Zwischen den Kulturen
Wer zwar einen jüdischen Vater, aber eine nicht-jüdische Mutter hat, gilt offiziell nicht als Jude. Doch in liberalen Gemeinden können Kinder eines jüdischen Vaters mit Zustimmung ihrer Eltern eine jüdische Erziehung erhalten.
Sarah Wohls langer Weg zum Judentum begann mit dem Schrank ihres jüdischen Vaters. Darin waren die wertvollsten Gegenstände seines verstorbenen Vaters, also Sarahs Großvaters deponiert.
"In dem großen gläsernen Schrank waren Fotoapparate, eine Schreckschusspistole, ein Schlagring und eine silberne Thorarolle verziert mit einem Gebetband, beide nur mit hebräischer Schrift. Und ich wollte wissen, was das ist. Die Fotoapparate und die Waffen haben mich nicht interessiert als Kind. Und dann blieb dieses Buch, das ein Symbol von meinem Großvater war. Und dann bin ich in die jüdische Gemeinde gegangen, um Hebräisch zu lernen. Es waren 15 Kilometer mit der Straßenbahn in die nächste Stadt. Und ich war immer da, ich wollte es wirklich lernen."
Zwei Jahre lang ging das achtjährige Mädchen jede Woche vom Dorf in Südhessen in die benachbarte jüdische Gemeinde nach Darmstadt, begleitet von ihrer kleinen Schwester Leah. Viel Hebräisch hat Sarah dort zwar nicht gelernt, aber dafür oft zusammen mit ihrer Religionsklasse auf jüdischen Festen im Gemeindezentrum gesungen und getanzt. Sie fühlte sich als Teil der Gemeinschaft.
"Und dann wollten wir nach Bad Sobernheim zum Sommerlager und durften nicht mit, weil wir nicht jüdisch sind. Das war auch das Ende meiner Karriere in der Jüdischen Gemeinde. Ich bin nicht mehr hingegangen und auch die ganze Familie ist nicht mehr hingegangen."
Denn viele Erzählungen von Sarahs jüdischem Vater aus seiner Kindheit waren mit diesem Sommercamp in Bad Sobernheim verbunden. Daher traf die Entscheidung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) die ganze säkulare Familie Wohl, auch den jüdischen Vater, der früher Gruppenleiter oder Madrich war.
Obwohl Sarah und Leah Wohl von Juden immer wieder zu hören bekamen, sie seien keine "echten Juden", interessierten sie sich weiterhin fürs Judentum, aber nicht im religiösen Sinne. Daher kam ein Übertritt für sie auch nicht in Frage. Die 30-jährige Sarah studierte Weltreligionen und schickte ihren Sohn auf die jüdische Schule. Die 28-jährige Lea promoviert zu einem deutsch-jüdischen Thema. Ein Meilenstein ihrer Selbstfindung stellte die Doktorarbeit von Ruth Zeifert dar über die Identität von Deutschen mit einem jüdischen Vater und einer nicht-jüdischen Mutter. Auch Zeifert zählt sich zu den sogenannten "Vater-Juden". Wie aber definiert sich die zweifache Mutter?
"Als Wissenschaftlerin, die das Ganze von sich abgekapselt hat. Ich gebe es weiter an meine Kinder durch jüdische Namen und ich hätte gerne, dass sie in die Synagoge gehen, aber mein Freund will überhaupt keine Religiosität in unserem Leben, also versuche ich es gerade auszusitzen, indem ich mich auf wissenschaftliche Art und Weise damit beschäftige."
Ruth Zeifert wollte mit 13 Jüdin werden, aber ihr jüdischer Vater hatte ihr das verboten. Sie fühlt sich bis heute als jüdisch und wäre gern Mitglied in einer jüdischen Gemeinde. Zur Zeit übt sie mit ihren beiden Töchtern Chanukkalieder. Die Soziologin forscht über die Haltung von "Vater-Juden", die jedoch einen Bezug zum Judentum haben.
Weil mehr als 50 Prozent der Juden in Deutschland mit einem nichtjüdischen Partner leben, ist der Umgang mit dieser wachsenden Gruppe wichtig auch für die Zukunft der jüdischen Gemeinden in Deutschland.
Einer aktuellen repräsentativen Studie in den Niederlanden zufolge haben 30 Prozent der Juden nur einen jüdischen Vater. 18 Prozent der "Vater-Juden" bezeichnen sich als Juden, aber nur sieben Prozent als Nichtjuden. Die erste Gruppe solcher "Vater-Juden" in Deutschland entstand 2007 anlässlich des evangelischen Kirchentags, mit dem bezeichnenden Titel "Zwischen den Stühlen". Sarah und Lea Wohl gründeten 2009 in Frankfurt und später in Berlin die Gruppe "Doppelhalb", die überwiegend aus Frauen mit einem jüdischen Vater besteht, aber die auch Juden mit einer jüdischen Mutter oder Großmutter willkommen heißt.
