ein facettenreiches Bild vom oft verwirrenden und widersprüchlichen chinesischen Alltag und einer Gesellschaft, die selbstbewusst und mitunter skeptisch in die Zukunft schaut. Das liest man gerne.
Weniger gelungen ist Landolf Scherzer dafür aber der Blick auf die Politik oder die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Da lässt er die falschen Leute zu Wort kommen: Wie etwa den früheren DDR-Militärattache in China, der heute Besitzer eines Restaurants und einer Fabrik für Thüringische Wurst in Peking ist, oder Klaus Schmuck, der für das DDR-Außenministerium arbeitete, und von dem die Aussage stammt, dass er zwar in China wohne, deshalb aber nicht wie ein Chinese leben müsse. Warum der Autor diese Befindlichkeit in sein Buch aufnimmt, bleibt offen. Zum Bild, das man sich im ersten Teil des Buches von China machen konnte, trägt das nicht bei. Viel eher bleibt so am Ende ein zwiespältiger Leseeindruck zurück. Das ist ärgerlich und unnötig: Denn Madame Zhou und ihre Mitbürger haben Spannendes über ihr Land zu erzählen.
Besprochen von Günter Wessel
Landolf Scherzer: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Auf den Spuren des chinesischen Wunders
Aufbau Verlag, Berlin 2012
360 Seiten, 19,99 Euro