Zwischen Augenzwinkern und nüchterner Information
Das Buch nimmt nicht nur die wissenschaftliche Erforschung des Ötzis in den Blick, sondern auch Kult, Hype, Diskussionen und Absonderlichkeiten aller Art - seit der Entdeckung 1991 gab es eine Menge Aktion rund um den Gletschermann.
Ötzi - archäologische Sensation, Kriminalfall, Projektionsfläche. 1991 nach 5000 Jahren Einsamkeit dem Eis entnommen, wählte ihn das "Time Magazine" noch im selben Jahr zu den 25 berühmtesten Persönlichkeiten der Welt. Seitdem ist eine Menge Aktion rund um den Gletschermann entstanden, nicht nur wissenschaftliche Erforschung, sondern auch Kult, Hype, Diskussionen und Absonderlichkeiten aller Art. Alles das nimmt das neue Buch "Ötzi 2.0" in den Blick. Der großformatige Band begleitet eine gleichnamige Ausstellung, die im Rahmen des 20-jährigen Jubiläums des Fundes noch bis Mitte Januar 2012 im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen stattfindet.
In ihren Aufsätzen changieren die renommierten Autorinnen und Autoren ganz wunderbar zwischen Augenzwinkern und nüchterner Information. Wer weiß schon, dass in den Archivtruhen der Universität Innsbruck Dutzende von Briefen sorgfältig aufbewahrt werden? Sie trudelten nach einer Titelgeschichte des "Stern"-Magazins bei der Redaktion ein. Einer der Leser will in dem Steinzeitmann einen verstorbenen Verwandten wiedererkannt haben. Ein anderer vermutet, bei der Mumie handele sich um den verschollenen Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry. Und gleich mehrere Schreiber erklärten, in einem früheren Leben selbst einmal Ötzis gewesen zu sein.
Auch die seriösen Seiten der Ötzi-Erkundung haben in dem Buch ihren Platz. Im Detail erfahren wir, wie Gerichtsmediziner die Todesursache des Gletschermannes ermittelten. Er starb mit gut gefülltem Magen an widrigem Wetter samt einem tödlichen Pfeilschuss. Wer sein Mörder ist, kann der beste Forensiker heute allerdings nicht mehr rekonstruieren. Ein anderer Aufsatz gibt einen Einblick in die Techniken, mit denen die niederländischen Zwillingsbrüder Ad und Alfons Kennis zu Werke gingen, um den Gletschermann als realistische Skulptur auferstehen zu lassen. Auch als Wirtschaftsfaktor wird der verblichene Steinzeitmensch analysiert. Der Sensationsfund bescherte Südtirol schließlich nicht nur Hunderttausende von Touristen, sondern auch Ötzi-Eis und Ötzi-Wein.
Eine Augenweide der besonderen Art sind die vielen farbigen Abbildungen des Buches. Da schimmert die gelblich-pergamentene Hautoberfläche des Eismannes aus ungewöhnlichen Perspektiven in makroskopischen Fotografien. Auch die Stationen seiner archäologischen Bergung sind dokumentiert - und wie er da liegt in der eisigen Kälte, kopfüber und dünngeschrumpft bis aufs Gerippe.
Nachdenkliche Töne schlägt der Beitrag "Ötzi, kein Mensch mehr?" an. Zwiespältig erscheint Liselotte Hermes da Fonseca das Aufklärungsstreben der modernen Naturwissenschaften, denn nach vielen Magensaft- und DNA-Untersuchungen greifen die Forscher am Ende doch zu einer seltsam archaischen Ästhetik und präsentieren den schmalen Steinzeitmenschen wie eine Reliquie im geheimnisvoll beleuchteten Schrein. Ist es nicht letztlich das, was uns an Ötzi so sehr erschaudern lässt, fragt die Kulturwissenschaftlerin: das Geheimnisvolle und Unfassbare des Todes?
Besprochen von Susanne Billig
Angelika Fleckinger (Hrsg.): Ötzi 2.0 - Eine Mumie zwischen Wissenschaft, Kult und Mythos
Theiss Verlag, Stuttgart 2011
160 Seiten, 24,90 Euro
In ihren Aufsätzen changieren die renommierten Autorinnen und Autoren ganz wunderbar zwischen Augenzwinkern und nüchterner Information. Wer weiß schon, dass in den Archivtruhen der Universität Innsbruck Dutzende von Briefen sorgfältig aufbewahrt werden? Sie trudelten nach einer Titelgeschichte des "Stern"-Magazins bei der Redaktion ein. Einer der Leser will in dem Steinzeitmann einen verstorbenen Verwandten wiedererkannt haben. Ein anderer vermutet, bei der Mumie handele sich um den verschollenen Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry. Und gleich mehrere Schreiber erklärten, in einem früheren Leben selbst einmal Ötzis gewesen zu sein.
Auch die seriösen Seiten der Ötzi-Erkundung haben in dem Buch ihren Platz. Im Detail erfahren wir, wie Gerichtsmediziner die Todesursache des Gletschermannes ermittelten. Er starb mit gut gefülltem Magen an widrigem Wetter samt einem tödlichen Pfeilschuss. Wer sein Mörder ist, kann der beste Forensiker heute allerdings nicht mehr rekonstruieren. Ein anderer Aufsatz gibt einen Einblick in die Techniken, mit denen die niederländischen Zwillingsbrüder Ad und Alfons Kennis zu Werke gingen, um den Gletschermann als realistische Skulptur auferstehen zu lassen. Auch als Wirtschaftsfaktor wird der verblichene Steinzeitmensch analysiert. Der Sensationsfund bescherte Südtirol schließlich nicht nur Hunderttausende von Touristen, sondern auch Ötzi-Eis und Ötzi-Wein.
Eine Augenweide der besonderen Art sind die vielen farbigen Abbildungen des Buches. Da schimmert die gelblich-pergamentene Hautoberfläche des Eismannes aus ungewöhnlichen Perspektiven in makroskopischen Fotografien. Auch die Stationen seiner archäologischen Bergung sind dokumentiert - und wie er da liegt in der eisigen Kälte, kopfüber und dünngeschrumpft bis aufs Gerippe.
Nachdenkliche Töne schlägt der Beitrag "Ötzi, kein Mensch mehr?" an. Zwiespältig erscheint Liselotte Hermes da Fonseca das Aufklärungsstreben der modernen Naturwissenschaften, denn nach vielen Magensaft- und DNA-Untersuchungen greifen die Forscher am Ende doch zu einer seltsam archaischen Ästhetik und präsentieren den schmalen Steinzeitmenschen wie eine Reliquie im geheimnisvoll beleuchteten Schrein. Ist es nicht letztlich das, was uns an Ötzi so sehr erschaudern lässt, fragt die Kulturwissenschaftlerin: das Geheimnisvolle und Unfassbare des Todes?
Besprochen von Susanne Billig
Angelika Fleckinger (Hrsg.): Ötzi 2.0 - Eine Mumie zwischen Wissenschaft, Kult und Mythos
Theiss Verlag, Stuttgart 2011
160 Seiten, 24,90 Euro