Zwischen Bauhaus-Strenge und surrealistischer Ekstase
Zum Oeuvre von Ré Soupault zählen Avantgardefilme und Fotoserien aus dem Pariser Alltag oder über Zwangsprostituierte in Tunis, aber auch literarische Übersetzungen. Zeugnisse ihres facettenreichen Lebens sind nun in Mannheim zu sehen.
"Dieses berühmte Transformationskleid, mit dem sie Furore gemacht hat, war ein ganz neuer Gedanke: Die Mode war ja bestimmt von Coco Chanel und Frauen wie Elsa Sciaparelli, die zwar war eine klassische, elegante Mode gemacht haben, aber doch auch eine sehr exquisite, nicht für die arbeitende, berufstätige Frau. Und ihre Idee war es eben, aus einem Kleid verschiedene Anlässe bedienen zu können, also sowohl im Büro als auch zum Nachmittagstee bis hin zum Empfang oder abends im Theater."
Kuratorin Inge Herold sieht in dieser Mode, bei geometrisch klaren Mustern und sparsamem Materialeinsatz, den durch und durch rationalen Bauhaus-Gedanken verwirklicht. Andererseits kannte man Ré Soupault - die 1937 den Pariser Dichter Philippe Soupault geheiratet hatte - hierzulande lange Zeit vor allem als Übersetzerin des "Maldoror", einer Bibel des Surrealismus: Darin wird die ekstatische Schönheit der "zufälligen Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf dem Seziertisch" beschworen: Schwer vereinbar mit jenem akkurat kalkulierten Formwillen, wie er dem strengen Geist des Bauhauses entsprach. Aber in Weimar und Dessau scheint die spätere Surrealisten-Muse mit dem Maler und Lebensreformer Georg Muche ihren ganz besonderen Lehrer gefunden zu haben:
"Man sieht den Muche da in dieser typischen Tracht, so ein Russenkittel. Er war ein Anhänger der Mazdaznan-Lehre - und man hat nach dieser Lehre auch gelebt. Und man hat eben ganz anders als sonst an Kunst-Akademien viel, viel freier und unkonventioneller gearbeitet. Das muss Meta Erna Niemeyer ganz besonders beeindruckt haben. Es ist aber tatsächlich so, dass wir nichts erhalten haben aus ihrer Zeit am Bauhaus."
An die Stelle der fehlenden Dokumente treten in dieser ersten Retrospektive Mutmaßungen - aber die sind aufwendig illustriert: Zum Beispiel mit der abstrakten "Diagonal-Sinfonie" von 1925, einem der ersten Avantgarde- und Animationsfilme des in Berlin lebenden Dänen Viking Eggeling.
"Ré Soupault lernt Eggeling über ihren Bauhaus-Freund Werner Graeff kennen, der taucht ja in der Ausstellung auch noch ein paar Mal auf. Und daraus entwickelte sich sozusagen die Geschichte, weil Eggeling eine Assistentin suchte, weil er nämlich Musik in Bewegung und in bewegte Bilder umsetzen wollte."
Der Verleger Manfred Metzner kennt sich als Nachlassverwalter Ré Soupaults bestens aus mit den Namen der europäischen Avantgarde. Notiz- und Adressbücher, wie Dutzendware in Glasvitrinen aufgereiht, markieren das Geflecht von Künstlerbekanntschaften, aus dem in dieser Ausstellung eine facettenreiche und aufgesplitterte Biografie allzu anekdotisch rekonstruiert wird.
