Zwischen Energieeffizienz und Größenwahn

Von Sarah J. Tschernigow · 22.05.2012
Rund 125.000 Architekten gibt es hierzulande. Wer herausstechen möchte, muss sich etwas einfallen lassen. Wolfram Putz, Mitbegründer der Architekten-Gruppe GRAFT hat mit Anschubhilfe aus Hollywood und extravaganten Mega-Projekten in der Szene weltweit Popstar-Status erreicht.
"Wir forschen eigentlich an den verschiedenen Interessengebieten von stilistischen Möglichkeiten, die es heute gibt, rum. Dabei ist unser Leitspruch 'Taste is the lack of appetite, das heißt 'Geschmack oder Stil ist die Abwesenheit von einem echt guten Appetit'."

Was Wolfram Putz, Mitbegründer der Architektengruppe GRAFT, damit sagen will: Für ihn hat gute Architektur mit einer gehörigen Portion Neugierde, mit einem großen Appetit zu tun. Ein klarer, festgefahrener Stil, so seine Philosophie, ist das Gegenteil von Neugierde:

"Wir finden eben, dass das, was viele Architekten versuchen, eine Signatur, einen wieder erkennbaren Stil zu entwickeln, das sollte nicht der Anfangspunkt deiner Überlegungen sein. Das kann sich selber entwickeln, aber Picasso hatte auch blaue und kubistische Phasen. Der war getrieben von so einem unglaublichen Neugierde-Kernreaktor."

GRAFT haben Büros in Peking, Los Angeles und Berlin. Hier arbeitet Wolfram Putz in einer loftartigen Etage in einem Stück Niemandsland nahe des Hauptbahnhofs. Der 43-Jährige kommt wenig dekadent daher. Er trägt keine überteuerten Anzüge, sondern ganz leger Hemd und Jeans. Die Schreibtischlampen sind die günstigen von IKEA.

Bei einem Espresso im Besprechungsraum erzählt Wolfram Putz von seinen Projekten. Von Hotels und Shopping Malls, von Museen und dem Interieur einer Zahnarztpraxis. Nichts an GRAFT-Architektur ist klassisch. Die Flächen sind organisch geschwungene Linien, die sich manchmal wie Stranddünen aufbäumen, als wären sie lebendig. Immer energieeffizient und meistens größenwahnsinnig.

Die Neugierde von Wolfram Putz erwacht in den 90er-Jahren während seines Architekturstudiums in Braunschweig. Die Stadt findet er langweilig; das Studium schematisch. Genauso wie seine Kommilitonen Lars Krückeberger und Thomas Willemeit. Gemeinsam wollen sie ihre eigenen Architektur-Ideen umsetzen. Erst einmal machen sie aber zusammen Musik. Sie gründen den später 16-köpfigen A-cappella-Chor "A:Cantus".

"Wir haben alles gemacht, was man a cappella gut machen kann. Viel Renaissance, auch deutsche Romantik, dann am Schluss haben wir viel Jazz gemacht, 20. Jahrhundert, neue Stücke ... Da wurden wir auch richtig gut. Haben international Preise gewonnen. Sind durch Amerika tourneet. Da haben wir uns als echte Freunde kennen gelernt, unsere Hörner aneinander abgestoßen und unser Attitüden weggeschliffen."

Die Leidenschaft für Architektur ist dann doch größer als die Leidenschaft für Gesang. Die drei Jungs aus Braunschweig wollen Großes schaffen und machen sich nach dem Studium auf nach Los Angeles. Sie nennen sich GRAFT und teilen sich zu dritt eine Zweizimmerwohnung:

"Und wir haben von dem wenigen, was wir an Aufträgen hatten, Badezimmer umgestalten, Farben aussuchen, haben wir immer etwas abgespart. Das haben wir noch per Hand gezeichnet. Dann haben wir uns einen Computer gekauft. In Einzelteilen, weil das billiger war. So haben wir jedes Büro aufgebaut. Auch Berlin war schlafen unterm Schreibtisch. China war schlafen unterm Schreibtisch."

Der Durchbruch kommt mit prominenter Hilfe. Über mehrere Ecken lernen GRAFT Schauspieler Brad Pitt kennen, der sich von ihnen prompt ein Studio bauen lässt. 2005 realisieren sie gemeinsam das "Pink Project" in New Orleans. Nachdem Hurrikane Katharina die Stadt verwüstet hat, bauen sie Notunterkünfte auf: 150 neonpinkfarbene Zelte.

Wolfram Putz nervt es, immer wieder auf Brad Pitt angesprochen zu werden:

"Glaube ich, dass die Brad-Pitt-Pille auf einen Haufen dummer, eingebildeter Typen gefallen ist? Nö. Wir hätten es auch so geschafft, aber es hätte sicher andere Wege genommen."

Mit dem Ruhm kommt das Geld. Und damit für GRAFT die Möglichkeit ihre extravagante Vision zu leben, die auch in ihrem Namen steckt. Englisch "to graft" bedeutet "aufpfropfen", das "Zusammenführen von vermeintlich Gegensätzlichem". In Kuala Lumpur bauen die Architekten ein UFO-artiges Hightech-Gebäude. Ein Null-Energiehaus, das mit seinem geschwungenen Dach Regenwasser auffängt und in Energie umwandelt.

Etwa hundert Mitarbeiter gehören heute zum Team von GRAFT, für Projekte in Asien sogar ein Spezialist, der hilft, die Häuser nach den Regeln von Feng-Shui zu konstruieren:

"Muss man beachten. Muss man lernen. Feng-Shui gibt es 'von bis' als Phänomen. Gibt es als totale esoterische Ultrablase, gibt es aber auch als altes, weises Ideensystem. Wir haben immer einen Feng-Shui-Consultant in diesen asiatischen Ländern, weil das fast jedem Bauherren ganz wichtig ist."

Wolfram Putz ist ein Luxusarchitekt. Derzeit sitzt er an einem Masterplan für eine gigantische Skilandschaft in China – um dort künftig seinen Winterurlaub zu verbringen. Und trotzdem ist Wolfram Putz immer noch der Architekt aus Braunschweig, der nicht aufgehört hat zu träumen.

"Es wäre schön ein Parlament für eines dieser neuen arabischen Demokratien zu machen, die durch den arabischen Frühling entstehen. Weil da in dieser Architektur ganz viele Träume aufgeladen werden können, die gerade auf der Straße sind."

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