Zwischen Emanzipation und Webstuhl

Von Michael Frantzen · 09.04.2013
Eine Frau als Premierministerin hat es in Sri Lanka schon gegeben. Doch rund 280.000 Frauen, die meisten nicht älter als 25, arbeiten für einen Hungerlohn und unter elenden Bedingungen in der Textilindustrie, dem wichtigsten Industriezweig der Insel.
Chandi Disaneike ist spät dran: Es ist Viertel vor sechs, eine viertel Stunde noch, dann macht das Verbindungsbüro der "Gewerkschaft der Freihandelszonen" am Rande Colombos, der Hauptstadt Sri Lankas, zu. Die zierliche Textilarbeiterin lächelt nervös – bevor sie die Tür des Büros aufmacht und sich auf einen klapprigen Plastikstuhl zu drei anderen Frauen setzt, die vor ihr an der Reihe sind. Gute Nachrichten – das wäre jetzt etwas, was Chandi gebrauchen könnte.

Die 39jährige schaut rüber zur bunten Buddha-Figur in der Ecke, die von Räucherstäbchen umgeben ist. Einmal die Woche kommt sie in die umgebaute Garage; immer donnerstags; seit sie vor gut einem Jahr entlassen wurde. Zusammen mit dreißig anderen Frauen hatte Chandi gestreikt – für bessere Arbeitsbedingungen. Und 2000 Rupien mehr im Monat, gut 13 Euro. Statt mit ihnen zu verhandeln, setzten die Besitzer der Textilfabrik sie kurzerhand vor die Tür.

"Ich stehe vor dem Nichts. In meinem Alter noch in einer anderen Fabrik eine Arbeit zu finden: Das kann ich vergessen. Die Besitzer suchen junge, unverbrauchte Frauen, nicht körperlich angeschlagene wie mich. Die Arbeit in der Fabrik war hart: Ich musste den Hebel einer Garn-Maschine herunterdrücken. Tag ein, Tag aus. Jahrelang immer die gleiche Bewegung. Mein rechter Arm und mein rechtes Bein tun mir ständig weh. Ohne meine Schwester wäre ich schon längst verloren: Sie arbeitet auch in einer Textilfabrik, bei ihr habe ich Unterschlupf gefunden, in ihrem Wohnheimzimmer. Ich hatte auch schon überlegt, in mein Dorf zurück zu gehen, doch dazu fehlt mir das Geld. Also bleibe ich hier. Und warte ab: Was aus meinem Fall wird. Die Gewerkschaft hat Klage eingereicht beim zuständigen Arbeitsministerium. Dass die Fabrikbesitzer mich noch einmal einstellen, kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber vielleicht bekomme ich ja eine Abfindung."

Die Chancen darauf stehen schlecht: Weder das Textil-Unternehmen, ein kanadisch-Sri-Lanker Joint Venture, noch das Arbeitsministerium haben bislang auf die Klage reagiert. Das kommt nicht von ungefähr: Präsident Mahinda Rajapaksa rühmt sich, eine durch und durch "wirtschaftsfreundliche Politik" zu betreiben. Die Textilfabriken sind als Devisenbringer viel zu wichtig für das südasiatische 20-Millionen-Einwohner-Land. Die meisten produzieren in einer der insgesamt 14 Freihandelszonen – zollfrei und zu Niedriglöhnen von durchschnittlich achtzig bis hundert Euro. Gut für ausländische Textilketten; weniger gut für die rund 280.000 Angestellten wie Chandi Disaneike, die schauen müssen, wie sie mit dem bisschen Geld über die Runden kommen.

