Zwischen den Fronten des Kalten Krieges
Als Boris Pasternak 1958 für seine Lyrik und den Roman "Doktor Schiwago" den Nobelpreis für Literatur erhielt, musste er ihn ablehnen - auf massiven Druck der Moskauer Machthaber: Pasternak hatte Angst, bei Zuwiderhandlung Russland verlassen zu müssen.
Lange bevor der 1890 in Moskau geborene Boris Leonidowitsch Pasternak Schriftsteller geworden war, wollte er, angeregt durch die Begegnung mit der Musik Alexander Scriabins, Komponist und Pianist werden. Er war 13 Jahre alt, als er Scriabin auch persönlich kennenlernte, und der nahm den Jungen so ernst, dass er mit ihm über die Philosophie Friedrich Nietzsches sprach. Sofort stand für Pasternak fest, dass er nach dem Abitur 1908 am deutschen Gymnasium in Moskau Philosophie studieren wollte. Es war die Atmosphäre in seiner Familie – in der auch Tolstoi und Rainer Maria Rilke verkehrten –, die den jungen Pasternak animierte. Später schrieb er in einem Brief an die Eltern – der Vater war Maler und Professor an der Hochschule für Malerei, die Mutter eine bekannte Pianistin –:
Alles, was ich bin, schulde ich Euch.
Seine Deutschkenntnisse erlaubten es ihm, 1912 ein Semester bei Nicolai Hartmann an der Universität in Marburg zu studieren, doch bald war er wieder zurück in Russland, ein aufmerksamer Beobachter der politischen Zeit in den Jahren vor der Revolution – und der literarischen Strömungen zwischen Symbolismus und Futurismus. Da hatte Pasternak schon Gedichte zu schreiben begonnen, 1914 war der Band "Zwilling in Wolken" und 1917 das Buch "Über die Barrieren" erschienen. Ein neuer, unverbrauchter Ton war darin und erregte die Leser, die Pasternak nach dem 1922 herausgekommenen Band "Meine Schwester, das Leben" vollends als einen der größten Lyriker Russlands erkannt hatten. Eine Sprachmelodie komponiert wie Musik – bis heute animiert sie, die Gedichte zur Musik vorzutragen:
"Winternacht ... Es wehte, wehte Tag und Nacht in alle Lande. Die Kerze brannte auf dem Tisch. Die Kerze brannte wie sommers Mücken in das Licht der Flamme treiben. So stiebten Flocken übern Hof an ihre Scheiben. An helle Decke neigten sich wie Schattenpaare gekreuzte Arme, gekreuzte Beine – und Schicksalsjahre."
Mit dem sozialistischen Realismus hatte Pasternaks Art zu schreiben nichts zu tun. Er war auf anderes aus:
"Erkenntnisse, Erkenntnisse – die möchte ich in der Kunst sehen, nicht Richtungen, die ich schon erprobt habe und die ich kenne. Und nicht den Kampf zwischen den Richtungen, linken Richtungen und rechten Richtungen. Aber neue Inhalte, bis zu Ende gedacht."
Mit solchem Programm stand Pasternak im Russland Stalins quer zur Zeit, sodass er, an den äußersten Rand gedrängt, seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen von Goethe, Kleist und Rilke verdienen musste. Er selbst hatte sich zurückgezogen in die Künstlerkolonie Peredelkino bei Moskau.
Doch seine Literatur wirkte, aufgrund der offiziellen Ablehnung, im Verborgenen. Mitte der 1950er-Jahre hatte er eine dunkle Ahnung:
Ich habe bis heute nichts Besonderes vollbracht, und doch erwartet mich mein welthistorisches Schicksal. Dieses Schicksal bricht über mich herein, der unvorbereitet und mit leeren Händen dasteht.
Das Schicksal brach 1958 über ihn herein. Im Oktober kam aus Stockholm die Nachricht, dass Pasternak mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war – sowohl für seine Lyrik wie für den ein Jahr zuvor erschienenen Roman "Doktor Schiwago", der vor dem Hintergrund der russischen Geschichte vor und nach der Revolution eine Romanze zwischen dem Arzt und Dichter Jurij Schiwago und seiner Geliebten Lara Guichard als Hymne auf das "Glück der Existenz" erzählte und später in Hollywood mit Omar Sharif und Julie Christie in den Hauptrollen verfilmt wurde. Die Moskauer Machthaber, die das Erscheinen der Originalausgabe in Russland verhindert hatten – der russische Text erschien im Mailänder Verlag Feltrinelli –, zwangen den Autor, den Nobelpreis abzulehnen – was er auch tat, wohl aus Furcht, wie ein persönlicher Brief an Nikita Chruschtschow zu deuten ist, Russland verlassen zu müssen.
