Zwischen den Stühlen

Der arabische Israeli Ayman Sikseck begibt sich in seinem ersten Roman auf eine "Reise nach Jerusalem" und versucht sich im jüdischen Staat zu verorten, zu dem er im Alltag nicht immer gehört.
In Israel leben über eine Million Bürger, die zwar den Pass des Landes haben, aber dennoch nicht gleichberechtigt leben. Es sind die arabischen Israelis. Sie leben in Tel Aviv, in Jerusalem, in Nazareth, wo immer sie wollen. Aber sie sind nur auf dem Papier vollwertige Bürger des Staates. In der Realität gehören sie einer Minderheit an, die von rechten Gruppierungen sogar als Gefahr wahrgenommen wird - denn die Araber mit israelischem Pass gehören nicht zur Gründungsidee und zum Selbstverständnis eines jüdischen Staates. Laut regelmäßiger Umfragen fühlen sie sich gar nicht unwohl in Israel, denn dieser Staat garantiert ihnen Grundrechte und bürgerliche Freiheiten, wie sonst kein Land der Region.

Aber dennoch fühlen sie sich benachteiligt. Vor allem: sie verstehen sich nicht als dazugehörig. Was im Alltag bei Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sichtbar wird, ist am augenfälligsten bei der Armee - immer noch Israels Schule der Nation. Arabische Israelis werden nicht eingezogen. Sie sind draußen.

Der Autor Ayman Sikseck ist einer von ihnen. 1984 in Jaffa geboren - also im arabischen Teil von Tel Aviv - studierte er in der Jerusalemer Hebräischen Universität Literaturwissenschaften. Hebräisch ist seine Sprache, in ihr hat er seinen ersten Roman geschrieben, der jetzt vorliegt. Er basiert auf Kolumnen, die er für die renommierte Zeitung "Haaretz" unter dem Titel "Tel Aviv - Jaffa" veröffentlicht hat. Es sind Einblicke in die Zerrissenheit arabischer Israelis zwischen Anpassung und Selbstbehauptung.

Kolumnen und Buch machten Furore in Israel, denn sie geben Einblicke in eine Welt, die vielen jüdischen Israelis fremd ist und die Sikseck entspannt und ruhig schildert - ohne ideologisches Geschrei oder die üblichen antiisraelischen Tiraden.

Sikseck erzählt in der Ich-Form die Geschichte seines jungen arabischen Protagonisten, der zwischen zwei Frauen steht - seiner jüdischen Freundin Nitzan und dem muslimischen Mädchen Sharihan. Wenn er bei der einen ist, denkt er an die andere. Der Konflikt kristallisiert sich sinnbildlich in diesen Beziehungen. Nitzan hat mit ihrer Liebe zu einem Araber dabei weniger Probleme als er selbst, ganz unbeschwert holt sie ihn zu Hause in der Uniform der israelischen Armee ab.

Doch als Passagiere in einem Bus eine arabische Frau mit auffälliger Tasche zwingen, diese zu leeren, tut sich ein Spalt zwischen den beiden auf. Nitzan hält diese Willkür für normal, ihr arabischer Freund kocht vor Wut und rennt davon. Nitzan ist die Selbstbewusste, die wenig in Frage stellt. Sharihan dagegen steckt in konservativen Familienstrukturen - ohne die Zustimmung ihres Vaters läuft wenig.

Der Roman hat ein sehr konkretes Thema, das er in vielen Facetten beschreibt - das Leben junger Araber im jüdischen Staat. Dafür bietet er viele eindrückliche Momente. Das Emotionale, das Situative - das sind die Stärken von Ayman Sikseck. Seine Literatur weist zwar wenig über sein Thema hinaus, aber dafür liefert er einen geradlinigen, authentischen, sehr lesenswerten Bericht über eine widersprüchliche Existenz.

Besprochen von Vladimir Balzer

Ayman Sikseck: "Reise nach Jerusalem"
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Arche Verlag, Zürich 2012
160 Seiten, 18,00 Euro


Mehr Infos zu Belletristik aus Afrika, Asien und Lateinamerika im Web:

Weltempfänger litprom-Bestenliste
Mehr zum Thema