Reis, Gemüse, Strom – alles ist in Sri Lanka teurer geworden, ergänzt - neben ihr sitzend – ihre ehemalige Arbeitskollegin Mengama Arioti. Der 49-jährigen droht das gleiche Schicksal wie Chandi. Zwar hat sie nicht am Streik teilgenommen, weil sie bei der Beerdigung ihrer Mutter in ihrem Heimatdorf in den Bergen war. Doch allein, dass Mengama den Streikaufruf unterschrieben hat, ist Grund genug für die Geschäftsführung, sie los zu werden. In einem Monat, pünktlich zu ihrem 50. Geburtstag, soll sie das Unternehmen verlassen.

"Sie können sich gar nicht vorstellen, wie wütend ich bin. Ich habe 24 Jahre für die Firma gearbeitet – und mir nie etwas zu schulden kommen lassen. Mit zwei Managern habe ich auch reden können: Warum bitte schön muss ich schon mit fünfzig aufhören? Davon stand nichts in meinem Arbeitsvertrag. Ja, ja – meinten sie, aber die Regeln hätten sich geändert. Ob ich davon nichts gehört hätte? Der Witz ist: Männer können weiterhin bis 55 arbeiten. Warum dürfen die länger arbeiten als wir Frauen – wollte ich von den zweien wissen. Die seien nun mal robuster – hieß es nur. Das ist doch lächerlich."

Mengama steht auf. Zeit zu gehen. Genau wie für Chandi hatte der Gewerkschaftsvertreter, der in ihrem Namen gegen die neue Klausel klagt, keine Neuigkeiten für sie. Als sie fast schon auf der Straße ist, hält sie inne: Der Regenschirm! Den hätte sie jetzt fast vergessen. Draußen türmen sich am Horizont die Gewitterwolken. In einer halbe Stunde wird der Regen los gehen, der manchmal so stark ist, dass er die Straßen komplett unter Wasser setzt. Die Frau mit dem langen schwarzen Haar läuft schnellen Schrittes los, vorbei an von oben bis unten vollgestopften Tante-Emma-Läden und dem Stacheldraht-zaun einer Spinnerei, die einem Hochsicherheitstrakt gleicht. Sie biegt links ab: Ihr zu Hause. Ein graues Gebäude, zwei Stockwerke. Es ist eines von Dutzenden Wohnheimen hier. Mengama schließt auf: Zusammen mit fünf anderen Arbeiterinnen teilt sie sich ein Zimmer. Jeweils ein Bett, ein gemeinsamer Kleiderschrank, in der Ecke ein Computer, neben dem gerahmte Kinder-Fotos stehen: Viel mehr ist nicht. Das Plumps-Klo befindet sich draußen, im Garten; wie in ihrem Heimat-Dorf, das sie vor gut dreißig Jahren verließ, auf der Suche nach einem besseren Leben.

"Meine Wünsche?! Mein Gott, wenn ich daran zurück denke. Fast nichts davon ist wahr geworden. Ich verdiene monatlich 12,700 Rupien, ungefähr 80 Euro. Die Hälfte davon geht allein für Unterkunft und Essen drauf. Ich habe nie genug sparen können, um meine Eltern finanziell zu unterstützen. Oder mir eine Aussteuer zu leisten: Normalerweise kommen dafür ja die Eltern der Braut auf, aber meine hatten nie das Geld dafür. Manchmal träume ich so vor mich hin und denke: Was wäre wohl gewesen, wenn das Geld für die Aussteuer gereicht hätte? Wäre ich verheiratet und hätte Kinder? Keiner meiner Wünsche hat sich erfüllt. Keiner."‘ "

Noch immer verlassen Jahr für Jahr tausende Frauen wie Mengama in Sri Lanka ihre Heimatdörfer, seit dem Ende des Bürgerkriegs vor vier Jahren auch vermehrt tamilische Frauen aus dem Norden. Viele gehen in die Stadt, vorzugsweise nach Colombo, um in der Textilindustrie zu arbeiten. Andere zieht es in den Nahen Osten, wo sie für drei bis vier Jahre als Hausangestellte ihren Lebensunterhalt verdienen. Rizana Nafeek war eine von ihnen. Mit 17 ging sie nach Saudi-Arabien, nahm die Tragödie ihren Lauf. Unter ihrer Obhut starb das ihr anvertraute Baby. Nach Jahren im Todestrakt wurde Rizana Anfang des Jahres geköpft - trotz dürftiger Beweislage und aller Appelle an die Saudis, Gnade walten zu lassen. Auch Frauenrechtlerin Sepali Kottegoda von dem "Frauen und Medien-Kollektiv" in Colombo, hat an die saudi-arabische Regierung appelliert – letzten Endes vergeblich.