Zwei Jahre später, am 30. Mai 1960, starb Boris Pasternak an Herzversagen. In dem Gedicht "Wiedersehen" hatte er geschrieben:
"Schnee begräbt die Wege und überlädt das Dach. Ich trete vor die Schwelle und lauf dir in den Arm. Wer wird nach diesen Zeiten noch wissen, wie es uns ging, wenn Schwätzer sich verbreiten, doch wir schon nicht mehr sind."
Alles, was ich bin, schulde ich Euch.
Seine Deutschkenntnisse erlaubten es ihm, 1912 ein Semester bei Nicolai Hartmann an der Universität in Marburg zu studieren, doch bald war er wieder zurück in Russland, ein aufmerksamer Beobachter der politischen Zeit in den Jahren vor der Revolution – und der literarischen Strömungen zwischen Symbolismus und Futurismus. Da hatte Pasternak schon Gedichte zu schreiben begonnen, 1914 war der Band "Zwilling in Wolken" und 1917 das Buch "Über die Barrieren" erschienen. Ein neuer, unverbrauchter Ton war darin und erregte die Leser, die Pasternak nach dem 1922 herausgekommenen Band "Meine Schwester, das Leben" vollends als einen der größten Lyriker Russlands erkannt hatten. Eine Sprachmelodie komponiert wie Musik – bis heute animiert sie, die Gedichte zur Musik vorzutragen:
"Winternacht ... Es wehte, wehte Tag und Nacht in alle Lande. Die Kerze brannte auf dem Tisch. Die Kerze brannte wie sommers Mücken in das Licht der Flamme treiben. So stiebten Flocken übern Hof an ihre Scheiben. An helle Decke neigten sich wie Schattenpaare gekreuzte Arme, gekreuzte Beine – und Schicksalsjahre."
Mit dem sozialistischen Realismus hatte Pasternaks Art zu schreiben nichts zu tun. Er war auf anderes aus:
"Erkenntnisse, Erkenntnisse – die möchte ich in der Kunst sehen, nicht Richtungen, die ich schon erprobt habe und die ich kenne. Und nicht den Kampf zwischen den Richtungen, linken Richtungen und rechten Richtungen. Aber neue Inhalte, bis zu Ende gedacht."
Mit solchem Programm stand Pasternak im Russland Stalins quer zur Zeit, sodass er, an den äußersten Rand gedrängt, seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen von Goethe, Kleist und Rilke verdienen musste. Er selbst hatte sich zurückgezogen in die Künstlerkolonie Peredelkino bei Moskau.
Doch seine Literatur wirkte, aufgrund der offiziellen Ablehnung, im Verborgenen. Mitte der 1950er-Jahre hatte er eine dunkle Ahnung:
Ich habe bis heute nichts Besonderes vollbracht, und doch erwartet mich mein welthistorisches Schicksal. Dieses Schicksal bricht über mich herein, der unvorbereitet und mit leeren Händen dasteht.
Das Schicksal brach 1958 über ihn herein. Im Oktober kam aus Stockholm die Nachricht, dass Pasternak mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war – sowohl für seine Lyrik wie für den ein Jahr zuvor erschienenen Roman "Doktor Schiwago", der vor dem Hintergrund der russischen Geschichte vor und nach der Revolution eine Romanze zwischen dem Arzt und Dichter Jurij Schiwago und seiner Geliebten Lara Guichard als Hymne auf das "Glück der Existenz" erzählte und später in Hollywood mit Omar Sharif und Julie Christie in den Hauptrollen verfilmt wurde. Die Moskauer Machthaber, die das Erscheinen der Originalausgabe in Russland verhindert hatten – der russische Text erschien im Mailänder Verlag Feltrinelli –, zwangen den Autor, den Nobelpreis abzulehnen – was er auch tat, wohl aus Furcht, wie ein persönlicher Brief an Nikita Chruschtschow zu deuten ist, Russland verlassen zu müssen.
Zwei Jahre später, am 30. Mai 1960, starb Boris Pasternak an Herzversagen. In dem Gedicht "Wiedersehen" hatte er geschrieben:
"Schnee begräbt die Wege und überlädt das Dach. Ich trete vor die Schwelle und lauf dir in den Arm. Wer wird nach diesen Zeiten noch wissen, wie es uns ging, wenn Schwätzer sich verbreiten, doch wir schon nicht mehr sind."