Sarah Wohl: "Wir treffen wir uns irgendwo in der Kneipe und reden oder wir tauschen Hinweise auf Bücher, auf Filme, auf wissenschaftliche Veröffentlichung aus, wenn jemand was findet, was interessant ist. Wir machen halt keinen interreligiösen Dialog im Sinne von da sind die Christen und da sind die Juden und sie reden jetzt miteinander. Aber viele von uns kennen mehr als eine Religion sozusagen aus der Familie."
Aus diesen Gruppen entstand in Zürich die erste Tagung zur Identität gemischter Familien und patri-linearer Juden. Mit dabei war auch die Vorsitzende der Union Progressiver Juden, Sonja Guentner, die 23 liberale Gemeinden vertritt. In diesen können Kinder eines jüdischen Vaters mit Zustimmung ihrer Eltern eine jüdische Erziehung erhalten. Im Alter von 13 bzw. 12 können sie dann als Bar Mitzwa oder Bat Mitzwa unabhängig von ihren Eltern als religionsmündig gelten. Wie steht Sonja Guentner persönlich zu deren Anerkennung als vollständige Mitglieder von liberalen jüdischen Gemeinden?
"Ich persönlich finde das einen sehr sympathischen Ansatz, aber als Bewegung hat man auch die Aufgabe, für einen Zusammenhalt innerhalb der Bewegung zu sorgen. Wir haben in Deutschland ein ganz großes Legitimitätsproblem. Es ist eine beliebte Polemik, gegen das liberale Judentum zu sagen: Das sind ja eigentlich gar keine Juden und da kann ja sowieso jeder Mitglied werden, auch Christen usw. Die Finanzierung der Gemeinden läuft ja über die Länder, über die Staatsverträge mit den Ländern und über die Verteilungsschlüssel da. Und Grundlage all dieser Regelungen ist eine halachische Definition der Zugehörigkeit zum Judentum."
Solange also die jüdischen Gemeinden auf staatliche Förderung angewiesen sind, werden sie anders als in den USA oder England keine "Vaterjuden" als gleichwertige Mitglieder aufnehmen, auch wenn dies ihre Zukunft sichern könnten. Denn 20 Jahre nach der großen Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion schrumpfen die jüdischen Gemeinden wieder, jährlich um 1000 Mitglieder. Die Sterberate ist sechsmal höher als die Geburtenrate. Dies wird wohl die Annäherung an die "Vater-Juden" erleichtern und Kindern wie damals Sarah Wohl die Teilnahme an einem jüdischen Sommercamp erlauben.
"In dem großen gläsernen Schrank waren Fotoapparate, eine Schreckschusspistole, ein Schlagring und eine silberne Thorarolle verziert mit einem Gebetband, beide nur mit hebräischer Schrift. Und ich wollte wissen, was das ist. Die Fotoapparate und die Waffen haben mich nicht interessiert als Kind. Und dann blieb dieses Buch, das ein Symbol von meinem Großvater war. Und dann bin ich in die jüdische Gemeinde gegangen, um Hebräisch zu lernen. Es waren 15 Kilometer mit der Straßenbahn in die nächste Stadt. Und ich war immer da, ich wollte es wirklich lernen."
Zwei Jahre lang ging das achtjährige Mädchen jede Woche vom Dorf in Südhessen in die benachbarte jüdische Gemeinde nach Darmstadt, begleitet von ihrer kleinen Schwester Leah. Viel Hebräisch hat Sarah dort zwar nicht gelernt, aber dafür oft zusammen mit ihrer Religionsklasse auf jüdischen Festen im Gemeindezentrum gesungen und getanzt. Sie fühlte sich als Teil der Gemeinschaft.
"Und dann wollten wir nach Bad Sobernheim zum Sommerlager und durften nicht mit, weil wir nicht jüdisch sind. Das war auch das Ende meiner Karriere in der Jüdischen Gemeinde. Ich bin nicht mehr hingegangen und auch die ganze Familie ist nicht mehr hingegangen."
Denn viele Erzählungen von Sarahs jüdischem Vater aus seiner Kindheit waren mit diesem Sommercamp in Bad Sobernheim verbunden. Daher traf die Entscheidung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) die ganze säkulare Familie Wohl, auch den jüdischen Vater, der früher Gruppenleiter oder Madrich war.