Rätselhaft bleibt etwa, warum Ré Soupault derart scharfe Zäsuren machte, das Mode-Studio 1934 ganz und gar aufgab, dann um 1950 die Kamera beiseitelegte und fortan nur noch als literarische Übersetzerin tätig war. Die Auswahl der wenigen noch erhaltenen Reportagefotos aus dem Pariser Alltagsleben und insbesondere die Fotoporträts der Zwangsprostituierten im "Quartier Reservé" von Tunis ist eindrucksvoll. Ausgiebige Verweise auf Fotografinnen wie Florence Henri, Lotte Jacobi, Marianne Breslauer und Gisèle Freund wirken jedoch beliebig. Und historisch wie auch fotogeschichtlich ein schlichter Anachronismus ist die Gegenüberstellung von Ré Soupaults Bildreportage aus Spanien am Vorabend des Bürgerkriegs 1936 mit einer surrealistisch inspirierten Aufnahme Henri Cartier-Bressons aus Madrid im friedlichen Jahr 1933. Doch Kuratorin Inge Herold sieht vor allem die Übereinstimmung im Verzicht auf Ausschnitte und Retuschen:
"Ich denke, dass es eine bewusste Entscheidung war, wie auch bei Henri Cartier-Bresson. Also den Augenblick, den man gesehen und festgehalten hat, unverändert wiederzugeben. Zwar lange auf der Lauer zu liegen, um den entscheidenden Moment zu erwischen, aber dann daran nichts mehr zu ändern. Was natürlich auch dem Charakter der Reportagefotografie entsprochen hat, denn die wollte ja das festhalten, was sie gesehen hat - unverfälscht!"
Dieser Mythos der Fotografie als authentischem Dokument ist längst passé. Umso dringlicher wäre es zu zeigen, welche Aufnahmen für die Veröffentlichung in der Pariser Tageszeitung "L'Intransigeant" oder in der Illustrierten "VU" ausgewählt wurden - und wie Rés Fotografien die dort ebenfalls publizierten Reportagen Philippe Soupaults bebilderten. Einen Nachlass in derartig unübersehbarer Fülle auszubreiten ist ehrenwert, an der Tagesordnung aber wäre eine solide recherchierte, eine über die Anekdoten hinausweisende Biografie, eine wirkliche Foto-Geschichte. Denn sämtliche Ausgaben des "L'Intransigeant" etwa sind längst im digitalen "Gallica"-Archiv der Nationalbibliothek online einzusehen - was auch Manfred Metzner nicht verborgen blieb:
"Es gibt Quellen für seine Tageszeitung "L'Intransigeant", da hat sie seine Reportagen bebildert. Da gibt es eine Quelle, die wir im Nachlass haben, aber sonst, von anderen Sachen habe ich noch nichts gefunden. Das ist noch eine Sucharbeit."
Link zur Ausstellung
Kuratorin Inge Herold sieht in dieser Mode, bei geometrisch klaren Mustern und sparsamem Materialeinsatz, den durch und durch rationalen Bauhaus-Gedanken verwirklicht. Andererseits kannte man Ré Soupault - die 1937 den Pariser Dichter Philippe Soupault geheiratet hatte - hierzulande lange Zeit vor allem als Übersetzerin des "Maldoror", einer Bibel des Surrealismus: Darin wird die ekstatische Schönheit der "zufälligen Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf dem Seziertisch" beschworen: Schwer vereinbar mit jenem akkurat kalkulierten Formwillen, wie er dem strengen Geist des Bauhauses entsprach. Aber in Weimar und Dessau scheint die spätere Surrealisten-Muse mit dem Maler und Lebensreformer Georg Muche ihren ganz besonderen Lehrer gefunden zu haben:
"Man sieht den Muche da in dieser typischen Tracht, so ein Russenkittel. Er war ein Anhänger der Mazdaznan-Lehre - und man hat nach dieser Lehre auch gelebt. Und man hat eben ganz anders als sonst an Kunst-Akademien viel, viel freier und unkonventioneller gearbeitet. Das muss Meta Erna Niemeyer ganz besonders beeindruckt haben. Es ist aber tatsächlich so, dass wir nichts erhalten haben aus ihrer Zeit am Bauhaus."
