Zwischen Bogotá und Berlin

Von Ole Schulz |
Kolumbien ist ein Land, das seit Langem vor allem wegen negativer Nachrichten in den Schlagzeilen steht. Doch das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land hat kulturell einiges zu bieten; zum Beispiel das internationale Theaterfestival Iberoamericano in Bogotá. Anlässlich der Präsidentschaftswahlen in Kolumbien veranstaltet das Berliner Theater Hebbel am Ufer ein Kolumbienfestival.
Auf der Bühne eine bunte, mit Luftschlangen dekorierte Bar, Luftballons zerplatzen knallend. Was wie Karneval erscheint, symbolisiert das Fest der Santos Inocentes, der unschuldigen Kinder. Das kleine Mapa Teatro im Herzen Bogotás beleuchtet in seiner Inszenierung beim Theaterfestival Iberoamericano eine eigenartige kulturelle Praxis.

Jedes Jahr im Dezember feiern die Bewohner Guapís das Fest der unschuldigen Kinder. Die von Afrokolumbianern bewohnte Pazifikregion um Guapí ist zwischen Regierung, Paramilitärs und Guerilla hart umkämpft. Hier hat sich das ursprünglich katholische Fest mit der Zeit gewandelt: Heute ziehen als Frauen verkleidete Männer in Plastikmasken und mit einer Peitsche in der Hand durch die Straßen. Sie peitschen jeden aus, der ihnen in die Quere kommt. Die Regisseurin Heidi Abderhalden:

"Es ist ein sehr besonderes Fest. Seit seinen Anfängen, seit der Sklaverei hat es den Charakter eines kartesischen Aktes. Es ist ein lustvolles Spiel mit der Gewalt. Das Auspeitschen ist aber zugleich auch ein Akt des Widerstandes und der Erinnerung."

Das Stück des Mapa Teatros läuft beim Festival Iberoamericano de Teatro in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Es ist eines der weltweit größten internationalen Theatertreffen. Was einem hier in gut zwei Wochen geboten wird, ist kaum zu überblicken - mehrere 100 Gruppen treten auf, aus dem Ausland kommen Regisseure wie Robert Wilson, Frank Castorf oder Peter Brook.

Einen Gemischtwarenladen nennt Matthias Pees das Festival. Früher Dramaturg an der Berliner Volksbühne war Pees in Bogotá als Co-Kurator des Kolumbien-Festivals Freiheit und Unordnung, das am Donnerstag im HAU beginnt, dem Berliner Theater Hebbel am Ufer, unter anderem auch mit dem Mapa Teatro. Matthias Pees:

"Also, es ist sicher so, dass wir mit dem HAU in einer Nische arbeiten, und das ist eine Nische, die einfach etwas damit zu tun hat, dass uns künstlerische Ausdrucksformen - gar nicht unbedingt nur Theater, sondern auch Visual Arts oder Installationskunst, genreübergreifende Kunst - interessiert, die sich mit einer politischen und sozialen Realität auseinandersetzt. Das heißt, der Ansatz dieses Festivals im HAU ist ein politischer. Uns interessiert Kolumbien im Jahr 2010."

2010 ist ein wichtiges Jahr für das Land. Erst stehen Ende Mai die Präsidentschaftswahlen an, dann werden im Juli 200 Jahre Unabhängigkeit gefeiert. In diesen zwei Jahrhunderten habe Kolumbien weniger als 50 Jahre in Frieden gelebt, bemerkte der ausscheidende rechte Präsident Álvaro Uribe unlängst. Die Wahlen seien so spannend wie nie zuvor, heißt es. Als Favorit gilt Ex-Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, ein Hardliner aus der Uribe-Partei.

Der 29-jährige Regisseur Jorge Hugo Marin zeigt derweil beim Theaterfestival sein Stück Familienangelegenheiten. Die Zuschauer sitzen in einem kleinen Patio, vor ihnen ein Panoramafenster, durch das sie, wie Voyeure, in ein Wohnzimmer schauen. Dort spielt sich ein tragikkomisches Familientreffen ab. Mit bissigen Dialogen streiten drei Geschwister und ihre Ehefrauen darüber, wer die kranke Mutter bei sich zu Hause aufnimmt. In der Unfähigkeit, eine Lösung zu finden, treten die familiären Dissonanzen immer deutlicher hervor.

Mit der Familie befasst sich auch Einfach das Ende der Welt. Das Stück von Jean-Luc Lagarce bringt Manuel Orjuela zum Festival nach Berlin mit. Der Regisseur aus Bogotá verarbeitet darin die Entfremdung von seiner eigenen Familie. In Kolumbien, einem Land voller Kontraste, fehle es an Kommunikation, meint Orjuela.

"Es gibt große Unterschiede zwischen uns Kolumbianern. Wenn wir diese Differenzen eines Tages anerkennen würden, könnten wir friedlicher zusammenleben. Bis heute sind wir sehr schlecht darin, Konflikte mit Worten zu lösen. Zu leicht rutscht uns die Hand aus, kommt das Tier in uns durch. Wir sind wenig tolerant und haben die Wohltat des Wortes noch nicht erkannt."

Das Festival "Freiheit und Unordnung - Junge Kunst aus Kolumbien" beginnt am 22.04.2010 im Berliner Theater Hebbel am Ufer und geht bis zum 01.05.2010. Das ausführliche Programm findet sich unter: hebbel-am-ufer.de