Obwohl Sarah und Leah Wohl von Juden immer wieder zu hören bekamen, sie seien keine "echten Juden", interessierten sie sich weiterhin fürs Judentum, aber nicht im religiösen Sinne. Daher kam ein Übertritt für sie auch nicht in Frage. Die 30-jährige Sarah studierte Weltreligionen und schickte ihren Sohn auf die jüdische Schule. Die 28-jährige Lea promoviert zu einem deutsch-jüdischen Thema. Ein Meilenstein ihrer Selbstfindung stellte die Doktorarbeit von Ruth Zeifert dar über die Identität von Deutschen mit einem jüdischen Vater und einer nicht-jüdischen Mutter. Auch Zeifert zählt sich zu den sogenannten "Vater-Juden". Wie aber definiert sich die zweifache Mutter?
"Als Wissenschaftlerin, die das Ganze von sich abgekapselt hat. Ich gebe es weiter an meine Kinder durch jüdische Namen und ich hätte gerne, dass sie in die Synagoge gehen, aber mein Freund will überhaupt keine Religiosität in unserem Leben, also versuche ich es gerade auszusitzen, indem ich mich auf wissenschaftliche Art und Weise damit beschäftige."
Ruth Zeifert wollte mit 13 Jüdin werden, aber ihr jüdischer Vater hatte ihr das verboten. Sie fühlt sich bis heute als jüdisch und wäre gern Mitglied in einer jüdischen Gemeinde. Zur Zeit übt sie mit ihren beiden Töchtern Chanukkalieder. Die Soziologin forscht über die Haltung von "Vater-Juden", die jedoch einen Bezug zum Judentum haben.
Weil mehr als 50 Prozent der Juden in Deutschland mit einem nichtjüdischen Partner leben, ist der Umgang mit dieser wachsenden Gruppe wichtig auch für die Zukunft der jüdischen Gemeinden in Deutschland.
Einer aktuellen repräsentativen Studie in den Niederlanden zufolge haben 30 Prozent der Juden nur einen jüdischen Vater. 18 Prozent der "Vater-Juden" bezeichnen sich als Juden, aber nur sieben Prozent als Nichtjuden. Die erste Gruppe solcher "Vater-Juden" in Deutschland entstand 2007 anlässlich des evangelischen Kirchentags, mit dem bezeichnenden Titel "Zwischen den Stühlen". Sarah und Lea Wohl gründeten 2009 in Frankfurt und später in Berlin die Gruppe "Doppelhalb", die überwiegend aus Frauen mit einem jüdischen Vater besteht, aber die auch Juden mit einer jüdischen Mutter oder Großmutter willkommen heißt.
Sarah Wohl: "Wir treffen wir uns irgendwo in der Kneipe und reden oder wir tauschen Hinweise auf Bücher, auf Filme, auf wissenschaftliche Veröffentlichung aus, wenn jemand was findet, was interessant ist. Wir machen halt keinen interreligiösen Dialog im Sinne von da sind die Christen und da sind die Juden und sie reden jetzt miteinander. Aber viele von uns kennen mehr als eine Religion sozusagen aus der Familie."
Aus diesen Gruppen entstand in Zürich die erste Tagung zur Identität gemischter Familien und patri-linearer Juden. Mit dabei war auch die Vorsitzende der Union Progressiver Juden, Sonja Guentner, die 23 liberale Gemeinden vertritt. In diesen können Kinder eines jüdischen Vaters mit Zustimmung ihrer Eltern eine jüdische Erziehung erhalten. Im Alter von 13 bzw. 12 können sie dann als Bar Mitzwa oder Bat Mitzwa unabhängig von ihren Eltern als religionsmündig gelten. Wie steht Sonja Guentner persönlich zu deren Anerkennung als vollständige Mitglieder von liberalen jüdischen Gemeinden?
"Ich persönlich finde das einen sehr sympathischen Ansatz, aber als Bewegung hat man auch die Aufgabe, für einen Zusammenhalt innerhalb der Bewegung zu sorgen. Wir haben in Deutschland ein ganz großes Legitimitätsproblem. Es ist eine beliebte Polemik, gegen das liberale Judentum zu sagen: Das sind ja eigentlich gar keine Juden und da kann ja sowieso jeder Mitglied werden, auch Christen usw. Die Finanzierung der Gemeinden läuft ja über die Länder, über die Staatsverträge mit den Ländern und über die Verteilungsschlüssel da. Und Grundlage all dieser Regelungen ist eine halachische Definition der Zugehörigkeit zum Judentum."
Solange also die jüdischen Gemeinden auf staatliche Förderung angewiesen sind, werden sie anders als in den USA oder England keine "Vaterjuden" als gleichwertige Mitglieder aufnehmen, auch wenn dies ihre Zukunft sichern könnten. Denn 20 Jahre nach der großen Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion schrumpfen die jüdischen Gemeinden wieder, jährlich um 1000 Mitglieder. Die Sterberate ist sechsmal höher als die Geburtenrate. Dies wird wohl die Annäherung an die "Vater-Juden" erleichtern und Kindern wie damals Sarah Wohl die Teilnahme an einem jüdischen Sommercamp erlauben.