An die Stelle der fehlenden Dokumente treten in dieser ersten Retrospektive Mutmaßungen - aber die sind aufwendig illustriert: Zum Beispiel mit der abstrakten "Diagonal-Sinfonie" von 1925, einem der ersten Avantgarde- und Animationsfilme des in Berlin lebenden Dänen Viking Eggeling.
"Ré Soupault lernt Eggeling über ihren Bauhaus-Freund Werner Graeff kennen, der taucht ja in der Ausstellung auch noch ein paar Mal auf. Und daraus entwickelte sich sozusagen die Geschichte, weil Eggeling eine Assistentin suchte, weil er nämlich Musik in Bewegung und in bewegte Bilder umsetzen wollte."
Der Verleger Manfred Metzner kennt sich als Nachlassverwalter Ré Soupaults bestens aus mit den Namen der europäischen Avantgarde. Notiz- und Adressbücher, wie Dutzendware in Glasvitrinen aufgereiht, markieren das Geflecht von Künstlerbekanntschaften, aus dem in dieser Ausstellung eine facettenreiche und aufgesplitterte Biografie allzu anekdotisch rekonstruiert wird.
Rätselhaft bleibt etwa, warum Ré Soupault derart scharfe Zäsuren machte, das Mode-Studio 1934 ganz und gar aufgab, dann um 1950 die Kamera beiseitelegte und fortan nur noch als literarische Übersetzerin tätig war. Die Auswahl der wenigen noch erhaltenen Reportagefotos aus dem Pariser Alltagsleben und insbesondere die Fotoporträts der Zwangsprostituierten im "Quartier Reservé" von Tunis ist eindrucksvoll. Ausgiebige Verweise auf Fotografinnen wie Florence Henri, Lotte Jacobi, Marianne Breslauer und Gisèle Freund wirken jedoch beliebig. Und historisch wie auch fotogeschichtlich ein schlichter Anachronismus ist die Gegenüberstellung von Ré Soupaults Bildreportage aus Spanien am Vorabend des Bürgerkriegs 1936 mit einer surrealistisch inspirierten Aufnahme Henri Cartier-Bressons aus Madrid im friedlichen Jahr 1933. Doch Kuratorin Inge Herold sieht vor allem die Übereinstimmung im Verzicht auf Ausschnitte und Retuschen:
"Ich denke, dass es eine bewusste Entscheidung war, wie auch bei Henri Cartier-Bresson. Also den Augenblick, den man gesehen und festgehalten hat, unverändert wiederzugeben. Zwar lange auf der Lauer zu liegen, um den entscheidenden Moment zu erwischen, aber dann daran nichts mehr zu ändern. Was natürlich auch dem Charakter der Reportagefotografie entsprochen hat, denn die wollte ja das festhalten, was sie gesehen hat - unverfälscht!"
Dieser Mythos der Fotografie als authentischem Dokument ist längst passé. Umso dringlicher wäre es zu zeigen, welche Aufnahmen für die Veröffentlichung in der Pariser Tageszeitung "L'Intransigeant" oder in der Illustrierten "VU" ausgewählt wurden - und wie Rés Fotografien die dort ebenfalls publizierten Reportagen Philippe Soupaults bebilderten. Einen Nachlass in derartig unübersehbarer Fülle auszubreiten ist ehrenwert, an der Tagesordnung aber wäre eine solide recherchierte, eine über die Anekdoten hinausweisende Biografie, eine wirkliche Foto-Geschichte. Denn sämtliche Ausgaben des "L'Intransigeant" etwa sind längst im digitalen "Gallica"-Archiv der Nationalbibliothek online einzusehen - was auch Manfred Metzner nicht verborgen blieb:
"Es gibt Quellen für seine Tageszeitung "L'Intransigeant", da hat sie seine Reportagen bebildert. Da gibt es eine Quelle, die wir im Nachlass haben, aber sonst, von anderen Sachen habe ich noch nichts gefunden. Das ist noch eine Sucharbeit."
Link zur Ausstellung