""Das war eine absolute Tragödie. Die Rechte dieser Frauen aus Sri Lanka sind im Nahen Osten stark eingeschränkt: Einerseits, weil sie Frauen sind – und Frauen in diesen Ländern nicht dieselben Rechte haben wie Männer. Und andererseits, weil sie eben "nur" Einwanderinnen sind. Unser Staat müsste sich viel mehr für ihre Belange einsetzen. Er profitiert ja enorm von ihren Überweisungen, das sind jährlich Milliarden. Ich frage mich: Tut der Staat genug? Hat die Regierung wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Angeklagte zu verteidigen?"‘"

Präsident Mahinda Rajapaksa hat inzwischen reagiert – und das Mindestalter für Frauen, die als Haushälterinnen nach Saudi Arabien gehen, von 21 auf 25 Jahre erhöht. Schon zuvor hatte der allmächtige Präsident angekündigt, statt unqualifizierter junger Frauen in Zukunft vermehrt gut ausgebildete Sri Lanker mit IT- und Verwaltungshintergrund ins Ausland schicken zu wollen, vorzugsweise Männer. Frauenrechtlerin Sepali Kottegoda verzieht in ihrem Büro in "Colombo 7", einem der besseren Viertel der Hauptstadt, das Gesicht. Seit Mitte der 80er setzt sich die Soziologin mit dem Doktortitel von der britischen Universität in Sussex für die Belange der Frauen ein – anfangs für ihre Geschlechtsge-nossinnen in den Medien, deshalb auch der Name ihrer Organisation: "Frauen und Medien Kollektiv". Doch im Laufe der Zeit hat sich das Themenspektrum erweitert: Häusliche Gewalt; der alltägliche Sexismus; die immer noch prekäre Situation der rund 45.000 Kriegswitwen in den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten im Norden und Osten: Das seien heute Themen, die ihr unter den Nägeln brennen, betont die Anfang 60jährige. Und die so gar nicht zum Regierungs-Mantra passen wollen, das da lautet: Frauen in Sri Lanka haben keinen Grund zur Klage.

""Sie wissen vielleicht schon: Sri Lanka war das erste Land weltweit, dass eine Frau als Premierminister hatte: Sirimavo Bandaranaike. Das war Anfang der 60er. Man könnte natürlich denken, dass seitdem besonders viele Frauen politisch aktiv geworden sind. Aber das ist ein Trugschluss: Gerade einmal sechs Prozent der Abgeordneten im Parlament sind Frauen, in Städten und Landkreisen sind es sogar nur zwei Prozent. In der aktuellen Legislaturperiode hat eine einzige Frau im Parlament eine Rede gehalten. Eine Einzige! Das kann nicht so weiter gehen. Wir haben schon vorgeschlagen: Lasst uns testweise auf lokaler Ebene eine Quote einführen: Zehn bis dreißig Prozent der Kandidaten-Plätze nur für Frauen. Doch die Männer blockieren das. Sie meinen: ‚Wenn ihr gut genug seid, werdet ihr schon aufgestellt. Aber dafür müssen eure Qualifikationen auch stimmen!‘ Bei Männern stellt sich die Frage nach der Qualifikation natürlich nicht. Aber bei uns Frauen ist es ein großes Ding."

Ignorante Männer – damit hat auch Nimalka Fernando von den "Müttern und Töchtern Sri Lankas", schon so ihre Erfahrungen gemacht. Die Juristin ist eine der bekanntesten Feministinnen des Landes. "Feministin und Menschenrechts-Aktivistin" – korrigiert die energische Frau in ihrer Wohnung im Zentrum Colombos, in dem sich Bücher, Zeitungsstapel und handschriftliche Notizen nur so stapeln. Sie wolle schließlich niemanden ausschließen, meint Fernando lachend. Selbst Präsident Mahinda Rajapaksa nicht. Ein alter Bekannter: Anfang der 90er arbeitete Fernando eng mit ihm zusammen, versuchten sie gemeinsam, die Folgen des Bürgerkriegs zu lindern. Sie seien wie Bruder und Schwester gewesen, erinnert sich die Mittfünfzigerin – und schließt für ein paar Sekunden die Augen. Hätte ihr damals jemand gesagt, welche Politik Rajapaska heute betreiben würde: Sie hätte es nicht für möglich gehalten.

"Unglücklicherweise ist der Präsident sehr patriarchal. Ich würde sogar sagen, er leidet unter einem männlichen Überlegenheitskomplex. Rajapaksa will der Welt zeigen, dass er sich kümmert: Um seine Familie, um seine Ehefrau, um das Volk. Das ist das ideologische Fundament seiner Politik. Frauenpolitik bedeutet für ihn, soziale Wohltaten zu verteilen: Kleine Rettungspakete an schwangere Frauen, die in Überschwemmungsgebieten leben; oder hübsche Saris, die traditionellen Röcke, für Witwen, deren Männer im Bürgerkrieg ums Leben gekommen sind. Das mag für den Moment zwar schön sein, aber es ändert nichts an den Strukturen; dass Frauen immer noch ausgebeutet und Opfer von Gewalt werden; Gleichberechtigung nur auf dem Papier besteht. Wir waren da schon viel weiter. Es wird schlechter statt besser: Wir werden immer rückschrittlicher."

Wer Nimalka Fernando besuchen will, muss gewisse Hürden überwinden. Der Termin wird erst kurzfristig genannt, genau wie ihre Adresse. Um zu ihr in die Wohnung zu kommen, muss man sich beim Sicherheitsdienst Ihres Hochhauses melden. Sicher ist sicher. Schließlich sind aus den ehemaligen "Wahl-Geschwistern", dem seit 2005 amtierenden Präsidenten und der Frauenrechtlerin, längst Feinde geworden; muss sich die Oppositionelle vor Mahinda Rajapaksa und seinem Clan in Acht nehmen.

"Es gibt Zeiten, wo es schwierig ist, im Land zu sein. Wir haben eine Art Bewertungssystem: Wann ist es ratsamer, sich zurückzuhalten? Wann angebrachter, ins Ausland zu gehen? Ich habe Sri Lanka schon mehrmals verlassen müssen, weil es zu gefährlich war. Zurzeit ist es so, dass die Regierung mir wieder zusetzt. Heute erst habe ich einen Artikel gelesen – über ein Theaterstück. Da kämpft das Gute gegen das Schlechte. Am Ende siegt natürlich das Gute während das Böse zerschmettert wird. Und raten Sie mal, wer eine der Schlechten ist: Ich! Die Regierung erzeugt ein Klima der Angst. Viele Leute haben mir schon geraten:‘ Verlass besser das Land.‘"

Vorerst will Nimalka Fernando im Land bleiben. Doch ihre Zweifel wachsen. Im Januar musste die einflussreichste Frau Sri Lankas, die Oberste Richterin des Landes, Shirani Bandaranyke, ihren Hut nehmen: sie wurde abgesetzt und durch einen Gefolgsmann von Rajapaksa ersetzt. Die Juristin war dem Präsidenten zu unabhängig, sprich: Zu unbequem geworden. Kein gutes Zeichen, für Sri Lanka – und mutige Frauen wie Nimalka Fernando.
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